Thomas Bernhard at it’s best: Sein „Theatermacher“ in der Inszenierung von Oliver Reese, mit Stefanie Reinsperger in der Titelrolle, ist einfach phänomenal, zum Niederknien gut. Standing Ovation im Schauspielhaus für das Gastspiel vom Berliner Ensemble beim Hamburger Theater Festival.
Die ersten Worte sind wie ausgespuckt. Gezischt, gewürgt vor lauter Ekel beim Anblick der Halle. Immer wieder schüttelt es Bruscon, den selbsternannten „Staatsschauspieler“, Chef einer armseligen Wanderbühne, an einem Ort zu spielen, der ihm so zuwider ist, dass er ihn kaum über die Lippen bringt: Utzbach. Allein dieser Name ist eine Beleidigung für eine Bühnengröße wie ihn. Wie konnte es ihn nur in dieses gottverdammte Provinznest mit seinen 280 Einwohnern verschlagen?! Und dann erst diese schäbige Halle, in der er sein Meisterwerk, die Komödie „Das Rad der Geschichte“ aufführen soll – eine Ruine mit Industriebeleuchtung, verdreckt wie ein Schweinestall. Nie unter 400 Zuschauern hat er sich geschworen. Und nun das. Was für eine Kränkung!
Wie eine Urgewalt beherrscht Stefanie Reinspergers Theatermacher die Bühne. Eine Frau in einer Männerrolle, sicher. Aber das vergisst man im ersten Augenblick. Auf der Bühne von Hansjörg Hartung steht keine Frau in Männerkleidung (Kostüme Elina Schnizler). Auch kein Mann. Einfach ein Mensch. Ein Koloss, ein Besessener, ein selbstverliebter Tyrann, der schäumt und schnaubt, schreit und krächzt, kommandiert und um sich schlägt.. Einfach atemberaubend, wie Stefanie Reinsperger dieser Kraftakt gelingt. Rund zwei Stunden und zehn Minuten dauert ihr Monolog, der „wohl längste Wortschwall der Literaturgeschichte“, wie Ursula Keller in „Das Magazin“ schrieb. Der helle Wahn, wie sie sich dabei verausgabt, grandios die übergangslosen Themenwechsel und Gemütszustände, in denen sie die enorme Bandbreite ihrer Schauspielkunst präsentiert, oft bis hin zur Groteske und Karikatur. Irrwitzig komisch ist diese Tirade voller Hass und Weinerlichkeit, maßloser Überheblichkeit und regelrechter Tollwut mitunter, vor allem, wenn man die stoische Mine des Wirtes (Wolfgang Michael) dazu beobachtet, der die Wutausbrüche Bruscons wortlos über sich ergehen lässt.
Der Theatermacher. Foto: Matthias Horn
Die Situation ist zum Verzweifeln, das ist schon klar, doch auch ein klitzekleines bisschen Mitgefühlt täuscht nicht darüber hinweg, dass Bruscon ein echtes Arschloch ist. Ein Machtmensch und Psychopath, frauenfeindlich und größenwahnsinnig, der in inniger Hassliebe mit dem Theater uns seinen Darstellern verbunden ist. „Dargestelltes ist Verlogenes“ sagt er an einer Stelle. Und „Theater ist eine jahrtausendealte Perversität, in die die Menschheit vernarrt ist.“ Die eigene Perversität, in die ihn sein obsessiver Perfektionismus getrieben hat, erkennt er jedoch nicht. Keiner kann es mit ihm aufnehmen, er verachtet sie alle, seine ganze Familie: Frau, Tochter, Sohn - alles nur „Antitalente“. Doch die scheinen nur vordergründig willenlos, rächen sich mit passivem Widerstand und demonstrativem Dilettantismus. Dana Herfurth als Tochter Sarah und Adrian Grünewald als Sohn Ferruccio sind zwei wunderbar verstockte Kinder, und Christine Schönfeld als Ehefrau und Theatermacherin brilliert mit einem ganz besonderen Kabinettstückchen: Sie hustet ihrem Mann einfach etwas. Schönfeld spricht kein einziges Wort. Sie tritt auf und spuckt ihrem Mann hustend in die Suppe – wenn das kein schönes Bild für den Zustand der Beziehung ist.
Mit dem „Theatermacher“, uraufgeführt 1985 bei den Salzburger Festspielen, hat Thomas Bernhard ein irres Stück voller Bosheit und Wahrheit hingelegt, das nur noch vom skandalberühmten „Heldenplatz“ 1988 getoppt wurde. Bernhard, schon „Wutbürger“ als es den Begriff noch gar nicht gab, verarbeitet hier seine Hassliebe zum Theater, zu Frauen, zu Theatermachern (insbesondere zu Claus Peymann, dem langjährigen Chef des Wiener Burgtheaters und Vorgänger von Oliver Reese am BE). Ebenso thematisiert er seine Hassliebe zur Wahlheimat Österreich, dessen Katholizismus und Hang zum Nationalsozialismus hier immer und immer wieder aufs Korn genommen werden. Oliver Reese lässt Stefanie Reinsperger alias Buscon einen veritablen Tisch während der Schimpftirade auf Österreich zertrümmern, Österreich, die „Eiterbeule Europas“. „Hier sind alle Männer Hitler“.
Starke Worte, die die Österreicher übrigens nicht mehr hören – Bernhard hat zwei Tage vor seinem Tod ein totales Aufführungs- und Vortragsverbot seines Werkes für Österreich bestimmt.
Wenig später bricht die kleine Wanderbühne unter gewaltigem Theaterdonner und Wassereinbruch zusammen und legt offen, was dem Autor sichtbar machen wollte. Theater ist Theater ist Theater…nein, ist Theatermacher.
15. Hamburger Theater Festival
Bis 15. Juni 2023
Thomas Bernhard: Der Theatermacher
Eine Produktion des Berliner Ensembles
Regie: Oliver Reese. Mit: Stefanie Reinsperger, Christine Schönfeld, Wolfgang Michael, Dana Herfurth, Adrian Grünewald,
Live-Musik: Valentin Butt, Peer Neumann, Natalie Plöger, Ralf Schwarz
Hamburger Spielort: Deutsches Schauspielhaus
Weitere Informationen (Homepage Festival)
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