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Die ersten Töne eines dargebotenen Werkes können Niveauanzeiger für einen gesamten Konzertabend sein. Mit dem Einsatz der Solotrompete in Mahlers Sinfonie Nr. 5 cis-Moll bewahrheitete sich dies beim Eröffnungskonzert des Schleswig-Holstein Musikfestivals 2024 in der Lübecker Musik- und Kongresshalle:

So faszinierend rhythmisch, so dynamisch differenziert und dennoch im Tempo frei ertönte die Trompete – beeindruckend und selten so gehört! Das galt auch für die vielen noch folgenden Takte dieser schroff-zärtlichen Weltschau von damals und heute. Ein ebenso eindrucksvolles Klangerlebnis bot Mozarts Klavierkonzert Nr. 25 C-Dur mit dem großartigen Pianisten Emanuel Ax im ersten Teil des Konzertabends, dargeboten vom NDR Elbphilharmonie Orchester unter der Leitung seines Chefdirigenten Alan Gilbert.

 

Wie sich herausstellte, eine kluge Programmzusammenstellung von Gilbert: Neben dem 75minütigem Schwergewicht von Mahlers 5. Sinfonie im zweiten Teil behauptete sich im ersten Teil des Konzertes das mit 20 Minuten fast kammermusikalisch besetzte Klavierkonzert Nr. 25 C-Dur KV 503 in geradezu bewundernswerter Leichtigkeit. Das Werk gilt als letztes der insgesamt zwölf großen in Wien entstandenen Klavierkonzerte, die er alle für eigene Auftritte schrieb. Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791) vollendete dieses Werk am 4. Dezember 1786 in Wien. Damals hatte Mozart seine höchste Produktivitätsstufe erreicht: innerhalb weniger Wochen schrieb er mehrere große Kompositionen. Im C-Dur-Klavierkonzert gehen musikalische Schönheit und Komplexität Hand in Hand, gepaart mit einer harmonisch und rhythmisch äußerst raffinierten Verarbeitung.

 

Eroeffnungskonzert 01 F Felix Koenig

Eröffnungskonzert. Foto: Felix König

 

Mächtige Klangteppiche

Das alles zusammen genommen stellt Pianisten vor große Herausforderungen. Zumal Mozarts Klavierkonzert Nr. 25 eine Komposition mit vielen unerwarteten Wendungen ist, z.B. zukunftsweisenden harmonischen Ausweichungen, Störung der Taktsymmetrie, aufkommende Romantik und Mahler hinweisende Dur-moll-Wechsel sowie hohe klangliche Individualität. Mächtige Klangteppiche entfalten sich äußerst kontrastreich, kraftvoll und voluminös. So soll es sein und so war es auch. Aber das wirklich Erstaunliche, unerwartet Beeindruckende für Hörer dieses Konzertes in Lübeck war das großartige Zusammenspiel zwischen Pianist, Orchester und Dirigent. Beglückend die hingebungsvolle Bereitschaft des Pianisten, auf Dehnungen in Tempo und sich entfaltender Klanggestaltung des Orchesters einzugehen, stets in intensivem Blickkontakt zu Dirigent und Orchester. Brillante Technik ganz im Dienst der Komposition.

 

Brillante Technik

Eine atemberaubend seligmachende Dynamik, z.B. bei aufsteigender melodischer Figur ein ins verlierende, verlorene Nichts führendes decrescendo! Geradezu einmalig! Die Hörner geschmeidig zuverlässig, die Holzbläser klangbewusst alle Harmoniewechsel mitgestaltend, die Streicher federnd, entschieden. Eine großartige, dienend daherkommende Festival-Eröffnung – scheinbar unspektakulär, aber hochmusikalisch. Ein Teil des Publikums schien zunächst überrascht zu sein, dass ein Solist im patinierten Anzug (statt High-Heels und Glitterkleid) so beeindruckend musizieren kann! Nach der Zugabe (Anm. d. Red.: Kleines Ständchen von Schubert, in der Bearbeitung von Liszt mit einigen Noten zu viel) war die allgemeine Begeisterung dann angemessen groß und nahm auch hier die Stimmung des Gesamtabends vorweg: jubelnd, stürmisch feiernd, beglückt!

