Film

François Ozon inszeniert seine elegante nostalgische Kriminalkomödie „Mein fabelhaftes Verbrechen" als scharfzüngiges Plädoyer für den Feminismus. Die zärtlich-ironische #MeToo-Farce spielt mit dem Absurden und den Parallelen von Theater und Justiz.

Man spürt das Vergnügen des französischen Regisseurs, die Art-Deco-Atmosphäre zu rekonstruieren, jedes Set besitzt seinen ganz eigenen architektonischen Stil, spiegelt Gefühle und Handlung wider. Das Kino der Dreißiger Jahre wird indirekt selbst Thema: Die Screwball-Comedy mit ihren rasanten Dialogen, der Glamour von Ernst Lubitsch und der poetische Realismus von Jean Renoir.

 

François Ozon ist derzeit einer der produktivsten und vielseitigsten Autorenfilmer Frankreichs, ständig wechselt er die Genres, Drama, Musical, Thriller, Komödie. Oft basieren seine Filme lose auf literarischen Vorlagen und immer wieder finden sich darin Reminiszenzen an Vorbilder wie Douglas Sirk, Luchino Visconti, Joseph L. Mankiewicz, Billy Wilder, Pedro Almodóvar und vor allem Rainer Werner Fassbinder. Sein großer Durchbruch gelang ihm im Jahr 2000 mit „Unter dem Sand“, Charlotte Rampling spielt eine 50jährige, die den Tod ihres Mannes nicht überwinden kann. 2022 eröffnete seine Fassbinder-Adaption „Peter von Kant“ die Berlinale.

 

„Der Tonfilm erschien mir schon immer als die Kunst der Lüge schlechthin“, erklärt der Regisseur, seit langem wollte er eine Geschichte um einen falschen Beschuldigten oder eine falsch Beschuldigte erzählen. Als er das 1934 von Georges Beer und Louis Verneuil verfasste Theaterstück „Mon crime“ entdeckte, wußte Ozon, es ist die perfekte Gelegenheit, sich mit dem Stoff zu befassen. Er behielt den historischen und politischen Kontext der 30er Jahre bei, aber adaptierte die Handlung frei, und stellte sie ab auf die aktuellen Fragen rund um die Machtverhältnisse und Einflussnahme in Beziehungen zwischen Männern und Frauen. „In Zeiten kollektiver Depression“ so der Filmemacher, „verspürte ich das Bedürfnis zu Fantasie und Leichtigkeit zurückzukehren, um die harte Realität der Gegenwart besser ertragen zu können.“ Ideales Genre: die Screwball-Komödie mit ihren verrückten, unerwarteten dramatischen Situationen, aus denen sich die Protagonisten befreien müssen.

 

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Paris, in den 1930er Jahren. Die hübsche, aber erfolglose junge Schauspielerin Madeleine Verdier (hinreißend Nadia Tereszkiewicz) und ihre beste Freundin, die intelligente junge Anwältin Pauline (Rebecca Marder), ebenfalls erfolglos, sind bereits mit fünf Monatsmieten im Rückstand für die dunkle, winzige Mansarde, wo sie sich ein Bett teilen. Nun droht ihnen der Hauswirt mit Rausschmiss. Es geht ums bloße Überleben. Da klingelt es an der Tür, die Polizei ermittelt, der berühmte Theaterproduzent Montferrand wurde in seiner Villa ermordet aufgefunden, dort wo die blonde Schauspielerin an diesem Nachmittag einen Termin zum Vorsprechen hatte und sich dem sexuellen Übergriff nur durch Flucht entziehen konnte. Madeleine beteuert, die Tat nicht begangen zu haben, aber dann, auf den Rat ihrer Freundin, gesteht sie das Verbrechen, obwohl sie unschuldig ist. Pauline entwickelt eine raffinierte Verteidigungsstrategie. Der Prozess beschert Madeleine jene lang ersehnte mediale Aufmerksamkeit. Ihr wohl einstudierter Auftritt vor Gericht rührt Publikum und Richter. Mit dem Freispruch wegen Notwehr beginnt der kometenhafte Aufstieg des Jungstars und ein Leben im Luxus, umworben von Verehrern, darunter auch ein gesellschaftlich verheißungsvoller Anwärter, unser Herz schlägt nicht für ihn.

