Musik

Nach „Arabella“ (2023) und „Intermezzo“ (2024) nun also „Die Frau ohne Schatten“ an der Deutschen Oper Berlin. Mit dieser Märchenoper von Richard Strauss setzt Tobias Kratzer, der im Sommer 2025 die Intendanz der Staatsoper Hamburg übernimmt, einen fulminanten Schluss-Strich unter seinen Strauss-Zyklus an der Deutschen Oper Berlin.

 

Gelungen ist ihm eine Aufführung, die kaum jemand aus dem Publikum schnell vergessen wird - ein praller Premieren-Opernabend, der musikalisch und theatralisch überzeugte.

 

In allen drei in diesem Zyklus inszenierten Strauss-Opern beleuchtet Tobias Kratzer die verschiedenen Stadien einer Paarbeziehung. Bei „Arabella“ waren es die Schwierigkeiten des Beginns einer gleichberechtigten Beziehung. In „Intermezzo“ zeigte er das Porträt eines Ehealltags. Bei „Die Frau ohne Schatten“ steht die Herausforderung im Vordergrund, nach Zeiten des Auseinanderlebens wieder zueinander zu finden. Ebenso wie in den ersten beiden Teilen des Zyklus bildet in dieser monumentalen Märchenoper ein wichtiger heutiger Diskurs das Zentrum: Ist Leihmutterschaft moralisch vertretbar und eine relevante Chance auf Lebensglück?

 

Offene Drehbühne als Setting

Erzählt wird uns die märchenhafte Geschichte einer Kaiserin, die keinen Schatten wirft, weil sie unfruchtbar ist. Sie muss aber fruchtbar werden, sonst wird ihr Mann zu Stein. Es bleiben ihr nur noch drei Tage, um dies zu verhindern. Die Amme der Kaiserin versucht nun im Namen der Kaiserin, den Schatten einer Färbersfrau zu erwerben mit Hilfe von allerlei Geschenken, denen schwer zu wiederstehen ist – in dieser Inszenierung inklusive Callboy… Die Kaiserin erkennt letztendlich, dass sie ihr eigenes Glück nicht auf Kosten anderer bekommen kann. Erst ihr Verzicht löst das Dilemma. Anders als es das Libretto von Hugo von Hofmannsthal in der Handlung vorsieht, sind am Ende die beiden Paare nicht wieder glücklich vereint. Die einen gehen zukünftig getrennte Wege, die anderen finden einander wieder. In Kratzers Inszenierung geschieht alles auf einer offenen Drehbühne, die mal ein elegantes Loft mit Klavierflügel und schickem Sofa als Setting hat, mal eine Küche mit Etagenbett, mal einen Waschsalon als moderne Adaption der ursprünglichen Färberei (Ausstattung: Rainer Sellmaier). Wir erleben eine Baby-Shower-Party, eine Klinik, eine Paartherapie. Die Umgestaltung aller neun Szenenwechsel bewerkstelligen geschickt und störungsfrei rund ein Dutzend dunkel gekleidete Helfer in allen drei Akten auf offener Bühne.

 

Zwei zentrale Botschaften

Wir treffen in „Die Frau ohne Schatten“ auf zwei unglückliche Ehepaare, die sich in einer Beziehungskrise befinden: die eine Ehefrau möchte kein Kind, die andere kann keines bekommen. Das Dilemma ist groß genug, bietet Stoff genug für ein Theaterstück, für eine Oper – auch aus heutiger Sicht. Zunächst einmal geht es um die realistische Beschreibung von Menschen, die sehr nachvollziehbare Probleme haben: Die einen sind nebeneinander im luxuriösen Nichtstun erstarrt, die anderen im kräftezehrenden Arbeitsleben. Kratzer will zudem zwei Botschaften vermitteln: gegenseitige Empathie mit der Möglichkeit, dass Menschen aus unterschiedlichen Milieus mit unterschiedlichen Vorstellungen einander begreifen können, ist die erste Botschaft. Seine zweite Botschaft ist, dass Kinder zu bekommen, heute nicht mehr als einzig selig machende Lebensart von Paaren gilt: „Das Spektrum hat heute eine wesentlich größere Spannbreite und Liberalität“, so Kratzer im Interview mit Jörg Königsdorf, Chefdramaturg der Deutschen Oper Berlin.

