Die 59. Nordischen Filmtage Lübeck – Ein Blick auf das Filmforum
- Geschrieben von Christel Busch -
Seit drei Jahrzehnten ist das Filmforum ein wichtiger Bestandteil der Nordischen Filmtage. Zwar stehen die nordischen und baltischen Produktionen im Focus des Lübecker Festivals, aber auch die norddeutschen Filmschaffenden bieten ein buntes Spektrum aus Spiel- und Dokumentarfilmen, Kurz- und Animationsfilmen. Informativ, spannend und unterhaltsam präsentieren die Nordlichter dem Lübecker Publikum ein sehenswertes, abwechslungsreiches Kinoprogramm.
Das Filmforum hat sich mittlerweile bei den Lübecker Cineasten zu einer überaus beliebten Sektion gemausert, deren Präsentationen gut besucht werden. So auch in diesem Jahr: Dreißig Filme stehen bei den Nordischen Filmtagen auf dem Programm, die einen Kontrast zu den oftmals düsteren Spielfilmen der nordischen Länder und dem Baltikum bilden. Etablierte norddeutsche Filmemacher und Nachwuchsfilmer stellen die in Zusammenarbeit mit dem NDR, der Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein (FFHSH) und der Filmwerkstatt Kiel produzierten Filme einem interessierten Publikum vor. Einzige Bedingung: Die Filme müssen einen Bezug zu Hamburg oder Schleswig-Holstein haben, egal ob als Thema, Drehort, Förderung oder Regiearbeit. Eine Einschränkung bezüglich Genre oder Filmlänge gibt es nicht; die Filmschaffenden haben freie Hand. Die meisten Filme laufen außer Konkurrenz, nur alle Kurzfilme, die im Filmforum präsentiert werden, nehmen an dem Wettbewerb um den mit 3.000 Euro dotierten CineStar-Preis teil. Erfolgreiche Regisseure, wie der deutsch-portugiesische Filmregisseur Miguel Alexandre, der iranische Schriftsteller und Filmregisseur Khashayar Mostafavi sowie die routinierten Filmhasen Katharina Schüttler, Kathrin Sass oder Schauspieler Charly Hübner und Stephan Kampwirth treffen auf Newcomer aus der Filmbranche: darunter İlker Çatak, Katja Benrath, die an der Hamburger Media School studiert haben, oder Alexandra Pohlmeier, Kersti Grunditz Brennan und Jannike Åhlund aus Schweden (Filmwerkstatt Kiel), welche zu den hoffnungsvollen Nachwuchstalenten zählen.
Leider können nicht alle dreißig Filmproduktionen benannt werden. Aber ein kleiner Trost: Die Filme werden in den deutschen Kinos laufen oder im Fernsehen vorgestellt.
Nachfolgend eine kleine Auswahl:
Skurril, wild, laut und bunt geht es in dem Filmdebüt von Ilker Çatak „Es war einmal Indianerland“ zu. Vorlage ist der gleichnamige, preisgekrönte Jugendroman von Nils Mohl, der die Geschichte von Jugendlichen auf ihrem Weg zum Erwachsenwerden erzählt. „Es war einmal“, so fangen alle Märchen an:
Es ist Sommer. Der siebzehnjährige Mauser lebt in einem Plattenbau-Ghetto eines Hamburger Vorortes. Bei einer illegalen Poolparty verknallt er sich in die flippige Jackie, Tochter aus reichem Elternhaus, in der er gleich die Liebe seines Lebens sieht und deren Telefonnummer er sich mit einer Glasscherbe auf die Hand ritzt. Aber da ist noch die Konkurrenz: Neben Jackie, die sich selbst als "eitel, zickig und unkeusch" bezeichnet, hat die bodenständige Edda ein Auge auf Mauser geworfen. Sie jobbt in der Stadtteilvideothek und hat ein Faible für Wildschweine. Dann eskaliert die Situation: Mausers Vater erwürgt im Streit seine Frau Laura. Im bevorstehenden Ausscheidungskampf seines Boxclubs soll Mauser gegen seinen Freund Kondor antreten. Bei einem sommerlichen Rave-Festival am Waldsee hat der Siebzehnjährige seinen ersten Drogentrip. Und dann erscheint immer wieder dieser seltsame Indianer, von dem Mauser sich verfolgt fühlt. Zwischen dem Zoff mit seinen Kumpels, der Familientragödie, dem Liebeschaos mit zwei Mädchen und den Indianer-Visionen erlebt Mauser den Sommer seines Lebens.“ Ein wunderbar wilder Genre-Mix aus Boxerfilm, urbanem Western, Roadmovie und Musikvideo“, heißt es im Programm.