 

Als sich unerwartet Stummfilmdiva Odette Chaumette (grandios Isabelle Huppert mit der Überheblichkeit einer alternden Sarah Bernard) einmischt, wird die Situation brenzlig. Die furchtlose Exzentrikerin fühlt sich um ihr Verbrechen betrogen und pokert hoch. Doch an der Wahrheit ist, wie so oft, eigentlich keiner interessiert. In dem Theaterstück von Georges Beer und Louis Verneuil war Chaumette übrigens ein Mann, Ozon amüsierte es, seine Dialoge beizubehalten. Sie klingen ein wenig vulgär, aber aus dem Mund der femininen Isabelle Huppert erhalten sie einen einzigartig komischen Effekt. Auch in seinem 22. Film zerlegt der Regisseur Klischees kunstvoll genießerisch in ihre Bestandteile. Herrschte in der wundervollen Krimi-Farce „8 Frauen" (2002) trotz Abgesang auf das Patriarchat noch ein heftiger Zickenkrieg zwischen den Beteiligten, werden Madeleine und Pauline als Vorkämpferinnen von #MeToo trotz aller Gegensätzlichkeit nie Rivalinnen und das gilt auch der älteren Kollegin gegenüber. Die karrieregierigen, lüsternen Männer dagegen enden meist als klägliche Verlierer und doch ist jede Figur für sich kleines Meisterwerk.

 

Nadia Tereszkiewicz („Forever Young“, 2022) über ihre Rolle: „Mir gefiel die Idee, eine Schauspielerin zu verkörpern, die ständig schauspielert. Wie drückt man seine Aufrichtigkeit aus, wenn man schauspielert und somit lügt? Das ist die Frage, die sich alle Schauspieler stellen. Meine Antwort war, immer auf Madeleines Seite zu sein, aufrichtig in jeder Situation. Ich glaube an sie. Sie ist spontan, sie plant nie etwas im Voraus. Sie geht ihren Weg, so gut sie kann: in einem Moment selbstmordgefährdet, im nächsten fröhlich und voller Vorfreude auf dem Weg ins Kino. Wir sehen sie verliebt, schelmisch sogar manipulativen, aber immer für eine gute Sache. Sie ist rein, auf ihre Art (…). Madeleine ist opportunistisch und sucht Aufmerksamkeit, aber sie erkennt auch, dass sie dazu beitragen könnte, die Stellung der Frau zu verbessern. Zunächst mit einer gewissen Unschuld, dann mit Überzeugung wird sie zur Sprecherin in einer patriarchalischen Gesellschaft, in der Frauen nicht einmal das Wahlrecht oder ein eigenes Konto besitzen.

 

In den 30ern hatten Frauen im Grunde nur die Wahl, eine rechtmäßige Ehefrau oder eine heimliche Mätresse zu sein. Madeleine und Pauline wollen diesem Zustand entkommen. Sie tun alles, was nötig ist, um ihre weibliche Autonomie zu erlangen. Sie kämpfen, so gut sie können, mit den Waffen, die ihnen zur Verfügung stehen, instinktiv, manipulativen, aber ohne Zynismus oder Bosheit. Sie könnten unsympathisch erscheinen, und doch sind wir auf ihrer Seite. Sie verteidigen eine Sache, ihre Sache, die Sache der Frau. In seiner Adaption des Originalstücks unterstreicht François Ozon die überraschenden Resonanzen mit unserer Zeit. Sein Film ist zutiefst feministisch. Als ich das Drehbuch las, hat mich die schwesterliche Beziehung zwischen Madeleine und Pauline sehr bewegt. Sie ist stark, unzerstörbar. Sie wollen es schaffen- zusammen! Sie halten sich gegenseitig den Rücken frei. Und sie solidarisieren sich mit Odette Chaumette, obwohl sie diese als Bedrohung sehen könnten, die es auszuschalten gilt. Stattdessen bieten sie ihr ein Comeback an. Es gibt keine Eifersucht. Ihre gemeinsame Emanzipation ist alles, was zählt.“

 