 

Überzeugend inszeniert

In Kratzers Inszenierung gibt es keine einsame Insel, keine Mondberge, keine sichtbare Unterwelt, auch keine sichtbare weiße Gazelle, in welche sich die Feentochter des Geisterkönigs und künftige Kaiserin verwandelt hat. Wir sehen auch keinen roten Falken, der mit seinen Schwingen die zweite Verwandlung verursacht: die Verwandlung der Gazelle in eine schöne Frau, in die sich der Kaiser sofort verliebt und sie heiratet. Was wir erleben, ist eine Oper, deren Handlung zwischen Märchen und Drama changiert: Der Geisterbote, der nun schon zum zwölften Mal erscheint und wissen will, ob denn die Kaiserin jetzt endlich einen Schatten wirft und ein Kind erwartet, ist in dieser Inszenierung Mitarbeiter eines Paketdienstes. Der Kaiser, der im Original zur Jagd aufbricht, schnappt sich seine Aktentasche, als ginge er ins Büro. Statt fünf herbeigezauberter Fische werden Fischstäbchen aus der Packung in die Pfanne geworfen. Statt in der Unterwelt belehrt und geläutert zu werden, sucht die Kaiserin eine Eheberaterin auf und das Färber-Ehepaar den Scheidungsrichter. Am Ende gibt es einen glücklichen Vater, der sein Kind aus der Kita abholt und eine glückliche Kaiserin, die sich losgelöst hat von den Doktrinen des Vaters und aufgrund dessen zu ihrem Gatten zurückfindet. Und es gibt eine Färberin, die sich von ihrem Mann trennt und ihren eigenen Weg geht. Das alles ist höchst überzeugend inszeniert.

 

Komplexität der Figuren

Uraufgeführt wurde „Die Frau ohne Schatten“ von Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal am 10. Oktober 1919 in der ehemaligen Hofoper an der Wiener Ringstraße, umbenannt in Wiener Staatsoper als erste Premiere am „neuen“ Haus. Die damalige Akzeptanz war sehr unterschiedlich: Die „Modernen“ mochten das Konservative nicht, die Konservativen das Moderne nicht. Strauss war bewusst, dass eine Epoche zu Ende geht, ihm war auch bewusst, mehr lässt sich aus einer Epoche nicht herausholen; es war alles ausgereizt. Neues musste her. So ist „Die Frau ohne Schatten“ als „letzte romantische Oper“ (Strauss) einerseits noch als Märchen (romantisch) konzipiert, andererseits als ein modernes Melodram, das seine Figuren im jeweiligen sozialen Milieu genau ausleuchtet und vielschichtige Porträts entwickelt (realistisch). Soweit das Neue damals, das von den Zuschauern bereits viel Verständnis für die Komplexität der einzelnen Figuren forderte.

 

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"Frau ohne Schatten" von Richard Strauss, Regie: Tobias Kratzer, Premiere am 26. Januar 2025 Deutsche Oper Berlin, Copyright: Thomas Aurin

 

Kratzer schreibt in seiner Inszenierung die Schicksale dieser Menschen über die Oper, über den Abend hinaus fort: Deren Leben endet nicht auf der Bühne, die handelnden Personen werden mit Erkenntnisgewinn belohnt. Alte Gewissheiten wurden aufgelöst. Selbstbewusst gehen sie ihren Weg in die Zukunft – wohin auch immer sie dieser neue Weg führen mag. Das Neue liegt bei Kratzer nicht mehr ausschließlich in der Komplexität der einzelnen Figuren, sondern auch in den heutigen vielfältigen Möglichkeiten von Paarbeziehungen. Diesen Ansatz hat Tobias Kratzer in seiner Inszenierung deutlich gemacht.

 

Idealer Orchestergraben

Um diese „letzte romantische Oper“, um Strauss Hauptwerk – wie er selber es nannte – um „Die Frau ohne Schatten“ musikalisch auf die Bühne zu bringen, braucht es einen breiten, tiefen Orchestergraben: Es müssen immerhin 100 bis 120 Orchestermusiker untergebracht werden. Die Deutsche Oper Berlin verfügt über einen solchen für diese Strauss-Oper idealen Graben. Sir Donald Runnicles entwickelt mit diesem immensen Orchesterapparat mit vielfacher Doppelbesetzung und außergewöhnlichen Instrumenten von Beginn an einen erstaunlich durchhörbaren, farbigen Orchesterklang, obwohl durchaus kraftvoll und dynamisch an die Grenzen gehend musiziert wird. Besonders überzeugend sind die geforderten sehr lebendig wirkenden, weil organisch fließenden Tempowechsel. Strauss und Runnicles gelingt es dabei, die Spannung bis zum letzten Akkord zu halten, sodass das Publikum mit hohem Genuss folgt.

 

Zwischenmusiken bereiten Vergnügen

Das größte Vergnügen bereiten dabei die Zwischenmusiken, die dafür sorgen, das alles im Fluss bleibt, die aber auch in gewisser Weise die Aufgabe von Rezitativ und Arie ersetzen, indem sie zurückschauen, anhalten, um Emotionen darzustellen oder auf Kommendes hinzuweisen. Die kompositorisch verwobene Verdichtung dieser Opernteile ist klanglich so beeindruckend, dass hier durchaus von musikalischer Dichtkunst gesprochen werden kann. Besonders bemerkenswert dabei ist, dass der sonst immer wieder erkennbare illustrative Charakter der Musik in diesen Teilen völlig fehlt. Großartig und überwältigend! Ein Beispiel für die gelungene Umsetzung der Musik in das Bühnengeschehen ist die Baby-Salon-Szene im dritten Akt. Es scheint fast so, als hätte Tobias Kratzer zunächst die zuckrig-bunte Szene entwickelt und Richard Strauss dann seine zuckrig-süße, sich ins Ohr schmeichelnde Musik geschrieben. Ein amüsanter Leckerbissen an Überraschung und humorvoller Könnerschaft!

