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Das Trio in Es-Dur für Klavier, Violine und Violoncello Nr. 2, D 929 (op. 100) aus dem Jahr 1827 ist eines der letzten Werke Schuberts und, was alsbald seine Erläuterung erfahren soll, meines Erachtens eine musikalische Danksagung an Schuberts großes Vorbild, also an den verehrten Meister Ludwig van Beethoven, der im selben Jahr verstorben ist.

 

Die relativ lange Dauer (Gesamtspielzeit ca. 45 Minuten) des ersten Allegro-Satzes und des Allegro moderato überschriebenen vierten Satzes, der hochdramatisch, von einer ins Unheimliche umschlagenden Expressivität, dabei aber auch überaus zart und besänftigend ist, ist, unter dem formalen Gesichtspunkt, immerhin auffällig. Dabei handelt es sich bei dem finalen Satz um eine Art zusammenfassenden Nachklang der vorangegangenen drei Sätze.

 

Die jeweiligen Themen sind unschwer wiederzuerkennen, was vor allem für das bekannte, in seinem innersten Kern tottraurige, Andante con moto des zweiten Satzes mit seinem eingängigen, den ganzen Satz letztlich tragenden, bedächtigen, zaghaft schreitenden Rhythmus gilt. Das Scherzando. Allegro moderato des relativ kurzen dritten Satzes (Spielzeit knapp sechs Minuten) weckt Erinnerungen an einen – man denke und ausgerechnet! – barock anmutenden, behänd hüpfenden, übermütigen und verschmitzt lächelnden, tänzelnden Singsang. Mit Verlaub: ein ausgelassener Volksfestschwank und vor allem: ein ausgesprochenes Déjà-vu-Erlebnis. Ich fühle mich zunächst – eine musikalische Reminiszenz – an die F-Dur Aufgeräumtheit des Lustigen Zusammenseins der Landleute im 3. Satz von Beethovens 6. Sinfonie, der Pastorale, erinnert. Oder handelt es sich – die intermittierende Pizzicato-Leichtigkeit und -Beschwingtheit, die freilich, aller schwebenden Unbekümmertheit zum Trotz, doch auch etwas entschieden Zupackendes hat, spricht dafür – um ein selbstredend modifiziertes ‚Wiederklingen‘ des Beethoven‘schen Streichquartetts Nr. 14 cis-Moll op. 131? Genauer um das Presto-Scherzo in E-Dur (!) des fünften Über-Stock-und-Stein-Satzes, das auch unverkennbar den Charakter eines Kinderliedes in seiner lächelnd-leichten, verspielten Unbekümmertheit hat, um freilich ein ums andere Mal und tatsächlich unentwegt diese Sphäre freundlicher Unbekümmertheit gegen ein fast schon beängstigend entschlossenes, sich in wilder Hatz überschlagendes Auftrumpfen einzutauschen.

 

Allerdings soll nicht verschwiegen werden, dass, rein vom zeitlichen Ablauf her, diese musikalische Huldigung, also die Bezugnahme auf das Beethoven‘sche Streichquartett, deswegen unmöglich scheint, weil Schubert das Quartett zur Zeit der Niederschrift seines Trios noch nicht gekannt haben konnte, da es ihm erst fünf Tage vor seinem Tod, am 14. November des Jahres 1828, bei einem Konzert zu Ohren gekommen ist. Oder ist ihm die im Februar desselben Jahres im Schott-Verlag erschienene Partitur eventuell doch kurz nach deren Erscheinen zu Gesicht gekommen? Was in hohem Maße wahrscheinlich ist, da doch überliefert ist, dass Schubert von speziell diesem Streichquartett ‚begeistert‘ gewesen sein soll.

