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Wie schreibt man eine Kritik über ein Konzert des Jugendorchesters der Ukraine? Wie über ein Konzert junger Musiker eines Landes, das sich seit Jahren gegen einen Aggressor verteidigen muss? Was empfinden die Musiker, wenn in der nicht so weit entfernt liegenden Heimat möglicherweise Brüder, Freunde, Väter kämpfen, verwundet oder gestorben sind, während sie in Deutschland konzertieren? Werden die Streicher und Streicherinnen den Bogen möglicherweise das eine oder andere Mal etwas sforzatierter, als es normalerweise zu erwarten wäre, einsetzen? Wird der Klang der Blechbläser einen militärischen Ton evozieren oder ganz im Gegenteil: den Atem des Friedens hauchen?

 

Fragen über Fragen, die sich unweigerlich vor Beginn des Konzertes im Rahmen des Schleswig-Holstein- Musikfestivals in der Thormannhalle in Rendsburg/Büdelsdorf einstellten.

 

Und dann beginnt das Konzert unter der Leitung von Piero Lombardi Iglesias, ganz ohne die das Militär assoziierenden Bläser und ohne Schlagwerk. Auf der Bühne erklingen nur Streichinstrumente. Welch konsequent reduktive Idee des Komponisten! „Maria`s City“ heißt dieses Werk des ukrainischen Komponisten Zoltan Almashi, nicht Mariupol`s City – es ist also von nationalistischen Ansprüchen befreit und befriedet. Gewidmet ist es allerdings der im russischen Angriffskrieg zerstörten ukrainischen Stadt Mariupol. Der solistische Beginn scheint klangmalerisch die Wellen des Meeressaums darstellen zu wollen, entstehendes Aufblühen. Die creszendierenden Streicher scheinen ihr Instrument streicheln zu wollen (streicheln als Intensivbildung von streichen!), bis dann doch in der Mitte des Stücks heftig sfz-Dissonanzen Angriff und Zerstörung darstellen, um schließlich zum aufblühenden milden Anfang des Stückes zurückzukehren und harmonisch zu enden, dies allerdings mit einem vorher bewusst „verstimmten“ tiefen Einzelton des Solo-Konzertbassisten. Am Ende keimt in Form einer zarten, zerbrechlichen Melodie Hoffnung auf – Hoffnung auf ein Ende des Krieges, Hoffnung auf Zukunft. Ein beeindruckendes Werk, uraufgeführt am 21. Juni 2022 in Graz, das völlig zu Recht schon mehrfach von verschiedenen Klangkörpern an verschiedenen Orten weltweit aufgeführt wurde.

 

Genussvolle Tiefe, umarmende Wärme

Ein weiterer Höhepunkt folgte mit Edgar Elgars schwelgendem, von überwiegend melancholischen Stimmungen geprägtem Cellokonzert e-Moll in vier Sätzen. Es ist das letzte vollendete eigenständige Werk Elgars, uraufgeführt am 27. Oktober 1919 in London, ein Jahr nach Ende des Ersten Weltkriegs. Tragik und Abschiedsstimmung bestimmen dieses Werk, dessen Entstehung überschattet ist von den Ereignissen der Zeit: vom gerade vergangenen Kriegsgeschehen, von der Krankheit Elgars Ehefrau Alice, von der eigenen gerade erfolgten Entlassung aus dem Krankenhaus. Ein halbes Jahr nach Fertigstellung der Komposition stirbt Alice. Edgar Elgar sah sich künftig außerstande, weitere neue Werke zu komponieren. Auf große Orchesterklänge hat Elgar in diesem Cellokonzert verzichtet.

 

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Jugendsinfonieorchester der Ukraine. © Lecerne Festival. Foto: Priska Ketterer


Kammermusikalische Klänge sind es, die von Streichern und einigen wenigen Holzbläsern gestaltet werden. Beim Konzert mit dem ukrainischen Jugendorchester dominierte hier in äußerst sympathischer Weise Uladzimir Sinkevich am Violoncello, Cellist der Berliner Philharmoniker, geboren in Belarus. Selten hört man einen so warmen Ton in allen Lagen des Instruments: genussvolle Tiefe, umarmende Wärme in der Mittellage, elegant violinistische Strahlkraft in hoher Lage, virtuos, hochmusikalisch, leidenschaftlich, einnehmende Klangpracht. Auch die dankbar begleitenden jungen Instrumentalisten applaudierten am Ende dem großartigen Solisten.

