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„Stella. Ein Leben“ polarisiert. Der Film des deutschen Regisseurs Kilian Riedhof ist ein Muss. Völlig unabhängig von Qualität und Ästhetik. Er konfrontiert uns aus ungewohnter Perspektive mit der Vergangenheit des Nationalsozialismus, hinterfragt unsere Erwartungshaltung cineastischer Umsetzung des Antisemitismus. 

 

Paula Beer spielt die Protagonistin, eine junge Frau, blond, schön, umschwärmt. Sie liebt Jazz, träumt von einer Karriere am Broadway, doch Stella Goldschlag ist Jüdin im Berlin der Vierzigerjahre. Sie taucht unter, wird Teil eines Fälscherrings. Als die Gestapo sie verhaftet, verwandelt sich ihr Leben von dem eines Opfers in das einer Täterin.

 
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„LOLA“ erzählt von den britischen Boheme-Erlebnissen zweier Schwestern während des letzten Weltkriegs und avanciert schon in den ersten Minuten zum Juwel des Found-Footage Genres, es versteht uns zu blenden, auf falsche Fährten zu locken, perfektioniert die Illusion als gefährliche Waffe.

 

Wir genießen den verliebten Blick in den historischen Abgrund. Genial wie der irische Regisseur Andrew Legge in seinem selbstironischen Zeitreise-Thriller mit der Wahrheit und den Jahrzehnten spielt, mit Filmformen und Musik als Teil jenes Erzählprozesses. 

 
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Mit der poetischen Charakterstudie „Perfect Days“ gelingt dem 78jährigen Regisseur Wim Wenders Jahrzehnte nach „Paris Texas“ (1984) und „Himmel über Berlin“ (1987) wieder ein Meisterwerk. Der in japanischer Sprache gedrehte Film verändert unseren Blick auf die Welt und auf uns selbst.

 

Hirayama (überragend: Kōji Yakusho) reinigt öffentliche Toiletten in Tokio. Den Ablauf seines Alltags hat der Mittsechziger methodisch durchstrukturiert vom morgendlichen Bartstutzen bis zur abendlichen Buchlektüre kurz vor dem Einschlafen. Im Park während der Mittagspause holt er seine analoge Pocket-Kamera heraus: Komorebi, das Lichtspiel der Blätter im Wind entwickelt sich zum Spiegel seines Daseins.

 
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Altmeister Marco Bellocchio inszeniert seinen Film „Die Bologna-Entführung – Geraubt im Namen des Papstes“ ästhetisch virtuos als historisches True-Crime-Drama mit der leidenschaftlichen Vehemenz eines Charles-Dickens-Epos'. 

 

In jener ungewohnt fast wuchtigen Opulenz weicht „Rapito“ – so der Originaltitel“ – von dem uns geläufigen Stil des 84-jährigen italienischen Regisseurs ab, und doch entdecken wir zwischen Realismus, Fiktion und surrealen Albträumen immer wieder Querverbindungen zu den früheren Werken von ihm. Ob Mafia, Rote Brigaden, Politik oder Kirche, der Protagonist steht im Zwiespalt zwischen zwei Welten, wem schuldet er seine Loyalität? Die Dialektik der Macht entscheidet über das Schicksal.

 
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Mit dem Titel ihres Gerichtsdramas „Anatomie eines Falls“ spielt die französische Regisseurin Justine Triet auf Otto Premingers US-Klassiker „Anatomie eines Mordes“ von 1959 an und setzt so bewusst das Kinopublikum auf die erste von vielen falschen Fährten.

 

Der packende, seltsam verstörende Thriller über eine zerrüttete Paarbeziehung erhielt in Cannes die Goldene Palme. Überragend Sandra Hüller in der Rolle der Angeklagten: Kühl, überlegen, distanziert, völlig undurchschaubar. Als „Monster“ hatte sie der Ehemann zu Lebzeiten bezeichnet, und doch, wir, in der Rolle Geschworenen, ergreifen für sie Partei.  

 
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Das bildgewaltige Schwarz-Weiß-Opus des deutschen Regisseurs Timm Kröger „Die Theorie von allem“ gehörte zu den Highlights des diesjährigen Hamburger Filmfests. 

 

In dem opulenten Mystery Noir von höchst eigenwilliger Textur überschneiden sich die verschiedensten Einflüsse und Perspektiven aus Literatur, Wissenschaft und Kino. Da treffen Alfred Hitchcock, Orson Welles, Andrei Tarkovsky, David Lynch und Erich Kästner auf Nouvelle Vague, Spionage-Drama, kalten Krieg, atomaren Horror und Schrödingers Katze. Über letztere sagt der Regisseur, hier sei sie hirntot und genial zugleich. Resultat: Ein intellektuell abenteuerlicher und amüsant verwirrender Zauberberg der Doppelgänger, ästhetisch überragend.

 
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Seine sanfte Tragikomödie „Fallende Blätter“ inszeniert Aki Kaurismäki als poetische Hommage an das Kino, Zufluchtsort unserer Sehnsüchte, an Filmemacher, die er, der finnische Kult-Regisseur, vergöttert: Bresson, Ozu und Chaplin.

 

Die zärtliche lakonische Liebesgeschichte zweier verlorener Seelen am Rande der Gesellschaft reflektiert auch seine eigenen frühen Werke und erhielt in San Sebastian den FIPRESCI Grand Prix 2023 als Bester Film des Jahres und in Cannes den Prix du Jury.

