Angst vorm Scheitern kennt Francis Ford Coppola nicht, er schwört auf den Sprung ins Ungewisse. Wie damals bei „Apokalypse Now“ (1979) riskierte der heute 85-jährige noch einmal Karriere, Vermögen, seinen Ruf und Gesundheit für ein Filmprojekt.
Das bildgewaltige Opus Magnum „Megalopolis" bezeichnet der legendäre US-Regisseur, Autor und Produzent (Trilogie „Der Pate“) beharrlich als Fabel. Seine atemberaubende futuristische Vision von New Rome ist Vermächtnis und Plädoyer zugleich, vor allem aber auch der leidenschaftlich herbeigesehnte Moment absoluter künstlerischer Freiheit. Was immer Filmkritiker schreiben mögen, entstanden ist unabhängig von Box-Office Einnahmen und Gossip ein Meisterwerk der Metaphorik, der Concept Art.
Konzept-Entwurf des Künstlers Till Nowak, der an der Gestaltung von Megalopolis beteiligt war
In schwindelnder Höhe der Protagonist auf einem schmalen Mauervorsprung des Chrysler Buildings, er beugt sich leicht vor, droht scheinbar in die Tiefe zu stürzen. Aber Cesar Catalina (Adam Driver), der geniale Architekt, Künstler, Utopist und Erfinder des Zauberstoffs Megalon kann die Zeit anhalten, zumindest für jene entscheidenden Sekunden. Was bleibt, ist die Gefahr des Untergangs einer Welt, zerstört durch Selbstsucht, Macht, Geld und Gier. Hier zwischen den Wolkenkratzern der hochverschuldeten City of New Rome, einer dekadent-opulenten Science-Fiction-Variante von New York (die nur sehr entfernt an 64 vor unserer Zeitrechnung erinnert), kämpft Catalina gegen das kapitalistische System und für eine gerechtere Zukunft. Auf hölzernem Catwalk mit Blick über die Skyline zitiert er Shakespeare, legt ohne Zögern Mietskasernen in Schutt und Asche, um Platz zu schaffen für seine betörenden architektonischen Stadtlandschaften aus jenem unzerstörbaren Megalon. Die Gegner wie der pragmatische Bürgermeister Franklyn Cicero (Giancarlo Exposition) leisten Widerstand, beharren auf Stahl und Beton genau wie auf dem gesellschaftlichen Status Quo. Der Bau von Spielcasinos soll Geld in die leeren Kassen bringen.
Konzept-Entwurf des Künstlers Till Nowak, der an der Gestaltung von Megalopolis beteiligt war
Auf den Straßen protestieren zornige Bürger gegen den Abriss ihrer Wohnhäuser, die politischen Ränkespiele spitzen sich zu. High-Society und Entourage wetteifern untereinander in ständiger Selbstdarstellung von Reichtum und Macht. Luxus, Schmuck, Gold überall im Überfluss, es rieselt für sie selbst vom fiktiven Sternenhimmel. Nächtliche Bacchanale mit wechselnder Besetzung, Leere paart sich mit Exzess, das groteske Finale einer Epoche, unglaublich und doch uns seltsam vertraut. Madison Square Garden in Szene gesetzt als strahlende Arena der Dekadenz, ein Kolosseum mit Ben-Hur ähnlichen Rennen und Akrobatik nach Cirque-Soleil-Manier. Dem Niedergang des antiken Roms im New York der Zukunft trotzt unverdrossen die facettenreiche Verführungskunst der Frauen, sie bescheiden sich nicht mit einem Dasein als Objekt der Begierde, ihr Machthunger ist nur geschickter kaschiert als der männliche. Wow Platinum (Aubrey Plaza), attraktiver Medienstar und heimliche Geliebte von Cesar, wechselt zu dem steinreichen hochbetagten Hamilton Crassus III (Jon Voight). Dessen Erbe, Clodio Pulcher (Shia LaBoeuf), ein rachsüchtiger inzestuöser Partyboy mit Ambitionen zum populistischen Führer, lehrt uns das Fürchten.
