Eigentlich bin ich nicht besonders scharf auf Krimis. Wenn sie allerdings sehr gut sind, relativiert sich das. Wahrscheinlich befinde ich mich tief im Mainstream mit der Aussage: „Früher hab ich den Tatort ziemlich regelmäßig angeguckt.“ Richtig gern sah ich aktuell nur noch den Polizeiruf 110 aus Rostock mit Charly Hübner und Anneke Kim Sarnau.
Was ich schon gar nicht mochte, war Nick Tschiller. Über Til Schweiger kann man ja verschiedener Meinung sein. Doch – kann man. Ich hab ihn zweimal im Tatort erlebt, einmal aus Versehen und einmal wegen Fahri Yardim. Schweigers Selbstverständnis als Bruce Willis mit Locken, cool und unverwundbar wie Bugs Bunny, hat mich nervös gemacht.
Dann sagte jemand zu mir: „Also ‚Tschill Out‘ musst du sehen!“ Wie sich zeigte, war das ein unerhört guter Tipp. Ich schaute mir diesen (bisher letzten Schweiger-)Tatort noch zwei weitere Mal an, immer begeisterter. Selten intelligent gemacht, ein schwieriges Thema (kaputter Actionheld versucht, seine zerfledderte Psyche wieder zusammenzukleistern) so leicht serviert, dabei durchaus respekt- und liebevoll, durchzogen von viel feiner Ironie. So fein, dass manche Kritiker sie missverstehen.
Das Schlimmste: Ich konnte nicht umhin, Til Schweiger sympathisch zu finden! Immer noch mit steinerner Miene und vernuschelt, aber plötzlich passte das zu einem Kerl, dem es nur schwer gelingt, all die Schrecknisse der vergangenen fünf Folgen zu verarbeiten, weil er nie gelernt hat, nach innen zu gucken.
An diesem alarmierenden Punkt kümmerte ich mich endlich darum, festzustellen, wer das angerichtet hatte. Eoin Moore und Anika Wangard schrieben gemeinsam das Drehbuch, Moore führte Regie. Damit lösten sie Christian Alvart und Christoph Darnstädt ab, die bisher für die Figur Tschiller (neben seinem Darsteller natürlich) verantwortlich waren. Zum Schluss ging die Ansicht der Produzenten – sogar die von Schweiger – dahin, dass etwas Entschleunigung nötig sei.
Eoin Moore und Anika Wangard? Die Namen kamen mir bekannt vor. Dann hab ich endlich begriffen, dass sie häufig die Drehbücher für den Rostocker Polizeiruf 110 schrieben. Moore selbst war es sogar, der die Kriminalkommissare Bukow und König erfunden hat! Als ich so weit gekommen war, wollte ich die beiden kennenlernen.
Eoin und Anika leben mit Jimmy, ihrem freundlichen Schäferhund, in der Uckermark in einem ungefähr 150 Jahre alten Fachwerkhaus, das viel gesehen und auch schon mal als Sägewerk gearbeitet hat. Seit acht Jahren wird umgebaut, ganz viel selbst oder mit Freunden gemeinsam. Das Haus ist noch lange nicht fertig, wird jedoch zweifellos immer schöner. Die Idee dahinter ist Permakultur, ein Konzept für nachhaltige Landwirtschaft und Gartenbau. Die Sache basiert darauf, den natürlichen Kreislauf der Natur zu beobachten und nachzuahmen – zum Haus gehören 14.000 Quadratmeter Land, und damit haben die Besitzer einiges vor. Dreizehn Obstbäume zum Beispiel stehen schon, man kämpft mit Wühlmäusen und dem stumpfblättrigen Ampfer, ein wunderschön geschwungener Gartenweg wurde verlegt. Eines Tages werden sich die Bewohner dieses Anwesens selbst versorgen können, von Wasser über Nahrungsmittel bis zu Strom. Das ist ja wohl höchst aktuell!
