Meinung

Ja, Jeunehomme! Ganz anders und doch vertraut. Und zwar in dreifacher Hinsicht. An erster Stelle steht, wie sich von selbst versteht, die Komposition.

 

Dieses Falls Franz Schuberts 3. Sinfonie in D-Dur, D 200 aus dem Jahr 1815, die – wer sie in dieser Version anhört, wird sofort verstehen, wieso – in lediglich neun Tagen – der unbändige Tatendrang eines jungen Mannes verschafft sich Gehör – zu Papier gebracht worden ist.

 

An zweiter das SWR Symphonieorchester. Und die dritte Position nimmt der gebürtige Israeli Omer Meir Wellber ein. Der eigentlich, als Vermittler, an zweiter Stelle genannt werden müsste. Und nehme an dieser bereits auf den ersten Blick brüchigen Reihenfolge sofort eine Korrektur vor. Weil keines von den Dreien das wäre, was es ist, wenn nicht die jeweils anderen das Ihre dazu beitrügen, dass aus dem Dreiklang ein Einklang entsteht oder von der ersten erklingenden bis zur letzten verklingenden Note entstanden ist. Was eine Selbstverständlichkeit ist oder sein sollte.

 

Stimmt das? Fällt die Komposition nicht aus diesem Dreiklang als das Extraordinäre heraus? Weil ohne sie weder das Orchester noch der Dirigent zum Zuge kämen. So ist es wohl. Und daran soll letztlich auch nicht gerüttelt werden.

 

Und dennoch: Interpretation ist nicht gleich Interpretation. Die eine mag, wenn nicht als misslungen, so doch als zumindest fragwürdig angesehen werden. Die andere aber, und die liegt hier, wie ich finde, vor, ist der Vorgabe kongenial, ist ganz dazu angetan der Ansicht Vorschub zu leisten, dass in dieser Wiedergabe das vom Komponisten Intendierte Realität geworden ist.

 

Entscheidend ist also das Wie des Einklangs. Oder wie sich die Variationen des Vielen in eine Einheit spannungsreicher Harmonie zusammenfinden.

Die dominante Farbe dieser Komposition voll jugendlichen Leichtsinns und entsprechender Unbeschwertheit ist eine strahlende Heiterkeit. Über dieser Tonkunst als Ganzer liegt das Leuchten und der Glanz des verspielten und immer wieder auch – vor allem für den 1. Satz (Adagio maestoso – Allegro con brio) und den letzten Satz (Presto vivace) gilt dies – auftrumpfenden Glückichseins. Charakteristisch ist, dass ein zart tastendes Anklopfen nach kurzem Innehalten quasi explodiert, sich in volksliedhaftem, tänzerischem Frohsinn immer wieder auch über den Klang der Klarinette in kindlich unschuldigem Lächeln entfaltet.

 

Überhaupt sind es die Pausen (das punktuelle Verharren), die in dieser Komposition eine ganz besondere Rolle spielen. Das sich abduckende, in sich hineinhorchende Nichterklingen ist unbedingt – und das geschieht in dieser Darbietung – extrem zu akzentuieren, weil diese den Fluss unterbrechenden Haltepunkte unverzichtbare Voraussetzung dafür sind, dass dem unmittelbar Folgenden in gespanntester Erwartung entgegengefiebert wird. Es ist kurios: Die momentane tönende Leere ist das eigentlich Spannung erzeugende Momentum eines kurz bevorstehenden Auf- und Anbruchs.

 

Hinsichtlich der Spannung noch dies. Sie, die Omer Meir Wellber überwältigend intensiv in heiterster Ausgelassenheit auch körperlich erspüren lässt, ist in ihrem steten, sogartigen, Zunehmen und anschließenden Abebben jeweils ungemein fein nuanciert.

 

Omer Meir Wellber C Quincena Musical Iñigo Ibáñez Bremen

Omer Meir Wellber, Bremen, August 2019. Foto: © Quincena Musical, Iñigo Ibáñez. CC BY 2.0

 

Dieser Dirigent vollzieht in seinem Agieren mimisch, gestisch, in seiner Körpersprache die Komposition in all ihren Spannungsmomenten auf eine mitreißende, verblüffend intensive Art nach. Und bringt dadurch, dass er quasi dieses Stück Tonkunst als Ganzes verkörpert, das Orchester auf eine Art zum Erklingen, wofür die Wendung, dass der Funke überspringt, andeutungsweise die passende ist. Immer wieder scheint auf den Gesichtern der spielend Involvierten ein wissendes Lächeln, ein amüsiertes Schmunzeln oder auch eine beseligte Freude stillen Einvernehmens auf.

 

Diese Symbiose aber ist es, die auch den Zuhörer Feuer fangen lässt. Weil er im Sich-verlieren in dieser ganz und gar stimmigen Darbietung womöglich begreift, was es heißt, sich in diesem Verlust seiner selbst nicht bloß wiederzufinden, sondern auch den ansonsten geheimen, wie auch immer ausgedehnten Augenblicken beizuwohnen, in denen das Stück Tonkunst entstanden ist. Damit wäre, im Idealfall, die zu Beginn namhaft gemachte Dreiheit in eine um den Rezipienten ergänzte Vierheit übergegangen.

Entscheidend jedenfalls ist, dass in dieser Darbietung aus der Komposition die in ihr angelegten, auf und ab wogenden Spannungsmomente mit stupender Intensität, mit subtilstem Fingerspitzen- und Zartgefühl heraus entfaltet werden. Dieser Interpretation eignet, selbst in den ‚moderaten‘ Mittelsätzen und vor allem dem Allegretto überschriebenen, tänzerisch beschwingten 2. Satz, eine ungeheuer mitreißende Kraft.

 

Eduard Hanslick ließ sich nach der Aufführung von 1860 über das in drängender Atemlosigkeit sich überschlagende Finale dieser Sinfonie wie folgt vernehmen: Es ist „ein Werk der Jugend (...) und ihres vergnügt lärmenden Thatendranges, der sich regt und bewegt, ohne sich noch um Ziel und Erfolg Großes zu kümmern“.


Franz Schubert: Sinfonie Nr. 3 D-Dur D 200

 

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Omer Meir Wellber | Franz Schubert: Sinfonie Nr. 3 D-Dur D 200 | SWR Symphonieorchester (23:45 Min.)

 

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