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Die Zeit mit Beginn des 11. bis Mitte des 15. Jahrhunderts ist als die Geburt und Wiege der musikalischen Formen zu betrachten, die wir heute noch kennen und die Musik bis in unsere Zeit bestimmt.
Der KlassikKompass unternimmt in einer Serie in losen Folgen eine Reise in die Musik des Mittelalters. Wir setzen diese Fahrt fort und betrachten die Musik des Krieges, die auch in dieser Zeit ihre Wiege hatte.
Flammende Schlachtbeschreibungen, voll Blut und Heldenmut, Trauergesänge und das Elend der Soldaten, Heilige Heldinnen, die als Hexen verbrannt wurden. Drei kriegerische Szenearien werden wir besuchen: Die Kreuzzüge, den Hundertjährigen Krieg zwischen England und Frankreich und schließlich das christlich-kriegerische Reich Isabellas von Kastilien.
Wir enden unseren Reise an den Höfen an denen die friedlichen Schlachten der Liebe und des Tanzes die blutige Wirklichkeit parodierten.
Während der ersten Hälfte des Mittelalters wurde Musik ausschließlich an Höfen und in Kirchen praktiziert, nicht auf dem Schlachtfeld. Diese Praxis änderte sich grundlegend in der Zeit der Kreuzzüge. Urban II. (1035-1099), vormals: Odo de Chatillon, auch Otto von Châtillon, Bischof Otto von Ostiawar war Papst von 1088 bis 1099. Er rief am 27. November 1095 die christliche Ritterschaft zum Kreuzzug auf. Durch diesen ersten Kreuzzug sollte das morgenländische Christentum namentlich das ‚heilige’ Jerusalem von der Herrschaft der Muslime befreit werden. Papst Urban II. schließt sich in Clermont dem Aufruf an.
Zeitzeugen berichteten, dass die versammelte Menschenmenge zu groß war, um in der Kathedrale Platz zu finden, weswegen Urban seinen leidenschaftlichen Aufruf auf freiem Feld vor den Stadttoren an die Menge richtete. Urbans stark dramatisierende Rede von den Leiden der Christenheit im Osten, der Misshandlung durch die Andersgläubigen sowie der Notwendigkeit der Befreiung der ‚Heiligen Stadt’ Jerusalem wurde den Chronisten zufolge begeistert aufgenommen.
Angeblich wurde hier bereits das spätere Motto der Kreuzzüge – ‚Gott will es!’ – geprägt. Adhemar de Monteil, Bischof von Le Puy, der später zum Führer des Zugs ernannt wurde, kniete in einem zuvor abgesprochenen Auftritt unmittelbar nach dem Ende der Rede vor Urban nieder und bat als erster um die Erlaubnis, ziehen zu dürfen, und viele andere sollen sich ihm umgehend angeschlossen haben. Ein Übriges taten die über das Land gesandten Wanderprediger der Kirche. Der Aufruf zum Kreuzzug war zumindest teilweise von Erfolg gekrönt.
Urban einte erstmals die seit langem in Streitereien untereinander verstrickten französischen Adeligen und gab ihnen mit dem Ziel eines ‚gerechten’ Kampfes im Dienste der christlichen Sache hierfür eine ideelle Grundlage, die zugleich den theologischen und weltlichen Führungsanspruch seines Amtes stärkte.
Der vor dem Aufruf geforderte ‚Gottesfrieden’, der die Begrenzung der noch ausstehenden Fehden brachte, bestärkte gleichzeitig die Autorität der hier eingreifenden Kirche und stellte ein wesentliches Ereignis der machtpolitischen Rolle der Kirche und des Papsttums in der mittelalterlichen Geschichte Europas dar.
Zwischen dem ersten Kreuzzug dessen Ziel die Befreiung Jerusalems war, wurden insgesamt zwischen 1096 und 1396 sechs weitere Kreuzzüge unternommen, deren Ziele unter anderem auch Damaskus, Tunis und Ägypten waren.