Sogar der Hund scheint von Nachhaltigkeit durchdrungen; als ich ihm einen mitgebrachten Kauknochen anbiete, akzeptiert er ihn, verbuddelt ihn jedoch anschließend in einem Beet, um sich dann mit etwas erdiger Schnauze zu erkundigen, ob es noch einen zum Gleichessen gibt?
Ein Bauwagen steht auch im Garten, der von Gästen bewohnt werden kann. Außerdem hat das Haus Seminarräume, denn das Team Moore/Wangard gibt hier Masterclass-Drehbuch-Kurse. Und bei all dem – oder vielleicht gerade dadurch – kommen sie immer noch zum Schreiben großartiger Drehbücher.
Wer sind die beiden?
ER, drahtig, mit angesilbertem Haar und ruhigen grünen Augen: Eoin Moore wurde 1968 in Dublin geboren. Als er zwanzig war, zog er nach Berlin, arbeitete als Tontechniker und Kameramann und studierte Regie an der Deutschen Film- und Fernsehakademie. 2005 fing er an, bei Folgen vom Polizeiruf 110 Regie zu führen. Fünf Jahre später konzipierte Moore das Team Bukow/König aus Rostock und ist seitdem der Hauptautor für deren Fälle, ab 2015 gemeinsam mit IHR, schlank, lebhaft, mit begeisterungsfähigen braunen Augen: Anika Wangard, 1977 in Düsseldorf geboren. Ganz eigentlich war sie Diplom-Soziologin, was sicher nicht verkehrt ist, wenn man Menschenschicksale formt. Auch sie absolvierte ein Regiestudium an der Deutschen Film -und Fernsehakademie Berlin. Das Drehbuchschreiben brachte sie sich im Alleingang bei, und zwar so gut, dass sie für ihren ersten realisierten Film ‚Crashkurs‘ mit dem Hamburger Nachwuchs-Preis für das bestes Drehbuch nominiert war. Für ihre Regie bei diesem Film gab’s die Nominierung für den Max-Ophüls-Preis.
Natürlich hat auch ihr Partner schon viele Preise oder Nominierungen erhalten, etwa den Hamburger Krimipreis 2009 und 2018, und sowohl den Haupt- als auch den Publikumspreis des Deutschen Fernseh-Krimi-Festivals 2015.
Merkwürdigerweise sind weder Eoin noch Anika von Natur aus Krimi-Fans. Dass sie sich trotzdem häufig mit dem Genre beschäftigen,halten beide gerade aus diesem Grund für einen Vorteil. Sie haben eine ungewöhnliche Sicht auf das Thema und können deshalb mit Leichtigkeit Klischees umtänzeln.
Vielleicht war es auch dieser Aspekt, der dazu führte, dass man gerade Moore/Wangard anforderte, um Til Schweigers Alter Ego aus der Patsche zu helfen. Das war, erzählt Eoin, eine extreme Herausforderung, weil es sich um die komplette Neuorientierung einer bestehenden Figur handelte, die gewissermaßen eine dritte Dimension verpasst bekommen sollte.
Mit speziell diesem Stoff hat das Autorenteam bis zur Erschöpfung gekämpft. Tatsächlich kämpften sie unter anderem auf einem Flipchart! Ganz wie Kriminalpolizisten, die vor so einer Tafel brüten, um den Mörder und seine Taten einzukreisen, benutzen Eoin und Anika diese Möglichkeit, klare Konzepte zu schaffen.
Eoin Moore legt großen Wert darauf, sich seine Schauspielercrew selbst zusammen zu casten. Am liebsten arbeitet er natürlich mit Darstellern, die er gut kennt.
Sie brauchten für den Tschiller-Tatort eine, wie Moore es nennt, „Taktische Besetzung“, Nebenrollen, um „alles aus dem Hauptdarsteller rauszuholen, was drin ist“. In diesem Fall war das ganz besonders Laura Tonke als intelligente und sensible Leiterin eines Heims für schwer erziehbare Jugendliche. Sie ist den immer noch erkennbaren Reizen des seelisch derangierten Machos Tschiller gar nicht mal abgeneigt, reagiert jedoch ironisch bis schlichtweg empört auf seine impulsiven Alleingänge oder seine mannhafte Weigerung, sich mit der eigenen Psyche zu beschäftigen. Tonke gibt ihm – Til Schweiger! – dadurch einige Male die Stichworte für eine recht liebenswerte Selbstironie.