Es war einmal Indianerland / Once Upon a Time in Indian Country, 2017, 97 min, Germany
Regie: Ilker Çatak
Drehbuch: Nils Mohl, Max Reinhold
Produzent: Michael Eckelt
Rollen: Leonard Scheicher (Mauser), Emilia Schüle (Jackie), Johanna Polley (Edda), Clemens Schick (Zöllner), Joel Basman (Kondor), Bjarne Mädel (Taxifahrer/ Tankwart)
Das Musik-Drama von Christian von Brockhausen und Timo Großpietsch "Könige der Welt" erzählt die Geschichte einer Band mit ungewissen Ende: Ein paar Jungs aus der deutschen Provinz können mit ihrer Garagen-Band „Union Youth“ ab 2001 Erfolge feiern. Die Freunde Maze Exler, Ole Fries, Michael Borwitzky und Markus Krieg touren mit Pop-Größen wie Bush, Die Ärzte und den Beatsteaks. Durch den Heroinkonsum von Frontman Maze kommt der Absturz. 2006 löste sich die Band auf. Zehn Jahre später, wollen die Vier unter dem Namen „Pictures“ einen Neuanfang starten. Doch Maze ist immer noch abhängig und wird für sieben Monate in eine Entzugsklinik in Brandenburg eingeliefert. Die Dokumentarfilmer Christian von Brockhausen und Timo Großpietsch haben über eineinhalb Jahre die Band mit der Kamera begleitet. In ihrem Film zeigen sie die Auftritte vergangener Tage, sie zeigen den Neuanfang, den Frust und die Freude im Aufnahmestudio, das Tingeln durch kleine Clubs, die Übernachtungen in billigen Hotels. "Da fährt man fünf Stunden her, baut dann eine Stunde auf für einen 40 Minuten-Auftritt, muss dann wieder schnell weiter – das lohnt sich fast nicht. Aber es macht solchen Spaß!", heißt es im Film.
Die Produktion ist nicht nur ein Musikfilm, eine Bandbiographie oder das Bekenntnis einer tiefen Freundschaft, sondern auch ein Film über Depressionen, Erfolgsdruck und Drogen.
Der Film wird am 15.03.2018 ins Kino kommen.
Könige der Welt / We were Kings, 2017, 94 min, GermanyRegie: Christian von Brockhausen, Timo Großpietsch
Drehbuch: Christian von Brockhausen, Timo Großpietsch
Produzent: Olaf Jacobs
Rollen: Michael Borwitzky, Maze Exler, Ole Fries, Markus Krieg, Nobse Kues, Jan van Triest, Jana Brinkmann
Webseite
Die Tragikomödie „Arthur & Claire“ des deutsch-portugiesischen Filmregisseur Miguel Alexandre basiert auf dem gleichnamigen Theaterstück von Stefan Vögel. Zwei Selbstmordkandidaten treffen sich zufällig nachts in einem Amsterdamer Hotel. Der Österreicher Arthur, Anfang 50, hat Lungenkrebs und möchte in einer Sterbeklinik aus dem Leben scheiden. Seine Henkersmahlzeit wird ihm vergällt vom lauten Hardrock aus dem Nachbarzimmer. Ärgerlich stürmt Arthur das Zimmer und erkennt, dass seine Nachbarin, die Holländerin Claire, ihren Suizid vorbereitet. Während ihres verbalen Schlagabtauschs entsorgt er kurzerhand die Schlaftabletten und folgt der wutentbrannten Claire in das Nachtleben von Amsterdam. Es wird für beide eine Nacht, die außergewöhnliche Erfahrungen bereithält. Mit schwarzem Humor, einer Portion Sarkasmus, mit klugen und witzigen Dialogen reflektieren Arthur und Claire ihre Probleme und die Dinge für die es sich lohnt zu leben. Sie beschließen, sich einem gemeinsamen Leben zu stellen und es bis zum letzten Augenblick auszukosten.
