In zwei Wochen beginnen in Litauens Hauptstadt Vilnius die Feierlichkeiten zum Gedenken an den Widerstand gegen die sowjetische Besatzung mit 37.000 Interpreten.
Mehr als 300.000 Zuschauer werden zur Hundertjahrfeier des litauischen Liedes erwartet, die an den Geist der singenden Revolution von 1987–91 erinnern wird, einem entscheidenden Moment, als sich die baltischen Staaten im Gesang vereinten, um den Besatzern zu trotzen - ein Kampf, den die Ukraine derzeit führt.
Das litauische Liederfest, das seit 2008 zum immateriellen UNESCO-Erbe gehört, kehrt vom 29. Juni bis 6. Juli 2024 zur Hundertjahrfeier zurück. Bei dieser einmal im Jahr stattfindenden Veranstaltung werden große Open-Air-Konzerte mit Hunderten von Chören und Tausenden von Sängern veranstaltet, bei denen ein Jahrhundert des reichen litauischen Kulturerbes in Form von Tanz und Gesang präsentiert wird.
Das erste litauische Liederfest mit für Chöre arrangierten litauischen Volksliedern fand 1924 statt und wurde auch während der sowjetischen Besatzung Litauens fortgesetzt und zu einer Form der Bewahrung des kulturellen Erbes und des stillen Widerstands.
Erstes Liederfest, 1924 in Kaunas. Foto: V. Galmanas
Das litauische Liederfest würde heute anders aussehen oder gar nicht gefeiert werden, wenn es nicht von drei kulturhistorischen Elementen beeinflusst worden wäre. Erstens hat Litauen eine feste Tradition des Volksgesangs, zweitens wurde dieser von der nationalen Wiedergeburt am Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts befeuert. Gerade das letztgenannte Phänomen wurde von den Bewegungen der Laienchöre inspiriert, die in der Epoche der musikalischen Romantik, im 19. Jahrhundert, in der Schweiz und in Deutschland entstanden waren.
In den baltischen Staaten hatten die Amateurchöre im Laufe der letzten 100 Jahre nicht nur zur Bildung einer nationalen Identität beigetragen, sondern auch die nationale professionelle Musikkultur direkt beeinflusst.
Eine Besonderheit ist die Tatsache, dass Litauen das einzige katholische Land in Europa ist, das die Tradition der Liederfeste von protestantischen Ländern übernommen hat und es zu seinen eigenen religiös-kulturellen Konditionen durchführt. In der Anfangszeit dominierten deutsch-sprachige Lieder und protestantische Gesänge, das hat sich längst geändert. Die Kirchenmusikreform, die in Deutschland begonnen hatte, beeinflusste die Entwicklung der litauischen Chöre positiv. Ihr Hauptziel war die Wiedereinführung des gregorianischen Gesangs in den Kirchen. Juozas Naujalis (18768–1934) – Komponist, Chorleiter und Musikpädagoge – steht namentlich für diese Veränderung in Litauen. Das wichtigste Veränderung dieser Reform war die Ersetzung der weltlichen polnischen Unterhaltungsmusik durch professionelle Musik. Dies bildete eine perfekte Grundlage für den Aufstieg litauischer Chöre und die Popularisierung litauischer Gesänge.
Litauen hatte sich also für die reine und einzigartige Volksliedtradition entschieden, die es mit der für europäische Chöre charakteristischen A-cappella-Musik verband.
Unter dem diesjährigen Motto „May the Green Forest Grow" (dt.: Möge der grüne Wald wachsen) werden 37.000 Sänger, Tänzer und Kunsthandwerker zusammenkommen. Die musikalischen Aufführungen werden an den Geist der singenden Revolution erinnern, als sich die drei baltischen Staaten im Gesang vereinigten, um den sowjetischen Besatzern zu trotzen und unabhängig zu werden. Für den Abschlusstag am 6. Juli werden 13.700 Künstler auf der großen Freilichtbühne im Vingio Park erwartet.