Anika Wangard sagt, sie liebt diese Teamarbeit. Sie hätte es früher nie so geplant, meint jedoch, es sei ein Segen und schätzt sich glücklich, den für sie perfekten Teamarbeiter gefunden zu haben. Außerdem liege diese Form der Zusammenarbeit in der Zeit: „Es gibt Nadelöhre und Probleme mit jedem Stoff, die nur zu zweit zu lösen sind. Da werden große Mengen von Hirnschmalz hin und her geschoben. Oft machen wir das so: Jeder schreibt eine Hälfte, der andere redigiert und analysiert. Das stellt Ansprüche an Empfindlichkeit und Eitelkeit. Andererseits ist man gegenüber der Kritik durch Dritte zu zweit viel resilienter.“
Das Team leistet sich damit allerdings einen Luxus, der nicht honoriert wird. Denn Geld gibt es nur für das gesamte Drehbuch, nicht für den einzelnen Autor.
Zu ihrem Drehbuchkurs schreiben sie: „Unser Ziel ist es, mutig, konsequent und modern zu schreiben. Ohne die breitgetretenen Erzählmuster und Dialoge zu reproduzieren, die wir täglich im deutschen Fernsehen wegschalten“ und „Wie bleibt man künstlerisch bei sich trotz Krimigenre?“
Das ist genau, was sie vormachen. Ich finde, ganz besonders kommt das beim Rostocker Polizeiruf 110 zur Geltung. Die einzelnen Kriminalfälle sind nicht unbedingt raffinierter als andere, doch sie bekommen dadurch ihren besonderen Reiz, dass sie irgendwie Bezug haben zu den Ermittlern und deren persönlicher Entwicklung. Man erfährt kontinuierlich mehr über die Vergangenheit der Kommissare, über ihre privaten Probleme – nachvollziehbar, aber nie klischeehaft. Das ist ebenso spannend wie die Lösung der jeweiligen Verbrechen. Moore bevorzugt diese horizontale Erzählstruktur, etwas, das in deutschen Serien bis vor einigen Jahren eher vernachlässigt worden ist. Meistens versuchte man, darauf zu achten, dass eine Folge in sich abgeschlossen betrachtet werden konnte, im Sinne von: Du musst gar nicht wissen, was vorher war, Du kannst jederzeit einsteigen.
Doch gerade das Wissen um die Hintergründe der Persönlichkeiten macht süchtig…
Übrigens ist Anneke Kim Sarnau kürzlich für ihre Rolle als Kommissarin König im neuen Polizeiruf 110: ‚Der Tag wird kommen‘ beim Deutschen Fernsehkrimi-Festival als beste Darstellerin geehrt worden. Diese Folge wird wahrscheinlich im Sommer 2020 ausgestrahlt.
Begründung der Jury: „Wie eine Schauspielerin mit großer Emotion und Mut zum Risiko die Integrität und Persönlichkeit ihrer Figur angesichts extremer Anforderungen durch Drehbuch und Regie aufrechterhält, und wie die Figur nie Opfer wird, auch, wenn sie den Kampf mit ihren inneren und äußeren Dämonen im Wechselspiel von körperlicher Vergiftung und Entzug fast zu verlieren droht.“
Eoin Moore hatte mir geschildert, wie die geniale Sarnau stets an ihre Grenzen geht und manchmal darüber hinaus. Bei dieser Folge der Krimi-Serie hat er Regie geführt. Das kann der Sache nicht geschadet haben…
Eoin Moore und Anika Wangard
Weitere Informationen zu
- Anika Wangard
- Eoin Moore
Abbildungsnachweis: Alle Fotos PR/Anika Wangard
Header: Anika Wangard und Eoin Moore
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