Laurence Fishburne fungiert für uns als Erzähler und moralische Instanz. Fundi Romaine ist der Chauffeur, Bodyguard und Vertraute von Cesar Catalina. Nichts entgeht seinen wachsamen Augen. Er spürt Veränderungen, lange bevor sie sich ankündigen, besitzt eine tiefe Kenntnis der menschlichen Psyche und empfindet Verachtung für solche, die ihre Mitmenschen ausbeuten und missbrauchen. Unser charismatischer Protagonist braucht einen loyalen Freund wie Fundi, ihn quälen die Gedanken an seine tote Frau, er kokst und trinkt. Bürgermeister Franklin Cicero, früher Staatsanwalt, hatte ihn damals wegen Mord unter Anklage gestellt. Nun will es das Schicksal, dass Tochter Julia (Nathalie Emmanuel) sich in Cesar, den Widersacher ihres Vaters, verliebt. Familie, auf sie zählt Francis Ford Coppola in einer unsicheren Welt voller Bedrohungen.
Die Stimme aus dem Off: „Wann geht ein Imperium unter? Kollabiert es in einem einzigen furchtbaren Moment? Nein, nein, aber es kommt eine Zeit, in der sein Volk nicht mehr daran glaubt.“ „Megalopolis“ wechselt ständig zwischen Stilen, Techniken und Genres: Neo Noir, Erlösungs-Drama, Science-Fiction-Epos, Polit-Thriller, Love-Story, Familien-Chronik, und doch trifft kein Begriff auch nur annähernd den eigentlichen Kern des Werks.
In „Apocalypse Now“ bombardieren Hubschrauber ein Dorf zu den dröhnenden Klängen von Wagners „Walkürenritt“. „Mein Film ist nicht über Vietnam, er ist Vietnam“, sagte Francis Ford Coppola damals nach den Dreharbeiten. Er inszenierte Schlachten, als würden sie sich tatsächlich ereignen. 45 Jahre sind vergangen, das visionäre Meisterwerk ist als Antikriegsbeschwörung Teil unseres kollektiven Bewusstseins geworden, Inbegriff des menschlichen Zynismus, von Wahnsinn, Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit, dem Verlangen nach Selbstzerstörung. Wie dem Schrecken Einhalt gebieten?
„Megalopolis“ ist die Antwort darauf. Mit der gleichen Radikalität kreiert Francis Ford Coppola diese Utopie, will mehr sein als Systemkritik an einer grotesk bigotten gierigen Welt, in der jeder Deal unter den wenigen Mächtigen ausgehandelt wird. Das Volk, die Befehlsempfänger, leben verborgen in diesem aus der Distanz so wundervoll anzusehenden Moloch.
Häuser, Straßen, Brücken, miteinander verwachsen. Selten trat der Abstand zwischen Reich und Arm so visuell zutage, ist doch der einzige wirkliche Berührungspunkt zwischen Prekariat und den Entscheidungsträgern ein Schuss aus dem Revolver eines Elfjährigen. Grade hat ihm Cesar Catalina huldvoll erklärt, auch er wäre mal elf Jahre alt gewesen.