 

Großartige Vokal-Solisten

Der Deutschen Oper Berlin ist es gelungen, zu diesem großartigen und groß aufspielendem Orchester Vokal-Solisten zu verpflichten, die als Ensemble musikalisch und darstellerisch glänzen. In allen großen Partien werden strahlende Spitzentöne präsentiert. Clay Hilley (Kaiser) beeindruckt durch einen durchaus jugendlich wirkenden schlanken Tenor mit stählerner Strahlkraft von lyrisch bis heldenhaft. Ihm ebenbürtig ist Daniela Köhler (Kaiserin), allerdings nicht in gleicher Bühnenpräsenz. Marina Prudenskaya (Amme) agiert schauspielerisch und sängerisch sehr ausgereift mit schönem Registerausgleich. Jordan Shanahan (Barak, der Färber) stellt mit warmem Bariton Gutmütigkeit, aber auch zornige Erregtheit überzeugend dar. Catherine Foster (sein Weib, die Färberin) ist die lebendigste Figur des Abends in völliger Übereinstimmung von Spiel und Gesang! Patrick Guetti (Geisterbote) überzeugt mit großvolumigem, samtgefärbtem Bass.

 

Praller Opernabend

In der Menge des begeisterten, Bravi-rufenden Premieren-Publikum-Chores sind vereinzelt solistische Buh-Rufe zu hören. Sie gelten wohl der mutigen und in sich überzeugend geschlossenen Inszenierung. Über dem Applaus des vollbesetzten Hauses steht allerdings eine strahlende, alles andere überdeckende Fermate der Bewunderung und Begeisterung. Kurzes Fazit: Praller Opernabend, musikalisch und dramaturgisch bis zur letzten Note spannend und interessant erzählt in beeindruckender Klanglichkeit und großartigen Vokalsolisten. Dieses viel zu selten gespielte Hauptwerk von Richard Strauss sollten Sie sich unbedingt anhören und ansehen!

 

Eine Anekdote, launig von Chefdramaturg Jörg Königsdorf in der Abendeinführung vorgetragen, wollen wir unseren Lesern und Leserinnen nicht vorenthalten: Der Zweite Weltkrieg ist vorüber. Ein US-Soldat bittet Richard Strauss um ein musikalisches Autogramm aus dem Donauwalzer (von Johann Strauß). Richard reagiert prompt und schlau, als Meister der Metamorphose seine wahre Identität verschweigend, notiert er die ersten Noten des Donauwalzers auf eine Postkarte des strahlenden Soldaten und der schreitet glücklich von dannen.


Die Frau ohne Schatten

Oper in drei Akten von Richard Strauß
Libretto von Hugo von Hofmannsthal

Weitere Termine: 30/01, 18.00 Uhr, 02/02, 17.00 Uhr, 05/02, 18.00 Uhr, 08/02, 17.00 Uhr, zum letzten Mal in dieser Spielzeit: 11/02, 18.00 Uhr

Deutsche Oper Berlin, Bismarckstraße 35, 10627 Berlin

Musikalische Leitung: Sir Donald Runnicles, Axel Kober (11.02.2025)

 

Mit: Jane Archibald (Kaiserin), Marina Prudenskaya (Amme), Patrick Guetti (Geisterbote), Hye-Young Moon (Hüter der Schwelle des Tempels, 1. Dienerin), Chance Jonas-OToole (Erscheinung eines Jünglings), Nina Solodovnikova (Stimme des Falken), Stephanie Wake-Edwards (Stimme von oben), Jordan Shanahan (Barak, der Färber), Catherine Foster (sein Weib), Philipp Jekal (Der Einäugige), Padraic Rowan (Der Einarmige), Thomas Cilluffo (Der Bucklige), Alexandra Oomens (2. Dienerin), Kinderchor der Deutschen Oper Berlin, Chor der Deutschen Oper Berlin, Orchester der Deutschen Oper Berlin

Inszenierung: Tobias Kratzer

Bühne, Kostüme: Rainer Sellmaier

Licht: Olaf Winter

Video: Jonas Dahl, Manuel Braun

Dramaturgie: Jörg Königsdorf

Kinderchor: Christian Lindhorst

Chöre: Jeremy Bines

Weitere Informationen (Deutsche Oper Berlin)


 

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