 

Hoffnungsvolle Lichtblicke

Zum Abschluss des Konzertnachmittags erklang Robert Schumanns Sinfonie Nr. 1 B-Dur op. 38, die von Schumann selbst als „Frühlingssinfonie“ bezeichnet wurde. Inspiriert wurde Schumann von einem Frühlingsgedicht Adolf Böttgers: „O wende, wende, deinen Lauf / Im Thale blühet Frühling auf“, heißt es dort. Diese Worte lassen sich unschwer dem Kopfmotiv unterlegen. Und tatsächlich: Der Saal schien aufzublühen. Dem Dirigenten Piero Lombardi Iglesias gelang es durch kluge Tempowahl, äußerst überzeugende dynamische Klang-Differenzierung, geschickte artikulatorische Winke und ein sehr eindeutiges Dirigat einen jugendlich glanzvollen Orchesterklang zu kreieren. Selbstbewusst eröffneten Hörner und Trompeten den ersten Satz, schmetterten rhythmisch markant-punktiert „Im Tha-le blü-het Früh-ling auf!“. Alles weitere entwickelte sich dank der hervorragenden jungen Musiker organisch-werkgerecht und somit hochmusikalisch.

 

Selbst wenn die Ausgewogenheit durch jugendlichen Überschwang hier und da ins Wanken geriet, z.B. durch munteres Triangelgeklingel, durch hochengagierte Posauneneinsätze oder durch die überbrillierende Cellogruppe – es geriet nur zum Vorteil! In zauberhafter Weise wurde die kunstvoll angelegte Partitur in ihrer Kontrapunktik, ihrer Imitationsfreude und motivischen Verknüpfung deutlich. Bravo und Danke, ihr jungen Menschen aus der Ukraine! So entflammt wie sie muss auch der Komponist selbst gewesen sein aufgrund Böttgers Gedichtzeilen: Innerhalb von nur vier Tagen entwarf Robert Schumann daraufhin seine erste Sinfonie in vier Sätzen. Die Instrumentation schloss er innerhalb von vier Wochen ab (abgesehen von zahlreichen Revisionen, die noch folgen sollten). Die Uraufführung folgte kurze Zeit später: am 31. März 1841 im Leipziger Gewandhaus unter der Leitung von Felix Mendelssohn Bartholdy.

 

Schumann selbst sagte über die Entstehung des Werks, es sei „in feuriger Stunde geboren“, er sei „ganz selig gewesen“ über diese Arbeit: „Ich schrieb die Sinfonie, wenn ich sagen darf, in jenem Frühlingsdrang, der den Menschen wohl bis in das höchste Alter hinreißt und in jedem Jahr von neuem überfällt. Schildern, malen wollte ich nicht; dass aber eben die Zeit, in der die Sinfonie entstand, auf ihre Gestaltung, und dass sie grade so geworden, wie sie ist, eingewirkt hat, glaube ich wohl.“ Es ist ein Werk, das bis heute unvergesslich ist und immer wieder neu interpretiert wird. So wie an diesem Nachmittag in der Thormannhalle in Büdelsdorf bei Rendsburg auf wunderbare Weise geschehen.

 

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Jugendsinfonieorchester der Ukraine. Foto: Marion Hinz

 

Großer, langanhaltender Applaus am Ende und beglückte Gesichter im Publikum. Und die Gesichter der jungen Orchestermusiker? Nicht jubelnd und beglückt, eher zurückhaltend und möglicherweise fragend: „wie sieht unsere Zukunft aus“? Wir sehnen in möglichst naher Zukunft jenen Tag herbei, an dem das SHMF nach einem Friedensschluss zwischen Ukraine und Russland ein ukrainisch-russisches Jugendorchester zum Konzert einladen kann! Einen Namen dafür haben wir schon: das Myr-Mir-Friedens-Orchester. Auch diese Hoffnung besteht begründet, zumal Projekte mit dem musikalischen Nachwuchs aus aller Welt dem SHMF sehr am Herzen liegen. Seit 1987 besteht bekanntlich – alle Jahre wieder in neuer Zusammensetzung – das Festivalorchester aus jungen Musikern aus aller Welt. Auch aus diesem Grund war das 2016 gegründete Jugendsinfonieorchester der Ukraine hier ein besonders herzlich willkommener Gast.


Mit Hingabe

Uladzimir Sinkevich: Violoncello
Jugendsinfonieorchester der Ukraine

Piero Lombardi Iglesias: Dirigent

 

Programm:

Zoltan Almashi: „Maria`s City“

Edward Elgar: Cellokonzert e-Moll op. 85

Robert Schumann: Sinfonie Nr. 1 B-Dur op. 38 „Frühlingssonate“

 

Ein Konzert des Schleswig-Holstein Musik Festivals in Rendsburg-Büdelsdorf.

Weitere Informationen (Festival)

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