Im 14. Jahrhundert wurden dann weitere 50 Kreuzzüge gegen die damals ‚heidnischen’ Pruzzen und Litauer geführt. Diese vom Deutschen Orden organisierten Feldzüge bezeichnete man auch als ‚Preußenfahrten’ oder ‚Litauerreisen’. Das Großfürstentum Litauen war zu jener Zeit Weltmacht und das flächenmäßig größte Land Osteuropas und erstreckte sich bis zum Schwarzen Meer.
Das 15. Jahrhundert weist weitere vier Kreuzzüge gegen die Hussiten auf. Von 1443 bis 1444 fand ein meist als ‚letzter Kreuzzug’ eingestufter Feldzug gegen das Osmanische Reich statt, der in der Schlacht bei Warna scheiterte.
Der erste Kreuzzug hatte jedoch Jerusalem, die ,Heilige Stadt’ zum Ziel, die in christliche Hände zurückfallen sollte. 1071 war Jerusalem nämlich praktisch kampflos in die Hand sunnitischer Seldschuken gefallen. Wenige Jahre darauf kam es 1076 zu Unruhen und Straßenkämpfen zwischen verfeindeten Sunniten und Schiiten.
Christliche Pilgerfahrten ins Heilige Land wurden wegen der andauernden Kriege zwischen Seldschuken und Schiiten fast unmöglich. Zwar blieb die Grabeskirche auch unter türkischer Herrschaft Christen zugänglich, doch verboten die Seldschuken die Reparatur der in den Unruhen beschädigten Kirchen. Die blutigen Konflikte erschwerten den Zugang zu den heiligen Stätten. Im August 1098 stießen dann die Fatimiden unter dem Kommando des Wesirs al-Adfal gegen Jerusalem vor und eroberten die Stadt mithilfe moderner Kriegsmaschinen in sechswöchiger Belagerung. Nur wenige Monate später standen die Kreuzritter vor Jerusalem und begannen ihrerseits mit der Belagerung der Stadt. Nachdem es dem Kreuzfahrerheer gelungen war, drei Belagerungstürme zu bauen, eroberten die Kreuzritter am 15. Juli 1099 unter Gottfried von Bouillon und Raimund von Toulouse die ‚Heilige Stadt’ Jerusalem, deren ‚Reinigung’ von den ‚Heiden’ das Ziel ihrer bewaffneten Wallfahrt gewesen war. Im Zuge der Besetzung der Stadt töteten die Kreuzritter innerhalb von drei Tagen an die 20.000 Bewohner. Über dieses Massaker schrieb der Augenzeuge Raimund von Aguilers: „In allen Straßen und auf allen Plätzen waren Berge abgeschlagener Köpfe, Hände und Beine zu sehen. Die Menschen liefen über die Leichen und Pferdekadaver. Aber ich habe bis jetzt nur die kleineren Schrecken beschrieben beschreibe ich was ich tatsächlich gesehen habe, würdest du mir nicht glauben...“
Auch der arabische Historiker Ibn al-Atir beschrieb die Bluttat: „Die Franken nahmen die Stadt von der Nordseite, morgens des 15. Juli 1099. Die Einwohner wurden ans Schwert geliefert, und die Franken blieben eine Woche in der Stadt, während sie die Einwohner mordeten…“
Nach der Eroberung von Jerusalem gründeten die Kreuzritter das ‚christliche Königreich Jerusalem’ und bauten eine Reichsverwaltung auf. Die kirchliche Hierarchie des Heiligen Landes wurde mit der Neugründung des Patriarchats von Jerusalem von lateinischen Bischöfen okkupiert und neu organisiert. Nicht nur machtmäßig hatte sich die Welt gründlich verändert – auch die Musik fand ihren Weg auf die Schlachtfelder.
Beeindruckt durch die sarazenischen Militärkapellen, die von den arabischen Feldherren zur Übermittlung von ‚musikalischen Befehlen’ an verschiedene Feldformationen eingesetzt wurden und außerdem zur Abschreckung des Feindes dienten - wie der franziskanischer Scholastiker und Autor von ‚De Proprietatibus Rerum’, einem Vorläufer der Enzyklopädie und einem der ersten Nachschlagewerke des Mittelalters, Bartholomäus Anglicus, im 13. Jahrhundert staunen berichtete – begannen die Kreuzfahrer Heere die sarazenische Kriegsmusik-Praxis zu übernehmen und in ihrem Sinne umzubilden.