„Megalopolis“ polarisiert, wird oft missverstanden: Wenn Francis Ford Coppola von einem experimentellen Film spricht, dann nicht wie manche Kritiker glauben, weil er den guten alten Split-Screen gegen Ende noch einmal bemüht, sondern das zeitliche Nebeneinander von Gedankenexperimenten und kritischen Spiegelbildern der historischen Wirklichkeit: die Utopie. Das Interesse daran erwachte früh, Francis war noch ein Kind, als er H. G. Wells „Things to Come“ (1936) sah. Die Faszination an der Konstruktion einer Welt von morgen blieb. In seinem Director’s Statement macht er klar, wie es ihm missfällt zu lesen, er habe 40 Jahre an dem Drehbuch gearbeitet. Tatsächlich aber sammelte er in einem Scrapbook Notizen und Ausschnitte, politische Cartoons und historische Sujets. Erst nach längerer Zeit entschied er sich für die Idee eines römischen Epos. Und später für den Schauplatz Amerika und erst viele Jahre danach begann er mit dem Schreiben des Scripts. Coppola hatte so viele Filme über die verschiedensten Themen in den verschiedensten Stilen gedreht, dass er auf ein Projekt hoffte, durch das er besser verstehen würde, was sein persönlicher Stil sei. So entwickelte sich „Megalopolis“. Der Regisseur traf sich im Sommer 2001 in New York mit Robert De Niro, Paul New, Leonardo DiCaprio, Uma Thurman, James Gandolfini, Russell Crowe und anderen Schauspielern zu Drehbuchlesungen. Dann am 11. September 2001 die Terroranschläge. Manchmal war der Regisseur kurz davor, das Projekt aufzugeben, aber nahm es immer wieder in Angriff. Die Welt veränderte sich, und das Drehbuch auch. Den Film widmete er seiner Ehefrau und Mitstreiterin Eleanor Coppola, die im April dieses Jahres starb.
Chaos verkörpert für den 85-jährigen Filmemacher die Quelle aller Kreativität. Ob Quantenmechanik oder Relativitätstheorie, die Zeit steht still, wenn er die Naturgesetze aushebelt. Die gegensätzlichsten Eindrücke stürmen unaufhörlich auf uns ein, Referenzen, Zitate, Gedanken, Theorien, Show-Einlagen. Francis Ford Coppola verbindet sie zu einem atemberaubenden Gesamtkunstwerk, er liebt Amerika, er liebt seine Familie, konfrontiert mit der eigenen Vergänglichkeit schreibt er verzweifelt gegen den Untergang des antiken Roms an, und meint doch den Traum von der Demokratie und der Freiheit. Es war oft ein einsamer Kampf und ist es noch, wären da nicht die Philosophen, Autoren, Dichter, Regisseure und Wissenschaftler, die ihn prägten, inspirierten, ihm zur Seite stehen: G.B. Shaw, Voltaire, Rousseau, Emerson, Shakespeare, Spinoza, Plato, Goethe, Murnau, Spinoza, Ibsen, Abel Gance, Fellini, Visconti, Kubrick, Bergman, Tolstoi, Fournier, Ruskin, Hesse, Einstein, Ovid. Wir spüren den Schmerz, die Dringlichkeit, es ist ein Wettlauf gegen die Zeit. Er, der seiner Zeit immer voraus war, bleibt dem zentralen Thema der Zeit in Form des Science-Fiction-Epos treu. Kurz tauchen Schwarz-Weiß-Aufnahmen von Hitler und Mussolini auf, als Erinnerung daran, dass noch Hoffnung besteht, die Welt denen zu entreißen, die sie zerstören wollen.
Entstanden ist ein schillerndes Manifest über die Rolle des Künstlers in der modernen Gesellschaft, er soll, nein muss die Politiker ablösen. Nicht das Ränkespiel der Mächtigen fasziniert, sondern die Symbolkraft von Megalopolis selbst, künstlerisch einzigartig in der Kinogeschichte. Wo Worte längst an ihre Grenzen stoßen, sind die Metaphern, jene irrwitzig schönen und beunruhigenden Kreationen der Weg zur Utopie. Francis Ford Coppola verwandelt die Kulisse, den Schauplatz zum eigentlichen Protagonisten.
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Regie: Francis Ford Coppola
Drehbuch: Francis Ford Coppola
Darsteller: Adam Driver, Giancarlo Esposito, Nathalie Emmanuel, Aubrey Plaza,Shia LaBeouf, Laurence Fishburne, John Voight
Produktionsland: USA, 2023
Länge: 138 Minuten
Kinostart: 26. September 2024
Verleih: Constantin Film
Fotos, Pressematerial & Trailer: © Constantin Film
Mit Dank an Francis Ford Coppola und Till Nowak für die Concept Art-Abbildungen.
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