Die Zeiten in denen Fotografie sich als das Medium der schwarz-weißen Dokumentation, als das, was das Auge als entfärbte Realität wahrnehmen kann und wahrheitstreu sowie dekodierbar angesehen wurde, sind lange vorbei.
Heute ist die Fotografie nach knapp 200-jähriger Geschichte ein Medium der Vielfalt: u.a. der Berichterstattung und News, der Kunst, der Manipulation, der Täuschung, des Weglassens und Addierens, des Narzismus‘ und der Überflutung.
Und dennoch begegnet sie uns in vielen Momenten immer noch als Medium der Überraschung, des Lichts, und der Gestaltung von Wirklichkeit.
Der Becher-Schüler Götz Diergarten ist für seine typologischen Bildfolgen bekannt geworden. Er lichtete Hütten, Strandhäusern, Fassaden und U-Bahnhöfen ab. Der aus Mannheim stammende und in Frankfurt/M. lebende Fotograf zeigt noch bis Ende Februar eine neue Bildserie, die sich um Durchblicke durch sogenanntes Ornament- oder Kathedralglas handelt. Das sind gewalzte und/oder gegossene Fenstergläser, die die Durchsicht verzerren, wolkig erscheinen lassen und das Licht mehrfach brechen.
Diergarten positionierte die Kamera entweder im Innenraum mit Blick nach Außen oder im Außenraum, mit Blick nach innen.
In der Galerie Peter Sillem in Frankfurt-Sachsenhausen sind Fotografien nun – teilweise auf einem neutralen Trägermaterial oder vor schmalen Leuchtkästen – präsentiert.
Dass architektonische Effekte zustande kommen, ist einer von mehreren überraschenden Momenten, denn hinter dem Schreibtisch des Galeristen leuchtet prägnant eine Glasbausteinwand, als ob sie dort schon immer und für immer existiert hätte. Ein vages Versprechen eines Blicks in einen diffusen Innenhof bei schönem Wetter. Oder ein Blick, fenstergleich, auf die gegenüberliegende Straßenseite oder in einen Park mit Bäumen. Vergessen wir die Welt dahinter durch die Unschärfe? Ist jenseits der Gläser womöglich ein Traum, anstatt die wahrhafte Welt?
Götz Diergarten: inside-out / outside-in, (links) o.T. 1 (outside-in / Frankfurt-Praunheim), 2023. Fine art print, mounted on Signicolor, UV protection, 60 x 45 cm, edition of 8 + 2 AP © VG Bildkunst Bonn. (rechts) o.T. 2 (outside-in / Frankfurt-Altstadt), 2023. Fine art print, mounted on Signicolor, UV protection, 60 x 45 cm, edition of 8 + 2 AP © VG Bildkunst Bonn
Das Diffuse, die gewollte Verschwommenheit der Aufnahmen zaubern einen starken ästhetischen Reiz. Es entsteht bedingte Abstraktion, denn wir wissen zu viel, um nicht zu erkennen, welcher Raum sich dahinter verbirgt, welche Objekte jenseits des Glases dienten. Die Modulationen des Lichts, die Brechungen im strukturierten Glas, der Abstand des Dahinter-Seienden, der Dauerzustand des unveränderlichen Blicks kombinieren sich zu einer wohltuenden Überraschung und Atmosphäre.
Fotografie wird zur Malerei mit zeichnerischen Elementen. Die florale Welt der fotografierten Realität blüht in einer neu zu sehenden Weise auf, kreiert einen ganz eigenen visuellen Duft.
Götz Diergarten: inside-out / outside-in
Zu sehen bis zum 22. Februar in der Galerie Peter Sillem, Dreieichstraße 2, in 60594 Frankfurt/M.
Öffnungszeiten während der Ausstellungen: Mittwoch 10–16 Uhr, Donnerstag 10–18 Uhr, Freitag 10–16 Uhr, Samstag 14–16 Uhr und nach Vereinbarung (0151 / 4199 5550)
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