28. Internationales Kurzfilm Festival Hamburg: Kino rebellisch unzumutbar künstlerisch
- Geschrieben von Claus Friede -
„Das Internationale Kurzfilm Festival Hamburg (IKFF) gehört zu den wichtigsten Festivals in Europa“, sagt Sven Schwarz einer der beiden Leiter.
„Es ist ein kantiges Festival. In Hamburg läuft das, was woanders nicht zu sehen ist oder zumindest sind wir ein Türöffner für Kurzfilme, die vom IKFF aus dann auf anderen Festivals zu sehen sind. IKFF ist nicht primär dazu da, als Sprungbrett nach Hollywood zu dienen und die Visitenkartenabgabe für den Langfilm mögen wir auch nicht sonderlich. Standartfestivalware ist also nicht unser Ding“.
Sven Schwarz leitet mit Birgit Glombitza seit zwei Jahren das Festival. Er arbeitete jahrelang beim Filmfest Hamburg und ist einer der führenden Köpfe von „A Wall is a Screen“, einer Organisation, die ausgestorbene Innenstädte nachts mit filmischem Leben erfüllt.
Wir sitzen in einem leicht morbiden Büroraum der ehemaligen Norddeutschen Leichtmetall- und Kolbenwerke in Hamburg-Altona und schauen auf große Hallen, in denen Leinwände zwischen Industriearchitekturen aufgehängt sind. Orangefarbene Wimpel sind mit den Signets des IKFF versehen und weisen den Besuchern den Weg. Es sind überwiegend junge Menschen, die sich hier tummeln, diskutieren, sich austauschen und natürlich auch feiern. Energetisch wirkt bis heute der alte Arbeitsort in dem einmal 970 Arbeiter Flugzeug- und PKW-Motoren bauten und einen der wichtigsten norddeutschen Rüstungskonzerne beherbergte. Dass dort in der NS-Zeit viele Zwangsarbeiter schuften mussten, ist leider fast vollständig in Vergessenheit geraten, auch bei den jetzigen Nutzern. Nun wird das Gelände neu definiert und Sven Schwarz ist sichtlich glücklich, dass das IKFF für die kommenden anderthalb Jahre dort einen garantierten Ort hat. Ihm liegt besonders am Herzen, das Festivalzentrum langfristig dort zu erhalten.
Inhaltlich und formal ist der Bogen weit gespannt und die fünf Kategorien des Sonderprogramms wirken auf den ersten Blick eigentümlich: Land - Galerie - Ahnen - Motiv und Labor. „Um der immensen Vielfalt der aktuellen Kurzfilmproduktion gerecht zu werden, haben die Sichtungsteams gut 5.000 Einreichungen aus über 70 Ländern gesehen und daraus die besten Beiträge für die Wettbewerbe ausgewählt,“ konstatiert Schwarz. Auf meine Frage nach den Kriterien, die zur Auswahl führen meint er: „Es gibt Bereiche, die wir ganz basisdemokratisch handhaben. Die Mehrheit entscheidet, welche Filme gezeigt werden. Außerdem haben wir Kuratoren, die entweder im Team oder auch als Einzelpersonen Reihen zusammenstellen.“
Im Länderschwerpunkt Amerika werden aktuelle Kurzfilmproduktionen aus den USA, die Frühwerke von Langfilmprominenz wie George Lucas oder Robert Zemeckis und exemplarische Arbeiten der Film- und Videokunst-Avantgarde von den 1970er-Jahre bis heute gezeigt. Das Programm „Die Alte Welt träumt von der Neuen“ präsentiert überwiegend historische, europäische Visionen vom Land der unbegrenzten Möglichkeiten und kontinentale Adaptionen uramerikanischer Genres. Insgesamt sind es in diesem Jahr 45 Filme aus den USA, die in verschiedenen Kategorien laufen.
Mit der Retrospektive Herbert Vesely wird einer der herausragenden Avantgardefilmer der Nachkriegszeit geehrt. Zwar sind einige seiner kurzen, dokumentarartigen Filme schon in den 50ern, Anfang der 60er nicht immer kantig oder künstlerisch gewesen, aber mit dem expressionistisch anmutenden 20-Minüter "An diesem Abend - Spiel von Sensen-Mann und Magd" (1951), der auf einem Georg Trakl Gedicht basiert und als mittelalterliches Genrewerk daher kommt, übertrifft es sich selbst. Auch „Der Große Wildenberg – Ein Feuilleton" von 1965 hat seine literarische Vorlage, eine Kurzgeschichte von Siegfried Lenz, mit Heinz Bennent in der Hauptrolle und dem jungen Michael Ballhaus an der Kamera.
Das NoBudget-Hotel befindet sich auf dem Festivalgelände - ein Ort für den experimentierfreudigen, kompromisslosen, mal strapaziösen, mal großartigen kurzen Film. NoBudget ist übrigens die älteste und eigensinnigste Sektion des Festivals.
Nicht zu vergessen die fünf Wettbewerbe: Internationaler, Deutscher, NoBudget und Flotter Dreier sowie die Pilsner Urquell Hamburg Nacht.
Auf die Frage, was er sich für die nächsten Jahre vorgenommen hat und wohin das Festival steuern soll antwortet der 35-jährige Leiter: „Wir müssen das Festival noch bekannter machen und die Inhalte abgestimmt kommunizieren. Wir haben es in diesem Jahr geschafft, insbesondere viele Erstbesucher für das Festival zu gewinnen. Gerne möchten wir auch noch weitere Kooperationen, neben Dockville, Elbjazz und Reeperbahn, mit anderen Festivals eingehen.
International sind wir sehr gut aufgestellt, wir dürfen uns aber nicht darauf ausruhen, sondern auch hier weiter daran arbeiten, dieses Standing zu erhalten, denn die Konkurrenz schläft nicht!“
Fotonachweis: © alle, bis auf Filmstills, Xenia Zarafu
Header: 28. IKFF Hamburg
Galerie:
01. Festivalplakat
02. Das Festivalzentrum auf dem Kolbenhof-Gelände in Hamburg-Altona.
03. Eröffnung des 28. IKFF Hamburg, Zeise Kino, v.l. Sven Schwarz (Organisationsleitung) und Birgit Glombitza (Künstlerische Leitung)
04. Eröffnung des 28. IKFF Hamburg im Zeise Kino
05. Eröffnung der „Land“ Kategorie: Amerika im Metropolis Kino
06. No Budget Hotel im Festivalzentrum
07. Wegweiser No Budget Hotel
08. Internationaler Wettbewerb: Il Capo, Yuri Ancarani, Italien 2010
09. Sonderprogramme: Galerie – Untied Tastes of America: Sirens of Chrome, Jesper Just, USA 2010, © Jesper Just 2010
10. Sonderprogramme: Ahnen – Herbert Vesely: Autobahn, Herbert Vesely, D 1957
11. Deutscher Wettbewerb: Rummelrum, Henning Christiansen, D 2012
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