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jazzahead  Ein Überblick zum Landespartner: Die dänische Jazz-Szene II

Dänemark ist das diesjährige Gastland der Bremer „jazzahead!“ was heißt, dass Jazz aus Dänemark besondere Aufmerksamkeit zuteil wird.
Die Dänen kommen, aber welche? Das musste eine Jury (2) hörend, den Kopf zerbrechend und diskutierend herausfiltern. Wie zu vernehmen war, war dies ein besonders intensiver und lebhafter Prozess.

Bremer Dänentopf
Als Ergebnis präsentiert Bremen eine ganz eigene und – wenn man so will – eigenwillige Mischung musikalischen Gewächses von den dänischen (Halb-)Inseln. Es sind vor allem jüngere Gruppen und Musiker. Schön ausgewogen vier Gruppen von eher klassischer Jazzausrichtung (Phronesis, Aske Drasbæk, Snorre Kirk und Søren Bebe) und vier Gruppen, deren Musik sich aus Pop- und Weltmusikgefilden nährt oder in diesen Bereich hinüberfließt (Foyn Trio, Girls In Airports, Ibrahim Electric und die Großformation "Blood Sweat, Drum+Bass").

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Bei der Vorgabe von acht Präsentationen ist es unumgänglich, Akzente und Schwerpunkte zu setzen. Das Kalkül der Jury – sie bestand ausschließlich aus Programmverantwortlichen von Veranstaltern aus verschiedenen europäischen Ländern – ist klar: es wird stark auf die jüngere Generation gesetzt und auf ein Gleichgewicht von bekannten Formaten und Öffnungen etwa in den Popbereich. Also Verjüngung angesagt wie es scheint.

Große Namen der mittleren und älteren Generation sowie freie Improvisation und Übergangsbereiche zu Neuer Musik fehlen dagegen vollständig. Namen, die international zählen, aber in Deutschland und einer Reihe von anderen europäischen Ländern bisher noch wenig eingeführt und bekannt sind wie etwa Jakob Bro, Nikolaj Hess, Kresten Osgood, Jakob Anderskov, Caroline Henderson sind nicht vertreten. Zum Glück hat die „jazzahead!“ in ihrem Programmrahmen ein paar Möglichkeiten, das etwas auszugleichen. So treten ein paar große dänische Musiker wie die Perkussionistin Marilyn Mazur, der Pianist Carsten Dahl und der Trompeter Palle Mikkelborg im Rahmenprogramm auf.

Dann zum 4+4-Aufgebot, das sich am Donnerstagabend, 24. April, in Bremen präsentieren wird. Die ersten vier: zwei etablierte neue Gruppen aus Kopenhagen eingerahmt von zwei Konstellationen, die stark mit Århus im Nordwesten von Dänemark verbunden sind. Die zweiten vier: zwei Gruppen der allerjüngsten Generation eingerahmt von zwei deutlich gegensätzlichen Pianotrios.

Das Foyn Trio ist ein um die junge norwegische Vokalistin Live Foyn Friis gruppierter Dreier (also eigentlich ein Quartett). Foyn Friis ist ein weiteres, nicht nur gesangliches, sondern auch kompositorisches Supertalent aus dem Norden, das bereits sein ganz eigenes markantes und attraktives Profil ausgebildet hat. Der Dreier setzt sich aus dem Gitarrist Alex Jønsson, dem Bassisten Jens Mikkel Madsen und dem Schlagzeuger Andreas Skamby zusammen. Verstärkt wird das Ganze noch durch ein komplettes junges Streichquartett. Klotzen statt kleckern also. Alex Jønsson ist zudem ein eigenwilliger Gitarrist, der bereits seine Spuren mit einem eindrucksvollen Debutalbum (The Lost Moose) hinterlassen hat.

Wiewohl Froyn Friss bereits ihr eigenes Ding macht, ist der Einfluss von CocoRosie und Devendra Banhart unüberhörbar. Keine schlechte Inspirationsquelle, aber die Frage ist, wie sich das im Nachfolgemodus – ohne die dazugehörige Popmystik – auswirken wird. Foyn webt – u.a. mit Videos – fleißig am exquisiten Imago. Johanna Borchert und Elena Setien haben mit ihrem Duo Little Red Suitcase vor einiger Zeit bereits den Boden für diese Art von Musik bereitet.

Girls In Airports
Zwei Saxophonisten/Klarinettisten, Martin Stender und Lars Greve, taten sich mit zwei Perkussionisten, Victor Dybbroe und Mads Forby, unter der Hut eines Keyboarders, Mathias Holm, zusammen. Daraus entstand (die Musik von) Girls In Airports. Was aber kann man mit einer solchen Besetzung außerhalb der vorgebahnten Jazz-Wege für Musik machen? Zumal, was für ausgreifende, groovende Musik? Musik etwa auf der Linie von „Riders In The Storm“ (The Doors) oder „Are You Going With Me“ (Pat Metheny)?