Arthur & Claire, 2017, 100 min, DE/AT/NL
Drehbuch: Miguel Alexandre, Josef Hader
Produzent: Gerald Podgornig, Gudula von Eysmondt
Rollen: Josef Hader (Arthur), Hannah Hoekstra (Claire), Rainer Bock (Dr. Sebastian Hofer), Guy Clemens (Empfangschef), Ruben Brinkmann (Barista)
Ein spannender Mysterythriller mit Gruseleffekt ist „TIAN – Das Geheimnis der Schmuckstraße" von Damian Schipporeit. Als der Bauingenieur Michael Winter seine Arbeit verliert, zieht er mit seiner Frau Friederike und der achtjährigen Tochter Selma in das heruntergekommene Mietshaus seines Schwiegervaters Heinrich auf St. Pauli. Aber auf der Wohnung scheint ein Fluch zu liegen. Immer häufiger werden Selma und Friederike von Wahnvorstellungen heimgesucht. Sie sehen Zeichen an der Wand und hören Stimmen. Die Ereignisse nehmen einen dramatischen Verlauf. Mit Hilfe der Kneipenwirtin Shuilian kommt Michael dem Geheimnis auf die Spur. Das Haus in der Schmuckstraße gehörte einst zum ehemaligen Chinesenviertel. Im Mai 1944, in der sogenannten „Chinesenaktion“, räumten die NAZI das Viertel und ermordeten Männer, Frauen und Kinder.
TIAN - Das Geheimnis der Schmuckstraße / TIAN - The Mystery of St. Pauli, 2017, 92 min, GermanyRegie: Damian Schipporeit
Drehbuch: Georg Tiefenbach, Stefan Gieren
Produzent: Stefan Gieren
Rollen: Stephan Kampwirth (Michael Winter), Katharina Schüttler (Frederike Winter), Hermann Beyer (Heinrich Weber), Bella Bading (Selma Winter)
„Watu Wote“ (All of us) ist ein deutsch-kenianischer Kurzfilm von Katja Benrath. In Lübeck aufgewachsen, hat sie mit diesem Film 2016 ihren Masterabschluss an der Hamburger Media School gemacht. Der Film erzählt eine wahre Geschichte, die sich laut Internetseite der BBC im Dezember 2015 an der Grenze zwischen Kenia und Somalia zugetragen hat: Eine junge, schwarze Christin fährt mit einem Bus in die Provinzhautstadt Mandera. Islamistische Milizen der al-Shabaab haben zuvor ihren Mann und ihr Kind getötet. Angst und Misstrauen herrschen zwischen den Passagieren, zwischen Christen und Muslimen. Normalerweise fährt der Bus nur in Begleitung eines Polizeiwagens. Aber der Begleitwagen ist kaputt. Und dann ist die Terrormiliz plötzlich da mit ihren Gewehren, Mordlust im Blick. Sie fordern die Fahrgäste auf, sich nach Christen und Muslimen vor dem Bus aufzustellen. Niemand reagiert. Niemand antwortet. Dann kommt Hilfe und die Terroristen fliehen. Zuvor schießen sie auf einen Lehrer aus dem Bus, der wenige Wochen später stirbt.
Für diese eindringliche Dokumentation mit den gewalttätigen Bildern hat Katja Benrath im Oktober 2017 in Los Angeles den Studenten-Oscar in Gold erhalten. Bei den Nordischen Filmtagen wurde ihr Film mit dem Cinestar-Preis belohnt.
Watu Wote / Watu Wote / All of us, 2017, 23 min, Germany
Regie: Katja Benrath
Drehbuch: Julia Drache
Produzent: Tobias Rosen
Rollen: Adelyne Wairimu, Abdiwali Farrah, Barkhad Abdirahman, Charles Karumi, Faysal Ahmed
Das Programm des diesjährigen Filmforums ist thematisch spannend und so umfangreich gewesen, dass die Film-Auswahl für diesen Artikel schwerfiel.
Die gesamten Filme sind auf der Homepage der 59. Nordischen Filmtage Lübeck nachzulesen.
Header:
Fulldome, Foto: © Nordische Filmtage Lübeck
Galerie:
01. Once Upon a Time in Indian Country, © Camino Filmverleih
02. Once Upon a Time in Indian Country, © Camino Filmverleih. Director: Ilker Çatak
03. und 04. We were Kings, © W-Film/NDR
05. We were Kings, linkes Foto: © NDR/David Diwiak / W-film, Director: Christian von Brockhausen, rechtes Foto: © Katja Großpietsch / W-film, Director: Timo Großpietsch
06. Arthur & Claire, © Tivoli Film – Wolfgang Amslgruber
07. Arthur & Claire, © Marion v.d. Mehden, Director: Miguel Alexandre
08. und 09. TIAN - The Mystery of St. Pauli © The Storybay
10. TIAN - The Mystery of St. Pauli © The Storybay. Director: Damian Schipporeit
11. und 12. Watu Wote, © Hamburg Media School
13. Watu Wote, © Hamburg Media School. Director: Katja Benrath
Kommentar verfassen
(Ich bin damit einverstanden, dass mein Beitrag veröffentlicht wird. Mein Name und Text werden mit Datum/Uhrzeit für jeden lesbar. Mehr Infos: Datenschutz)
Kommentare powered by CComment