Unter anderen setzten die sarazenischen Kriegskapellen das ‘Anafil’ ein, eine ventillose Naturtrompete, dazu die ‚Tabor’, eine kleine Trommel die manchmal wie eine moderne ‚snare-drum’ klang, dazu den ‚Naker’ eine kleine Kesselpauke die im Duo gespielt wurde.
In einer Schlacht in Syrien 1191, wurde zum Beispiele beschrieben, das die Trompeten zum Start eines Kavallerie Angriffs erstmals eingesetzt wurden.
Als die Veteranen der Kreuzzüge nach Europa zurückkehrten, brachten sie auch musikalische Kriegs-Instrumente und die Kunst sie auf dem Schlachtfeld einzusetzen mit nach Europa.
Da diese Veteranen zumeist hochgeachtete und erfahrene Soldaten waren wurden sie bald in Söldnerheere und königliche Armeen übernommen und mit ihnen verbreitete sich dann sehr schnell die Praxis der Militärmusik in Europa.
Diese matrialische Musik wurde natürlich den europäischen Musikgewohnheiten angepasst. Zu den Trompeten gesellten sich sogenannte ‚Swarm’ (ein frühes Doppelrohr Blasinstrument) und sogar erstmals schon Dudelsäcke.
Ganze Militärkapellen begleiteten bald Armeen in den Feldzug, spielten sogar an Bord von Kriegsschiffen oder trugen zum Pomp von Turnieren, Ritter-Wettkämpfen und militärischen Aufzügen und Anlässen am Hofe bei.
Der katalanische Gambist, Musikforscher und Dirigent Jordi Savall hat mit seiner Gruppe Hesperion XXI und der La Capella Reial de Catalunya ein faszinierendes musikalisches Gemälde der ‚Heiligen Stadt’ Jerusalem von den ‚Posaunen vor Jericho’ um 1200 vor Christus bis in unsere Zeit auf 2 CD und in einem umfangreichen 435 Seiten starken 8 sprachigen (französisch, kastilisch, englisch, katalanisch, deutsch, italienisch, arabisch und jüdisch) reich bebilderten Buch veröffentlicht.
Diese einmalige Aufnahme unter dem Titel ‚Jerusalem – Stadt des irdischen und des himmlischen Friedens’ die in ihrem Textteil einen tiefen Einblick in die wechselvolle und oft tragische Historie Jerusalems gibt, nehmen die Kreuzzüge einen breiten Raum ein.
Savall engagierte arabische und jüdische Musiker, letztere aus Galiläa, um ein möglichst authentisches Klangbild dieser Epoche zu erzeugen.
Unter anderem findet sich darauf das bekannteste lateinische Kreuzfahrer Lied ‚Pax in nomine Domini’.
Zeugnis der Eroberung Jerusalems durch die christlichen Heere gibt auch Wilhelm von Tyrus (1130-1186), Erzbischof und Kanzler des eroberten Jerusalems: „Die Heilige Stadt Jerusalem, von Gott geliebt, fiel wegen unserer Sünden in die Hände unserer heidnischen Feinde. Doch sie wurde rückerobert in Jahr der Menschwerdung unseres Herrn 1099 am Freitag den 15. Juli gegen neun Uhr am Vormittag. Überall war ein furchtbares Gemetzel, überorts häuften sich so viele enthauptete Köpfe, dass es bald nur möglich war, über die Leichen der Hingerichteten von einem Ort zum anderen zu gelangen.“
Das CD-Buch ‚Jerusalem’ von Jordi Savall gibt einen geklungenen Abriss nicht nur der Geschichte der Stadt der drei Religionen – Christentum, Judentum und Muslim – sondern auch einen farbige musikalische Bogen der Zeit der Kreuzfahrer – sehr empfehlenswert!
2 CD mit ausführlichen 435 Seiten starken Buch „Jerusalem“ mit Jordi Savall, Hesperion XXI und Gastmusikern ist zu haben bei Alia Vox Records unter der Bestellnummer AVSA 9863 A+B.
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