In diesen Tagen erinnern wir uns in der Hamburger Autorenvereinigung an zwei Ehrenmitglieder, die vor 10 Jahren kurz hintereinander starben.
Am 7. Oktober 2014 starb Siegfried Lenz, 2004 unser erster Träger des Hannelore-Greve- Literaturpreises. Die Nachricht traf genau im Hamburger Rathaus zu Beginn der festlichen Verleihung des Preises an Herta Müller ein.
Auch mein Freund Ralph Giordano war eingeladen, hatte aber wegen einer Erkrankung abgesagt. Er rief mich an und wollte einen Nachruf auf Siegfried Lenz verfassen. Er brauche dafür drei Tage und ich sollte ihn dem Hamburger Abendblatt vermitteln.
Als der Nachruf mit dem Titel „Eine Abbitte“ vorlag, hatte das Blatt in der Zwischenzeit den Journalisten Michael Jürgs beauftragt. Ralph Giordano war ziemlich enttäuscht. Sein Text behandelte seine frühere Einstellung zum 1955 Kurzgeschichtenwerk „So zärtlich war Suleyken“ seines Freundes Lenz, was bei ihm zunächst wegen der Sprachkraft Entzücken auslöste, bis der Gedanke an der Rolle Ostpreußens in der Hitler-Zeit bei ihm aufstieg, und er die romantische Beschreibung Masurens insofern unpassend fand. Immerhin machte sich Giordano später selbst auf die Reise nach Ostpreußen und war von der Landschaft angetan. Zur Präsentation seines 1994 erschienenen Buches „Ostpreußen ade – Reise durch ein melancholisches Land“, in Köln reiste Siegfried Lenz aus Hamburg an. Der Nachruf auf Lenz, war offenbar das letzte Werk von Giordano. Als ich ihn Anfang des Monats Dezember vor 10 Jahren anrief, war er wegen eines Treppensturzes im Krankenhaus. Er sagte mir, mein Anruf wäre der erste. Genesungswünsche nahm er nicht mehr entgegen. Er habe keine Kraft mehr, gegen die in seinen Augen schlimmen Veränderungen in Deutschland und Europa aufgrund des importierten Islamismus vorzugehen, was er jahrelang ohne Erfolg versucht habe. Giordano, der wegen seiner jüdischen Mutter mit Eltern und Brüdern nur knapp dem Tode in der Nazizeit entkam, die Gelehrtenschule des Johanneums verlassen musste und im Stadthaus gefoltert wurde, empfand die abendländische Kultur dennoch wie einen Schatz, der unbedingt erhalten werden musste. Er befand u.a. die Migrationspolitik aller Bundesregierungen für fehlerhaft. Er starb am 10. Dezember 2014 und erlebte die Einwanderung im Folgejahr nicht mehr.
Wir wurden Freunde als er 2006 anlässlich des Gedenkens an den Holocaust im Michel ein Kapitel aus seiner noch unfertigen Biografie „Erinnerungen eines Davongekommen“ vortrug. Ausgerechnet für mich, der im Stadtteil nach dem Krieg aufgewachsen ist, befasste er sich mit Blankenese. Im Sommer war der Strand das Traumziel der Barmbeker Familie, bis 1936 ein Strandbewohner mit großem Hund an die Familie mit den Worten „ „Wenn Jerusalem nicht in 10 Minuten verschwunden ist, dann passiert etwas“ herantrat und man eilig aus Giordanos „Paradies“ flüchtete. Blankenese blieb zeitlebens in seinem Auge. Er wurde nach dem Krieg dort beruflich aktiv. Wohnte einige Jahre auch an in Nienstedten und sorgte im Rahmen seines Aufdeckens der „zweiten Schuld“ auch dafür, dass Blankeneses gepflegtes Image als unpolitisches idyllisches Dorf beseitigt wurde. Wie auch das seiner Vaterstadt Hamburg in Sachen Widerstand als Arbeiterhochburg. Man hatte sich mit dem Nationalsozialismus arrangiert. Nach dem Krieg gingen er und sein Bruder in das Einwohnerzentralamt, dem Biberhaus am Hauptbahnhof, wollten eine Wohnung in Blankenese und wurden zunächst von den Beamten abgewiesen. Damit wollte sich sein Bruder Robert nicht abfinden und beide stürmten in das obere Stockwerk zum Leiter. Dieser- so beschrieb mir Ralph Giordano- fürchtete sich angesichts des forschen Tons des Bruders und so hielt die Familie eine Einweisung in eine Villa an der Elbchaussee. Die Eigentümer waren für diese Zwangseinweisung froh, zumal sonst die britische Besatzungsarmee dort schon einziehen wollte. Die Aufarbeitung der Nazizeit war – so Giordano- in der britischen Zone aber nur kurz und so wurde die Familie von den Eigentümern unter Druck gesetzt und zum Wohnungswechsel gezwungen.
Als ich ihm von den Schwierigkeiten im Vorfeld der Umbenennung des Blankeneser Bahnhofplatzes in Erik-Blumenfeld-Platz am 9.Mai 2003 berichtete, wo es örtlichen Widerstand gegen meinen Vorschlag gab, passte das in sein Bild von der „zweiten Schuld“.
Peter Schmidt ist seit 2003 Mitglied und Sprecher sowie seit 2013 Mitglied des Vorstandes der Hamburger Autorenvereinigung.
Hier ist die Rede zum 90. Geburtstag von Ralph Giordano zu finden, die Peter Schmidt hielt.
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