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Die lettische Hauptstadt Riga ist parallel zur schwedischen Stadt Umeå Europäische Kulturhauptstadt 2014.
KulturPort.De-Korrespondent Florian Maaß sprach mit Riga-2014-Programmchefin Aiva Rozenberga über das kommende Jahr, die kulturellen Pläne und Ziele, die Suche nach Identität und den Spagat zwischen Tourismus und anspruchsvoller Kultur.
Florian Maaß (FM): Die Stadt Riga steht unter dem Schock über den Einsturz eines Supermarktdaches, der 54 Menschen das Leben kostete. Wird auch der Beginn des Europäischen Kulturhauptstadt-Programms dadurch beeinflusst?
Aiva Rozenberga (AR): Auch wir bei Riga 2014 sind geschockt und sprechen unser Mitgefühl aus. Und wir denken gerade über einen Moment des Gedenkens während der Eröffnungsveranstaltung nach.
FM: Was ist die Kernbotschaft, die von Riga 2014 ausgehen soll?
AR: Der Titel unseres Programms ist „Force Majeur“ – es geht darum, welche Rolle die Kunst spielt inmitten der Kräfte, der scheinbar „höheren Gewalten“ von denen wir jeden Tag in den Nachrichten hören und die unser Leben beeinflussen, wie den wirtschaftlichen Problemen, der Bankenkrise, Fragen der Sicherheit, der Migration und so weiter spielen kann.
FM: Und welche Antwort geben Sie?
AR: Die Kultur als eine große, positive Kraft herauszustellen, die das Leben eines Einzelnen, aber auch der ganzen Stadt zum Besseren verändern kann. Wir ermuntern: „Lass Kreativität in Dein Leben!“. Kurz nach der Bewerbung kam die Wirtschaftskrise. Und als Reaktion gab es in Riga das Festival „Survival Kit“. Künstler gingen in konkurs gegangene Läden und besonders von der Krise betroffene Nachbarschaften, um ihnen gemeinsam mit den Anwohnern ein zweites Leben einzuhauchen. Das sind beste Beispiele dafür und zeigen, dass Riga 2014 weit über die Kultur hinausgehen kann. Wir erreichten auch in der Planungsphase, dass das Fördern von Kreativität als eine von drei Prioritäten in den langfristigen Entwicklungsplan der Stadt Riga aufgenommen wurde. Das füllt nicht nur Aktenordner, denn danach richten sich auch Haushaltsplanungen.
FM: Die Wirtschaftskrise hat also neben vielem Schlechten in Riga Platz für Kreativität und Kunst geschaffen?
AR: Ja, es scheint ganz so. Wir haben das gefördert, auch Graswurzelbewegungen wie etwa „refurbish your backyard“.
Bei „Survival Kit“ luden Schriftsteller zur Suppenküche, in der sie dann gemeinsam mit den Anwohnern darüber sprachen, was man mit den ungenutzten Flächen und Gebäuden anfangen könnte. Nach dem Festival folgte eine ganze Bewegung von Initiativen. Vorher konnte man von zwei „kreativen Quartieren“ in Riga sprechen, inzwischen schon von neun. Wir hatten schon im Programmentwurf Platz gelassen für kurzfristige Bewegungen und füllen diesen, indem wir von August bis Oktober eine Plattform für diese kreativen Quartiere schaffen.
FM: Sie haben sicher die Erfahrungen der vorherigen Kulturhauptstädte studiert. Konnten Sie daraus lernen?
AR: Es gibt zwei mal jährlich ein Treffen der bisherigen und kommenden Kulturhauptstädte. Das sind die effektivsten, lehrreichsten Veranstaltungen für mich- vielleicht gerade, weil sie nicht offiziell organisiert werden.
FM: In den letzten Jahren ging ein Trend dahin, mit der Ernennung eher die kulturelle Infrastruktur der Städte aus der zweiten Reihe zu fördern. Die Bewerbung war also kein Selbstläufer, oder?
AR: Wir mussten hart kämpfen, um zu beweisen, dass Riga diese Unterstützung braucht.
Wir konnten überzeugend darstellen, dass wir etwas bewegen wollen, nicht nur im Kulturbetrieb der Stadt- auch die Kreativität insgesamt in der Stadt fördern. Da wir die erste lettische Kulturhauptstadt sind, bemühen wir uns auch, ein Tor zur Kultur in ganz Lettland zu sein. So ist die Kleinstadt Sigulda Partnerstadt von Riga 2014 und wir machen eine Konferenz zu Mark Rothko mit dem neuen Rothko-Museum in seiner Heimatstadt Daugavpils. Ein Rothko-Sonderzug wird die beiden größten lettischen Städte verbinden.
