Ensemble Resonanz: Berg – Lyrische Suite, Schönberg – Verklärte Nacht
- Geschrieben von Hans-Juergen Fink -
„Dabei unterläuft nun nebst Absichtlich Confusem und Hässlichem manches Ergreifende, Rührende, manches, das den Hörer mit unwiderstehlicher Gewalt bezwingt, sich ihm in Herz und Sinne drängt. Nur eine ernste, tiefe Natur kann solche Töne finden, nur ein ungewöhnliches Talent kann sich auf so dunklem Wege selbst in solcher Weise voranleuchten. Die Aufnahme der Novität war eine geteilte. Viele verhielten sich ruhig, einige zischten, andere applaudierten, im Stehparterre brüllten ein paar junge Leute wie die Löwen.“ So berichtete im März 1902 die Neue Freie Presse in Wien im über die Uraufführung eines Schlüsselwerks der Moderne: Arnold Schönbergs „Verklärte Nacht“.
Das 1917 für Streichorchester uminstrumentierte Sextett (im Original zwei Violinen, zwei Bratschen, zwei Celli) ist gemeinsam mit einem weiteren Meilenstein der Musik, der „Lyrischen Suite“ von Alban Berg, auf der ersten CD zu hören, mit der das Ensemble Resonanz nun Rückschau hält auf die Zeit der dreijährigen Residenz des Franzosen Jean-Guihen Queyras bei den Musikern im Hamburger Schanzenviertel. Möglich gemacht wurde diese Aufnahme übrigens durch den Hamburger Mäzen Ian K. Karan und die Unterstützer der Fundraising Gala der Musikstiftung der Hamburger Sparkasse.
„Verklärte Nacht“ gilt als letzte Komposition Schönbergs in der spätromantischen Tradition, die sich vollständig im tonalen Rahmen bewegt, Bergs „Lyrische Suite“ dokumentiert die Hinwendung des Komponisten zur von Schoenberg entwickelten Zwölftonmusik.
Den wahren Hintergrund dieser verklärten Nacht hat Schoenberg erst in den 50er-Jahren des 20. Jahrhundert selbst notiert: Es ist die Begegnung mit Mathilde von Zemlinsky, der Schwester seines Kompositionslehrers Alexander von Zemlinsky, komponiert während gemeinsamer Ferientage im Herbst 1899. Als programmatische Vorlage diente Schoenberg ein fünfstrophiges Gedicht von Richard Dehmel. Es erzählt vom Spaziergang eines Paars im Mondschein. Die Frau eröffnet ihrem Liebhaber, dass sie ein Kind von einem anderen Mann erwartet. Der Liebhaber verzeiht und will das Kind als sein eigenes akzeptieren.
Die Prinzipien und Leidenschaft und Liebe bringt die Orchesterfassung in einer Tonsprache zum Ausdruck, die sich wie eine kühne Fortentwicklung der Wagnerschen Tristan-und-Isolde-Welt anhört. Kleinteilige Arbeit mit vielen wiederkehrenden Motiven und der Gestus aufkeimender und bald umfassender und erfüllter Leidenschaft – Raum zum Schwelgen für das Ensemble Resonanz, ohne dass je die Transparenz, der Blick ins feine Getriebe der Musik verstellt würde.
Schönberg hat Marianne von Zemlinsky 1901 geheiratet. Alban Berg verarbeitet in seiner „Lyrischen Suite“ ein entschieden unglücklichere Erfahrung. Er war im Mai 1925 in Prag Gast im Haus von Hanna und Herbert Fuchs-Robettin und verliebt sich unsterblich in die 29 Jahre alte Hausherrin, Schwester des Schriftstellers Franz Werfel und Mutter von drei Kindern. Seine Liebe wurde wohl zunächst erwidert, musste aber natürlich geheim gehalten werden.
Sie wäre ein solcher gesellschaftlicher Skandal gewesen, dass am Ende bittere Entsagung stand.
Genau das hat – das kam mehr als 50 Jahre später eher zufällig ans Tageslicht, als ein Forscher bei einer Tochter von Hanna Fuchs-Robettin eine mit Notizen von der Hand Bergs bereicherte Partitur und dahin unentdeckte heimliche Briefe an seine Geliebte gezeigt bekam. Da wurde erstmals sichtbar, was der Komponist in die sechs Sätze der Suite eingearbeitet hat. Berg schrieb: „Diese Komposition hat mir, meine liebe Hanna, auch noch andere Freiheiten gelassen! Zum, Beispiel die, in dieser Musik immer wieder unsere Buchstaben H – F und A – B hineinzugeheimnissen. Jeder Satz, jede Phrase steht in Beziehung zu uns. Ich habe dies und vieles andere Beziehungsvolle für Dich (für die allein ja jede Note des Werks geschrieben ist) in diese Partitur hineingeschrieben. Möge sie so ein kleines Denkmal sein einer großen Liebe.“
Der erste Satz zeichnet laut Berg die „fast belanglose Stimmung“ nach, „die die folgende Tragödie nicht ahnen läßt“; zum zweiten Satz verrät er: „Dir und Deinen Kindern ist dieses Rondo gewidmet“.
Zum dritten, Allegro msterioso, schreibt er: „Er schildert das anfangs Ahnungslose, Geheimnisvolle, das Flüsternde unseres Beisammenseins“, „denn noch war alles Geheimnis – uns selbst Geheimnis.“ Im vierten, „Adagio appassionato“ hat er ein Motiv von Zemlinsky eingearbeitet, aus dessen „Lyrischer Sinfonie“, zu dem dort der Text erklingt: „Du bist mein Eigen, mein Eigen“.
Zum Fünften, „Presto delirando“, hat Berg notiert: „Dieses delirische Presto kann nur verstehen, wer eine Ahnung hat von den Schrecken und Qualen, die nun folgten.“ Der sechste schließlich, „Largo desolato“ bringt den „Höhepunkt der Verzweiflung und Trostlosigkeit“ zum Ausdruck, er zitiert den berühmten Tristan-Akkord und anderes aus Wagners Liebestod-Oper.
Auch die lyrische Suite war zunächst für kleine Besetzung – ein Streichquartett – geschrieben, Berg hat nur die Sätze 2 bis 4 selbst für Streichorchester umgearbeitet, 2006 hat Théo Verbey die übrigen drei für Streichorchester arrangiert – diese Fassung präsentiert das Ensemble Resonanz zum erstenmal auf CD.
Bergs Musik verwendet zwar über weite Strecken Schönbergs Zwölftontechnik, weist aber an vielen Stellen auch schon wieder über sie hinaus, sie öffnet neue Räume für die Musik danach. Solche Wegweisungen arbeitet das Ensemble Resonanz gemeinsam mit Jean-Guihen Queyras großartig heraus, wobei in der expressiven Fülle des Streichorchesters, in der bebenden Intensität seines Klang beide Werke die ihnen zugrunde liegenden bewegenden Geschichten gleichermaßen unter die Haut gehen lassen.
Ensemble Resonanz: Berg – Lyrische Suite, Schönberg – Verklärte Nacht, op.4. harmonia mundi
HMC 902150
Zum Reinhören
Header-Foto: Copyright Tobias Schult
und CD-Cover
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