Ohne Bass oder Gitarre ist es schon eine Herausforderung. Die Musik wird viel kreisender ätherischer, fließender klingen, mit rhythmischer Nuancierung darunter (Video 1). Oder der Rhythmus ist so bestimmend, dass die Bläser ihn verstärken und zum Schwellen bringen müssen (Video 2). Beiden Modalitäten begegnet man in der Musik von Girls in Airports. Clou dabei ist, dass die Gruppe ihre Riffs und ihre zyklisch sich selbsterneuernden Melodielinien nicht einfach nur straight und glatt spielt, sondern Raum aufbaut, in dem die Musik in sich selbst widerklingt und zudem mit scheuernd-schleifenden Klängen fortwährend spektrale Texturen einwebt, Texturen, die großenteils aus dem Freejazz kommen, hier aber ganz neu kontextualisiert werden. Mit einer solchen Arbeitsweise, - bei der harmonische Komplexität und Sophistication nicht mehr an der Oberfläche ausgespielt wird - gerät der Fünfer fast unweigerlich ins Fahrwasser ‘fremder’ Rhythmen, die das Ganze treiben, durchscheinen oder hineinschmelzen. Melodik mit spannungsvoller Klangentfaltung/-aufspaltung und Bewegung im und durch den Raum mit rhythmischen Mustern als Basis, das ist in der Musik von GiP angesagt. Ein Trend, den GiP zusammen mit einer ganzen Reihe von jungen Gruppen angestoßen haben.

Ibrahim Electric, das ist Gitarrist Niclas Knudsen, Orgelmann Jeppe Tuxen (Hammond B3) und Schlagzeuger Stefan Pasborg. Es ist ein Dreigespann vom Schlage der Jam-Bands à la Marco Benevento oder Medeski, Martin & Wood. Die drei, die in den verschiedensten avancierten Jazzgefilden ihren Mann stehen, haben sich hier speziell zusammengetan, um so richtig ungezügelt groovend loszulegen und schamlos knallend die Sau rauszulassen. Auf ihrem letzten, dem siebenten Album Isle Of Man fügen sie dem noch eine gewitzte reflexive Note hinzu. Das Album bekümmert sich im Golem-Modus um tief sitzende, liebgewonnene, ausgewohnte etc. Mulden männlichen Fühlens, Wühlens und Treibens. Dabei kommen u.a. der Appman, Caveman, Reversoman, Boogeyman, Superman vorbei. Dass sie zwei Live-Albums mit Bone-man Ray Anderson aufgenommen habe, wundert nicht. Es war und ist ein perfekter Match.

Blood, Sweat, Drum+Bass
Das siebenundzwanzigköpfige BSD+B könnte als Ad-hoc-Formation erscheinen, ist diesem Stadium aber längst entstiegen. Das Ensemble aus dem nordjütländischen Århus unter der beseelten Leitung Jens Christian "Chappa" Jensen ist nunmehr seit mehr als zehn Jahren national und langsam auch international zu einer festen Größe und zu einem Signum des Århus’ Weges geworden. In Größe, Arbeitsweise und Offenheit allenfalls mit dem französischen Orchestre National du Jazz oder der Norbotten Big Band vergleichbar, hat man seit dem Beginn als Gelegenheitsformation in 2001 eine Reihe von starken Wegmarken gesetzt. Dazu gehört die Zusammenarbeit mit bekannten Musikern wie Geir Lysne , Arve Henriksen, Jørgen Munkeby (The Shining), Palle Mikkelborg, Dave Douglas, Dave Liebman sowie den Vokalisten Gunhild Overegseth und Turid Guldin. Mit dem Programm On The Road To Damascus, das 2010 bei einem dänisch-finnischen Studienaufenthalt in Damaskus seinen Anfang nahm, wagte sich die Århus' Großformation unter Mitwirkung von Musikern aus dem Nahen Osten (Essam Rafea, Maher Mahmoud, Ûd, Moslem Rahal, Ney, und Perkussionist Habib Meftachfra) an ein Unternehmen wechselseitiger klanglicher Befruchtung, das sich seitdem konsolidiert und angesichts des grausamen Bürgerkriegs zusätzliche Brisanz gewonnen hat. Für den Bremer Auftritt bringt Århus selbst noch ein Streichquartett in Stellung.

Im klassischen Jazzformat zwei höchst gegensätzliche Pianotrios, einmal das hochdynamisch stürmende Phronesis und dann das abgemessen delikat-lyrische Trio von Pianist Søren Bebe. Dazwischen zwei Jüngstspunde mit ihren Gruppen, der Schlagzeuger Snorre Kirk und der Baritonsaxophonist Aske Drasbæk.