„Das Thema der diesjährigen Feierlichkeiten symbolisiert unsere tiefen kulturellen Wurzeln, den Respekt vor der Natur und den Geist der Nation in schwierigen historischen Zeiten. Der andauernde Krieg in der Ukraine erinnert uns an unsere vergangenen Kämpfe während der sowjetischen Besatzung, als unser Volk mit ideologischer Unterdrückung konfrontiert war und für die Freiheit kämpfen musste, um unsere kulturelle Identität, unsere Traditionen und unsere Sprache durch solche Formen des Widerstands wie das Litauische Liederfest zu bewahren. Die Veranstaltung zeigt, wie widerstandsfähig wir sind und dass Musik die Menschen verbindet und sie dazu inspiriert, sich von Unterdrückungsregimen zu befreien und für die Souveränität ihres Landes zu kämpfen", sagte Saulius Liausa, der Leiter der Litauischen Liederfests.
Litauisches Liederfest, 2009. Foto: Go Vilnius
Auch die litauischen Gemeinschaften aus aller Welt beteiligen sich an den Feierlichkeiten, zu denen über 2.000 litauische Auswanderer aus 21 Ländern wie Argentinien, den USA, Kanada und Polen erwartet werden. Am 30. Juni wird auf dem Rathausplatz von Vilnius eine Messe stattfinden, auf der sich Einwohner und Besucher über litauische Gemeinden und nationale Projekte aus aller Welt informieren können.
„Wenn wir sehen, wie die Menschen warten und sich vorbereiten, fühlen wir ein starkes Gefühl der Verantwortung und der emotionalen Inspiration. Hunderte von Chören, Tanzgruppen und Orchestern proben für vierzehn groß angelegte Veranstaltungen, die die ganze Woche über stattfinden werden", so Liausa.
Neben den musikalischen Darbietungen werden im Rahmen der Feierlichkeiten auch andere kreative Initiativen wie „Gardens“, eine Kunstinstallation des in den USA lebenden Künstlers Ray Bartkus, stattfinden. Anlässlich des hundertjährigen Jubiläums des litauischen Liederfests wurde „Gardens“ speziell entwickelt, um das diesjährige Symbol – einen Strohgarten, dessen Herstellung im vergangenen Jahr in die Liste des immateriellen Kulturerbes der UNESCO aufgenommen wurde – neu zu interpretieren. Die Installation erstrahlt nach Einbruch der Dunkelheit in leuchtenden Farben und erreicht eine Höhe von sechs Metern, was den Besuchern ein besonderes Erlebnis beschert.
Liederfest Litauen (Dainų šventė Vilniuje)
Vom 29. Juni bis 6. Juli 2024 in Vilnius und Kaunas; u.a. auf der Vilnius Vingio Park Bühne, M. K. Čiurlionio Straße 100, Vilnius.
Weitere Informationen (Festival, engl.) https://dainusvente.lt/en/
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Lithuanian Song Celebration 2024 (1:24 Min.)
Die Europäische Kommission hat Vilnius als Gewinner des Preises „Grüne Hauptstadt Europas 2025" bekannt gegeben und damit die bemerkenswerte Fähigkeit der Stadt gewürdigt, Nachhaltigkeitsbemühungen mit dem Wohlbefinden ihrer Einwohner zu verbinden. Vilnius hat verschiedene Initiativen erfolgreich miteinander verknüpft, die auf saubere Luft, sauberes Wasser, die Erhaltung der biologischen Vielfalt, Grünflächen und vieles mehr abzielen. Einer der innovativen Ansätze zur Bürgerbeteiligung in Vilnius ist die Verwendung einer speziellen App, die es den Einwohnern ermöglicht, sich an verschiedenen Aspekten der Stadtverwaltung und -planung zu beteiligen.
Das Programm zur Verleihung des Preises „Grüne Hauptstadt Europas" gibt es seit 2008, und Grüne Hauptstädte in ganz Europa arbeiten weiterhin im Rahmen des „Green Capitals Network“ zusammen, dem 36 Städte angehören. Dieses Netzwerk arbeitet gemeinsam an der Umsetzung ehrgeiziger Ideen zur Verbesserung der städtischen Umwelt.
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