Wenn man diese Hängung in Noten übersetzen könnte, käme zweifellos Punk heraus. Anders ist der rhythmische, hochdynamische Wechsel von kleinen und großen Portraits kaum zu interpretieren. Die Fotos scheinen förmlich über die Wände des Bucerius Kunst Forums zu tanzen. Was Wunder, Anton Corbijn selbst hat seine Schau „The Living and the Dead“ am Hamburger Rathausmarkt kuratiert - gemeinsam mit dem Hausherrn Franz Wilhelm Kaiser.
Es gibt Portraits wie Sand am Meer von Jahrhundertmusikern wie Miles Davis, David Bowie oder Mick Jagger. Aber wenn einem sofort eine ganz bestimmte Fotografie vor Augen steht sobald der Name fällt, dann ist es mehr als irgendein Portrait - dann ist es eine Ikone. Anton Corbijn (63) hat in den vergangenen 40 Jahren viele Ikonen geschaffen. Miles Davis beispielsweise ist untrennbar verbunden mit dem Close-up, das Corbijn 1985 in Montreal von ihm aufnahm: Der brennende Blick, der sein Gegenüber zu durchlöchern scheint, hat sich in unser Gehirn gebrannt. Ebenso die genialen Hände mit den langen, schlanken Fingern und den gepflegten weißen Nägeln, die er halb vor das Gesicht hält. Was für eine Intensität liegt in diesem Bild, was für eine Verdichtung. Oder, ganz anderes, das Dreiviertelportrait von David Bowie 1980: Nackt bis auf einen Lendenschurz, die Hände über der Brust gefaltet, sieht Bowie aus wie eine Inkarnation von Christus. Auch so eine Ikone der Rockgeschichte. Natürlich in Schwarzweiß, wie die meisten Musiker-Portraits des Niederländers.
Anton Corbijn hat sich immer dagegen gewehrt als Rockfotograf bezeichnet zu werden. „Ich sehe mich selbst als Portraitfotograf, der oft Musiker fotografiert“, sagt er. Sicher, er hat viele Künstlerinnen und Künstler fotografiert. Catherine Deneuve, Damian Hirst, Salman Rushdie. Doch sein Name steht nun mal für die Rock- und Punkszene, die ihn schon als Schüler im holländischen Strijen faszinierte und die der glatte Gegenentwurf zu seinem streng calvinistischen Elternhaus war. Der Pastorensohn aus der Provinz wollte Janis Joplin statt Jesus, Rebellion statt Religion, Punk statt Predigten. 1972, gerade mal 17 Jahre alt, fotografierte er sein erstes Rockkonzert, ging 1979 nach London, portraitierte dort als Einstieg Joy Division, dessen Sänger Ian Curtis sich wenig später – fast gleichalt mit Corbijn – das Leben nahm. Der Tod, der in seinem Elternhaus immer präsent war, ließ den jungen Holländer auch in London nicht los. Er war besessen von der Musikwelt, die Fotografie war seine Eintrittskarte, doch nun lernte er schnell die Schattenseiten von Ruhm und grenzenloser Freiheit kennen.
Die zweigeteilte Ausstellung im Bucerius Kunst Forum greift diese Schattenseiten auf – im Obergeschoss. Unten ist derweil ein hinreißendes „Best Off“ durch Zeiten, Stile und Celebrities zu sehen. Eine Art „Best Off“ aus dem ersten Buch „FAMOUZ“ (1974-1988), wie aus den Serien „STAR TRAK“ (1989-1999), „STILL LIVES“ (1997-1999), „INWARDS AND ONWARDS“ (1996-2011). Doch so unterschiedlich die Serien (erst Kleinformat, dann Mittelformat) auch sein mögen – eine starke Grobkörnigkeit bis hin zur Unschärfe und die geheimnisvolle, morbide Aura tiefschwarzer, später auch brauner Schatten-Partien sind in fast all seinen Bildern anzutreffen.
Was soll man hier herausgreifen? Die rehäugige Sinéad O’Conner, die scheu unter der Kapuze hervorlugt? Countrey Love als schaumgeborene Venus im Wasser? Den schreienden Henry Rollins, der das Cover des hervorragenden Kataloges ziert? Oder das voyeuristische „Paparazzo-Foto“ von Kylie Minogue im transparenten Body am Fenster? Allesamt großartige Fotografien mit jeweils völlig unterschiedlicher Ästhetik.
Im ersten Stock wird es dann sehr persönlich und auf den ersten Blick auch irritierend. Ist er das nun oder nicht? Ja, er ist es, immer wieder: Anton Corbijn. Auf den Spuren nach seinen Wurzeln schlüpfte der Fotograf Anfang 2000 in die Rolle seiner längst verstorbenen Idole. Portraitierte sich in seinem Heimatdorf Strijen (u.a.) als Jimi Hendrix, John Lennon, Curt Cobain, Freddy Mercury, Bob Marley und Frank Zappa. Sogar als Janis Joplin. Konfrontiert nun in Hamburg erstmals die Maskerade mit der bislang unveröffentlichten Serie „Cemeteries“ (1982): Mit Grabfiguren, die mitunter vitaler erscheinen als die Rockstars. Die Auseinandersetzung mit dem Leben nach dem Tod kennt Corbijn seit seiner Kindheit. Als Fotograf sind „die Lebenden und die Toten“ sein großes künstlerisches Thema geworden.
„Anton Corbijn. The Living And The Dead”
Zu sehen bis 6. Januar 2019 im Bucerius Kunst Forum, Rathausmarkt 2, 2009 Hamburg,täglich 11-19 Uhr, Do bis 21 Uhr.
Eintritt 9 Euro, erm. 6. Euro, unter 18 Jahren frei.
Alle Infos unter www.buceriuskunstforum.de
Fotonachweis:
Header und Galerie: Ausstellungsansichten Anton Corbijn: The Living and the Dead. Alle Fotos: Ulrich Perrey
Kommentar verfassen
(Ich bin damit einverstanden, dass mein Beitrag veröffentlicht wird. Mein Name und Text werden mit Datum/Uhrzeit für jeden lesbar. Mehr Infos: Datenschutz)
Kommentare powered by CComment