Phronesis
Die Gruppe des dänischen Bassisten/Komponisten Jasper Høiby, ist zur Zeit eines der erfolgreichsten jungen Jazztrios in Europa. Zu der Gruppe gehört neben Høiby der britische Pianist Ivo Neame und der schwedische Schlagzeuger Anton Eger. Sie alle sind Ecksteine eines Netzwerks von weiteren äußerst erfolgreichen Gruppen, die ab dem Jahre 2005 an den Start gingen. Sowohl Høiby als Eger spielen in der Gruppe des norwegischen Shooting-Stars Marius Neset. Neame und Høiby sind Teil des hoch im Kurs liegenden britischen Kairos 4tets. Während Neame und Høiby in London studierten und im dortigen Loop-Collective aktiv wurden, studierten Neset und Eger in Kopenhagen bei Django Bates, womit sicher der anglo-skandinavisch Kreis schließt. Das Trio, das gerade sein fünftes Album, Life To Everything, herausgebracht hat, dürfte für längere Zeit ausgebucht sein. Phronesis gelingt es, enorme Spielenergie, Leichtigkeit und Dynamik mit Komplexität und Eingängigkeit auf beeindruckende Weise miteinander zu verbinden und den hohen Spielstandard beständig zu realisieren.

Snorre Kirk Quintet
Schlagzeuger Kirk von der jüngsten Generation hat im letzten Jahr sein erstes Album, Blues Modernism, veröffentlicht. Es ist intelligente forward-retro Musik. Kirk nimmt sich
Der Klassiker, etwa aus der Swing-Ära, an und entdeckt daran die Effektivität, Eleganz und Authentizität der Einfachheit von Mitteln neu wie die Samples seines Albums und ein schwedisches Video mit seiner Ausführung von Juan Tizols Perdido zeigen. Er verhilft einer alten Drummer-Tugend zu neuer Geltung und weiß damit heutigen Neigungen zur Übertönung überzeugend etwas entgegenzusetzen.

Aske Drasbæk Group
Auch der Saxophonist Aske Drasbæk gehört zur allerjüngsten Generation. Drasbæk entdeckte seine Vorliebe zum Baritonsaxophon und gehört damit zu einer steigenden Anzahl junger Musiker, die sich vom Klang dieses Instruments angezogen fühlen. In seinem Falle, wie könnte es anders sein, durch das Spiel des legendären schwedischen Baritonsaxophonisten Lars Gullin. Ähnlich wie zum Beispiel die französische Saxophonistin Céline Bonacina widmet Drasbæk sich kompositorisch und im Zusammenspiel ausschließlich diesem Instrument. Drasbæk schlägt sich auf seinem Debutalbum Old Ghost mit seinem Spiel eher auf die lyrische Seite (siehe auch den geistreichen Teaser dazu) und arbeitet darauf abgestimmt mit der auffallenden Besetzung von zwei elektrischen Gitarren, die ein Bett und ein wunderbar helles, fließendes Gegengewicht zum Baritonklang schaffen können.

Søren Bebe Trio
Bebe hält mit seinem räumlichen Spiel die Kunst des delikat-lyrischen Pianotrios auf der Höhe der Zeit. Es darf dann auch nicht verwundern, dass er sein neuestes Album Eva im letzten Jahr mit Marc Johnson, dem letzten Bassisten des Pianotrioklassikers Bill Evans, aufnahm. Entsprechend ausbalanciert und tief klingt die Musik dieses Albums. Sein eigenes Trio, das sich auch bereits international bewiesen hat, steht dem in nichts nach. Neben Johnson hat Bebe mit den Saxophonisten Bill McHenry und Joakim Milder gespielt.

Vielfältige Vielfältigkeit! Freude am Faltenwurf und daran, wie die Falten fallen … Nun sind das Publikum und diejenigen, die die Wahl fürs liebe Publikum treffen, gefragt und herausgefordert. Herausgefordert beim Finden ansprechender, inspirierender, erfreuender, begeisternder Falten, beim Finden von Passendem.


(2) Als Jurymitglied der Danish Music Awards Jazz 2013 hatte ich die Möglichkeit, alle im letzten Jahr von Jazzmusikern aus Dänemark herausgebrachten Alben näher kennenzulernen. Die Darstellung kann nur selektiv und exemplarisch verfahren. Grosse Ensembles, Big Bands sowie die Rolle von Plattenfirmen, von Radio und Presse bleiben hier weitgehend ausgespar.


Abbildungsnachweis:
Header: Farbvariation eines Details des Buch-Covers „Jazz i Danmark 1950-2010", Olav Harsløf, Politikens Forlag, 2011
Galerie:
01. Marilyn Mazur. Foto: Karolina Zapolska
02. Palle Mikkelborg. Quelle: Wickicommons.
03. Froyn Trio. Foto: Simon Skipper
04. Girls in Airports
05. Ibrahim Electric
06. Phronesis (street photo)
07. Søren Bebe. Foto: Ditte Valente

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