 

Motto Venedig

Nach der Pause dann also Mahlers Sinfonie Nr. 5 cis-Moll, passend zum diesjährigen Motto Venedig des SHMF. Dieses Werk gilt vielen als beliebteste der Sinfonien Mahlers – spätestens seit 1971 im Film Tod in Venedig von Luchino Visconti das Adagietto erklang. An keiner anderen Sinfonie soll Gustav Mahler (1860–1911) so lange gearbeitet haben. Die Uraufführung am 18. Oktober 1904 in Gürzenich in Köln leitete er selbst. Damals verstanden die meisten Menschen dieses Werk – wie auch andere Sinfonien Mahlers – nicht. So ist von einer Aufführung in Hamburg 1905 bekannt, wie sehr Mahler sich über das Unverständnis des Publikums ärgerte: „Die Fünfte ist ein verfluchtes Werk. Niemand capiert sie“, klagte er. Erste Skizzen hatte Mahler im Sommer 1901 auf seinem Sommersitz in Maiernigg am Wörthersee notiert, weitere Teile der Sinfonie entstanden in Wien. Mit der Instrumentierung begann Mahler 1903; ein Jahr später überarbeitet er sie, ein weiteres und letztes Mal in seinem Todesjahr 1911. Diese letzte Fassung erschien erstmals in gedruckter Form 1964 in einer Gesamtausgabe.

 

Gilberts Geheimnis

Instagram-geschulte Hörer müssen sich bei Mahlers Fünfter gewaltig umstellen. Denn hier sind weite Klangfelder innerlich mitzugestalten, stets wechselnde musizierende Ereignisse hörend in Beziehung zueinander zu setzen. Und für den Dirigenten heißt es, immer wieder die Tempoproportionen zu justieren, die Dynamikebenen auszubalancieren. Alan Gilbert überzeugte im SHMF-Eröffnungskonzert in Lübeck auf allen Ebenen. Nur selten werden Hörer eine in Ernsthaftigkeit, Entschiedenheit, Kompositionsverantwortlichkeit, Leidenschaft und Klarheit so überzeugende Darbietung erleben können. Doch das eigentliche Geheimnis von Gilbert scheint Folgendes zu sein: Er führt sein Orchester mit außergewöhnlich motivierendem Blickkontakt. Dies mit der offensichtlichen Absicht, bei allem, was in der Partitur gerade geschieht - sei es die Fratze des Bösen oder die Darstellung des Untergangs - gemeinsam in großer Spielfreude das Publikum zum erlösenden Schlusschoral zu führen.

 

Dynamisch brillant

Das Orchester folgte seinem Chefdirigenten leidenschaftlich begeistert. Dabei glänzten die einzelnen Instrumentengruppen: klangschönes Blech, prononcierte Holzbläser, charakterstarke Percussion und warme Streicher stellten die komponierte Zwiespältigkeit in klangfantastischer Freiheit und sinfonischer Durcharbeitung dar, in kontrapunktisch wirkender Dynamik und ruppiger Angegriffenheit im Paartanz von Ländler und Groteske. Und mittendrin das festivalzentrale Adagietto, von Alan Gilbert äußerst überzeugend in erfüllend gedehntem Tempo angelegt und vom NDR-Orchester dynamisch brillant vorgetragen. Ein großartiges musikalisches Erlebnis! Daher sei hier an dieser Stelle über die Stimmung des Gesamtabends nochmals gesagt und somit betont: jubelnd, stürmisch feiernd, beglückt!


Schleswig-Holstein Musikfestivals 2024

Eröffnungskonzert in der Lübecker Musik- und Kongresshalle

Wolfgang Amadeus Mozart: Klavierkonzert Nr. 25 C-Dur KV 503
Gustav Mahler: Sinfonie Nr. 5 cis-Moll

Emanuel Ax, Klavier
NDR Elbphilharmonie Orchester
Alan Gilbert, Dirigent

Weitere Informationen (SHMF)

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