Rebecca Marder („A Radiant Girl", 2021) über Pauline: „Meine Figur ist anfangs Madeleines beste Freundin, ihre Schulter zum Ausweinen, ihre Vertraute. Zu Beginn scheint sie die Stärkere von beiden zu sein, aber hinter ihrer durchsetzungsfähigen Persönlichkeit erkennen wir, dass sie zerbrechlich ist, besonders in Herzensangelegenheiten. Und doch ist sie nicht eifersüchtig auf Madeleine. Pauline und Madeleine sind beste Freundinnen. Ich habe mir vorgestellt, dass Pauline eine Art symbiotische Liebe für Madeleine empfindet, eine Mischung aus romantischer Liebe und Bewunderung. Der Film deutet dies nur an, nichts ist explizit. Und genau das macht Pauline sowohl stark als auch sympathisch. Wir nehmen ihre Gefühle wahr und können sie interpretieren, wie wir wollen. Auf den ersten Blick mögen Pauline und Madeleine wie klassische Rivalinnen wirken, die Blonde gegen die Brünette, die hochnäsige Schauspielerin gegen die kluge Anwältin. Aber ihre Verbundenheit und ihre Komplizenschaft geben ihnen eine Stärke, mit der man rechnen muss. Dieses Duo ist fest zusammengewachsen und solidarisch. Beide sind sehr klug, aber darüber hinaus sind sie Verbündete. Sie trauen sich, ihre Meinung zu sagen. Die eine traut sich, Schauspielerin zu sein, die andere als Anwältin zu arbeiten. Sie gehen Risiken ein. Sie wetten auf ihren ihre Zukunft als Frauen.

 

Ihre Beziehung ist selbst eine Geschichte über den Status von Frauen, den Druck, der auf Frauen lastet und die Revolution, die sie anstoßen- weit entfernt von den gehässigen Klischees, die sie dazu bringen würden, sich gegenseitig zu zerfleischen. Ich sehe das Ende des Films als ironisches Augenzwinkern und als Anspielung auf Meisterwerke wie Mankiewicz „Alles über Eva“ (1950), wo die Schauspielerinnen Rivalinnen sind, die sich gegenseitig die Augen auskratzen. Das ist anders in „Mein fabelhaftes Verbrechen“. Als Pauline ihre Freundin Madeleine und Odette auf der Bühne triumphieren sieht, weiß sie, dass dies möglich war, weil sie sich gegenseitig unterstützt haben. Und wie sie Sexismus und Vorurteilen eine Nase drehen, rührt Pauline zu Tränen.“

 

Wie kaum ein anderer Regisseur entwickelt François Ozon jedes Mal dieses verblüffende unnachahmliche Gespür für die heimlichen Stärken seiner Protagonistinnen, er wird ihr Komplize, ihr Vertrauter wie in „Jung & Schön“ (2013). Ungewohnt behutsam inszenierte er das Porträt einer 17jährigen Schülerin, die sich selbst zum obskuren Objekt der Begierde stilisiert. Hinreißend: Marine Vacth als geheimnisvolle “Belle de Jour”. Wenn etwas in diesem Film zu provozieren vermochte, dann jene raffiniert unspektakuläre Selbstverständlichkeit mit der Ozon seine Geschichte erzählt und seine Heldin ihre Entscheidungen trifft. Um Entscheidungen drehen sich seine Filme immer wieder, gleich welchen Genres. Das elegische Nachkriegs-Epos „Frantz“ (2016) mit Paula Beer in der Hauptrolle schilderte die schmerzhafte Verstrickung von Trauer, Träumen, Schuld und Liebe als deutsch-französische Ménage-à-trois. Der Tod trennt nicht, sondern verbindet, die Suche nach Vergebung gerät zur sinnlich-melancholischen Odyssee. Eigentlich aber dreht sich in „Frantz” alles um jene hohe Kunst des Erzählens, wo der Verlauf einer Geschichte vom Zuhörer selbst beeinflusst wird.

 

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Mein fabelhaftes Verbrechen

Originaltitel: Mon crime

Regie: François Ozon

Drehbuch: François Ozon

Produktionsland: Frankreich, 2022

Darsteller: Nadia Tereszkiewicz, Rebecca Marder, Isabelle Huppert

Länge: 102 Minuten

Verleih: Weltkino

 

Fotos, Pressematerial & Trailer: Copyright Weltkino

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