 
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War Maïwenns gefeierter Film „Mon Roi“ (2015) eine Chronik weiblicher Ohnmacht, so ist ihr bildgewaltiges tragisch-romantisches Historien-Epos „Jeanne du Barry“ das Gegenteil: ein Triumph des Aufbegehrens, der Selbstbehauptung und Leidenschaft in einer verrückten Welt.

 

Die 47jährige französische Regisseurin inszeniert sich selbst in der Rolle jener königlichen Kurtisane, eine Frau deren Lachen, Charme, Intelligenz und Ironie Louis XV. nicht widerstehen konnte, eine Frau, die früh gelernt hatte, ihre wahren Gefühle eigentlich nie zu offenbaren.

 
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Selten zeigten sich Kritiker so unverhohlen berührt wie bei dem Spielfilm-Debüt „Past Lives“ der in Südkorea geborenen Regisseurin und Drehbuchautorin Celine Song. Das autobiographisch geprägte Drama erzählt von Abschied, Liebe, Schicksal, Vorsehung, von Entscheidungen, eigenen und denen anderer, es erzählt von jener Sehnsucht, die weder Zeit noch Distanz zerstören können.

 

Ein Opus der leisen sensiblen Töne, bestechend unaufdringlich fern der sentimental stereotypen Gesten Hollywoods aber auch ohne die Abgründe der Eifersucht wie im französischen Kino François Truffauts. „Past Lives“ verändert etwas in uns. Der Film besitzt eine Wahrhaftigkeit, eine schlichte Schönheit, die wir in dieser Form auf der Leinwand vielleicht noch nie erlebten.

 
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François Ozon inszeniert seine elegante nostalgische Kriminalkomödie „Mein fabelhaftes Verbrechen" als scharfzüngiges Plädoyer für den Feminismus. Die zärtlich-ironische #MeToo-Farce spielt mit dem Absurden und den Parallelen von Theater und Justiz.

Man spürt das Vergnügen des französischen Regisseurs, die Art-Deco-Atmosphäre zu rekonstruieren, jedes Set besitzt seinen ganz eigenen architektonischen Stil, spiegelt Gefühle und Handlung wider. Das Kino der Dreißiger Jahre wird indirekt selbst Thema: Die Screwball-Comedy mit ihren rasanten Dialogen, der Glamour von Ernst Lubitsch und der poetische Realismus von Jean Renoir.

 
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Die Dirtbiker-Gangs der Peripherie von Bordeaux sind eine abgeschottete Macho-Domäne. Julia (grandios Julie Ledru), die Fremde, der Eindringling, stellt diese Welt auf den Kopf, infiziert uns mit ihrer skrupellosen Obsession für Maschinen, Asphalt und Geschwindigkeit, für sie einzig akzeptables Symbol von Freiheit und Gleichberechtigung.

„Rodeo“, Debüt-Film der französischen Regisseurin und Drehbuchautorin Lola Quivoron, besitzt seine ganz eigene raue Art von Poesie, Sinnlichkeit und verzweifelter Aggression. Das Aufheulen der Motoren gleicht einer Kampfansage an die bürgerliche Gesellschaft, am Ende perforiert Surreal-Spirituelles die Wirklichkeit. Das feministische Außenseiter-Epos wurde 2022 in Cannes mit dem Coup de Cœur der Reihe Un Certain Regard ausgezeichnet.

 
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Das melancholische Schuld- und Sühnedrama „Nostalgia“ mit Pierfrancesco Favino in der Hauptrolle inszeniert der italienische Regisseur Mario Martone („L’amore molesto“, 1995) als subtiles Psychogramm einer Rückkehr nach vierzigjähriger Abwesenheit.

 

Emotionales Zentrum ist Rione Sanità, die Camorra-Hochburg von Neapel. Der atmosphärisch starke Thriller über das dunkle Geheimnis einer Jugendfreundschaft basiert auf dem gleichnamigen Roman von Ermanno Rea. „Nostalgia“ berührt, erschüttert durch die eindringliche Visualisierung seiner inneren Konflikte. Ein poetisch raues Mafia-Epos fern dem fiebrig schillernden Glamour im Stil von Hollywood.

 
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„Beau is Afraid“, das mit Spannung erwartete Opus Magnum des US-amerikanischen Regisseurs Ari Aster, erreichte in den vergangenen Wochen nie die Top-Positionen der Arthaus-Charts und entwickelt sich an den europäischen Kinokassen zum Flop.

 

Zu Unrecht. Erleben wir doch an der Seite des tragisch kläglichen Helden, grandios verkörpert von Joaquin Phoenix, eine unvergleichliche bildgewaltige ödipale Odyssee durch seelische Untiefen als Spurensuche gesellschaftlicher Machtstrukturen. Beaus Dasein, in jedem Moment von Versagensängsten und Panikattacken geprägt, schnürt uns die Kehle zu, so unerbittlich konzentriert sich die visionäre Horror-Komödie auf ihre opulente Ausweglosigkeit.

 
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„Roter Himmel“ erzählt von einem Sommer an der Ostsee, heiß und trocken, seit Wochen hat es nicht mehr geregnet. Alles dreht sich um die Hoffnungen von vier jungen Menschen, um Liebe, Sehnsucht, aber auch die Unfähigkeit zum Glücklichsein und um den Tod.

 

„Es sind schwebende, wie aus der Welt gefallen Tage“, sagt Regisseur Christian Petzold. Sie erinnern uns an die Komödien von Éric Rohmer wie „Pauline à la plage“ (1984). Wir haben sie unendlich vermisst, ohne uns dessen bewusst zu sein, empfinden nun eine Spur von Wehmut, denn jene Ahnung von Gefahr überschattet die einstige Unbeschwertheit, ein Funke genügt, und die Wälder stehen in Flammen.