FM: Mit dem Titel verbinden sich auch immer touristische Hoffnungen. War es ein Spagat, touristisch attraktive Veranstaltungen zu machen und solche, die mehr nach innen gerichtet und nachhaltig sind?
AR: Es sind keine Gegensätze. Ohne die Graswurzelbewegungen und kreativen Viertel wäre die Stadt nicht lebendig, bekäme ein starres Gesicht und wäre auch für Besucher langweilig. Natürlich sind Tourismus und diplomatische Aspekte wichtig und wir arbeiten mit den Tourismusbehörden, aber auch dem Lettischen Kulturinstitut, zusammen.
FM: Warum sollten Besucher 2014 nach Riga kommen?
AR: Um die boomende Szene der kreativen Quartiere, die spannenden Nachbarschaftsaktivitäten zu erleben, den Charme, als Besucher zwischen ganz verschiedenen kulturellen Sphären, sozialen Gruppen, zwischen Hochkultur und Aktionen von Grasswurzelbewegungen wählen zu können. Um in den Wäldern um Riga oder unseren Parks meditieren zu können oder in den kulturellen Massenveranstaltungen aufzugehen. Um die wundervolle Jugendstilarchitektur zu erleben und die schönen restaurierten Holzhäuser. Riga ist sehr harmonische Stadt. Man kann alles zu Fuß erreichen. Ich zum Beispiel mag auch, dass ich in Riga immer wieder auf Entdeckungsreise gehen kann. Irgendwo im Hinterhof ein altes Jugendstil-Holzhaus finde, dass mir vorher nicht aufgefallen ist. Oder mir an Hand alter Straßennamen vorzustellen, was dort früher mal war.
FM: Versucht Riga eher mit Charme und originellen Ideen zu locken oder mit großen Namen und Veranstaltungen?
AR: Wir versuchen für jeden etwas dabei zu haben. Von Konzerten der großen lettischen Opernstars, die Chorweltmeisterschaft- Musik, besonders Chorsingen, hat bei uns einen sehr hohen Stellenwert- über die Geschichte des Bernsteins bis zu den kreativen Vierteln. Wir wollen auch Menschen mit dem Programm für Kunst begeistern, die sich bisher nicht sehr dafür interessieren. Wir müssen natürlich auch die „Exzellenz-Programmteile“ haben.. Etwas wie „Survival Kit“ zeigt viel von dem, was in Riga interessant ist, oder die kreativen Quartiere.
FM: Riga ist bekannt für seine hervorragenden klassischen Musiker, die finden sich auch bei Riga 2014 wieder: Pflichtveranstaltungen?
AR: Wir wissen, dass das bei den Touristen gut ankommt, aber auch die Rigaer mögen ihre großen Opernstars hören. Aber Ideen sind das Ausschlaggebende. Nicht, große Namen als Selbstzweck zu verpflichten. Unser Ziel ist es, jedem die Möglichkeit zu geben, etwas zu erleben, was vielleicht sein Leben verändert. Und ein Konzert mit Jansons oder Garanča kann so ein Erlebnis sein. Das ist wichtiger als die Zahl der Zuschauer bei so einer Veranstaltung
Ein besonderes klassisches Konzert wird Mozarts Requiem am 11. August in Dzintari (Anm: Im Badeort Jurmala bei Riga) sein. Die Musik erschließt sich jedermann. Aber dazu zeigen wir einen Dokumentarfilm, der sich mit der Meeresverschmutzung beschäftigt. Das Requiem wird so zu einem Abgesang auf die Ostsee und vereint alle Bewohner der Anrainerstaaten in der Frage: Was kann ich im Alltag tun, um die Ostsee zu retten? Dadurch wird es also viel mehr als ein Konzert.
FM: Der hohe Stellenwert der Oper zeigte sich gerade, als die Diskussion über die Ernennung des musikalischem Direktors eine politische Krise auslöste, inklusive dem Rücktritt der Kulturministerin.
AR: Wir lieben unsere Oper. Gucken Sie nur, wie voll sie jeden Abend ist und vor allem wie viele junge Zuschauer sie hat. Auch die heißen Diskussionen zeigen, dass es ein echtes Bedürfnis nach der Oper gibt. Das ‚weiße Haus’, wie wir die Oper nennen, ist tatsächlich so was wie das ‚Weiße Haus’ der Kultur.
FM: Haben die Querelen einen Effekt auf Riga 2014?
AR: Nicht wirklich. Wir haben einige Wechsel erlebt, auf dem Stuhl des Kulturministers, dazu den Wechsel des Bürgermeisters, die Parlamentswahlen, den Wechsel des Ministerpräsidenten, aber unser Programm ist noch dasselbe. Riga 2014 ist im Interesse des ganzen Landes. Wir haben im ständigen Dialog alle entscheidenden Stellen davon überzeugen können.
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