 

Zwar also ist die musikalische Nähe – aller angebrachten Einschränkungen zum Trotz – unbestreitbar zwischen einerseits dem 3. und andererseits dem 5. Satz, da es sich doch um eine bewusst modifizierende ‚Adaption‘ schlechterdings nicht handeln kann. Ein musikalisches Rätsel – oder auch nicht, sollte es mit der im vorigen Absatz geäußerten Mutmaßung seine Richtigkeit haben – das zu abenteuerlichen Mutmaßungen verleiten kann. Von denen aber (und wie auch immer) ich ausdrücklich Abstand nehme. Und allenfalls von einer möglichen Seelen- und Wahlverwandtschaft sprechen möchte, auch wenn vor allem das späte Musikschaffen Beethovens etwas ungeheuer Insistierendes, eine immer wieder auch das Herz zuschnürende und beklemmende Persistenz ohnegleichen hat, die letztlich nicht diejenige Franz Schuberts gewesen ist, der, cum grano salis, im Kompositorischen weitaus moderater war.

 

Der zweite Satz und dessen, wenn man will, dezidierte Simplizität besticht in dieser Einspielung noch extra dadurch, dass die gleichfalls leicht herauszuhörenden Variationen über diesen Rhythmus, dessen zugrundeliegende Zeitakzentuierung mit ihren durchaus widersprüchlichen Aspekten mit einer Leichtigkeit zu Gehör gebracht werden, die deswegen so faszinierend ist, weil es immerhin um einen steten Wechsel und das punktuelle Übergehen von sich eigentlich ausschließenden Gegensätzen – das Sich-Abfinden mit dem Unabwendbaren und das eruptiv ausbrechende Aufbegehren dagegen – ineinander geht.

 

Dieser Rhythmus erinnert in seiner eindringlichen Einfachheit an denjenigen des ersten Satzes von Beethovens 5. Sinfonie, wenngleich er nichts weniger als von schicksalshaft aufbegehrender und/oder spannungsgeladen-beunruhigender Statur ist. Dieser zarte, ängstlich-schüchtern verschwebende und tastende und vor allem vom warmen Ton des Cellos getragene Rhythmus verhilft, wie oben angedeutet wurde, einem an sich haltenden, gebändigten Schmerz, der doch ein ums andere Mal in einen verzweiflungsvoll-aufbegehrenden Protest ausbricht, zu einem aufs Äußerste anrührenden Ausdruck. In summa: das zart-Zerbrechliche macht dem explosiv Auftrumpfenden Platz, das dezent und nuanciert Akzentuierte weicht einer Bestimmtheit, die trotzdem etwas von der Dezentheit ihres unmittelbaren Vorgängers beibehält und in sich aufbewahrt. Um sich gleich anschließend erneut in der Getragenheit und Gefasstheit seines bedächtigen Schreitens zu beruhigen. In der Summe möchte ich von einem Requiem, einer Messe für einen Verstorbenen (!) sprechen.

 

Was diese Darbietung – das Konzert fand am 25.01.2008 im Théâtre de Laval, auf dem Festival La Folle Journée in Nantes statt – so faszinierend macht, ist, dass die Violinistin Sayaka Shoji, die Cellistin Tatjana Vassiljeva und der Pianist Jean-Frédéric Neuburger mit einer spielerischen Leichtigkeit – die das Schwierigste als das Selbstverständliche einer Nähe, die betört, erscheinen lässt – der thematischen Vielfalt dieser ganz unterschiedliche emotionale Dimensionen auslotenden Komposition zu ihrem vermutlich adäquaten Ausdruck verhelfen. Was nicht zuletzt daran liegen mag, dass das wechselseitige Geben und Nehmen von einer auch visuell nachvollziehbaren hingebungsvollen, selbstvergessenen Eindringlichkeit getragen sind.

 

Sayaka Shoji Tatjana Vassiljeva Jean Frédéric Neuburger YT

Sayaka Shoji, Tatjana Vassiljeva, Jean-Frédéric Neuburger (YouTube – skripachka)

 

Man fühlt sich beim Hören an einen Dialog erinnert, der diesen Namen wirklich verdient. Will heißen, die Einheit der Vielheit des thematisch Vielschichtigen wird in dieser Interpretation mit einer ungeheuren sensiblen wechselseitigen Anteilnahme an den jeweiligen Vorgaben der einzelnen Instrumente ins Werk gesetzt. Es ist nicht anders, die drei Solisten sind mit der diffizilen Aufgabe befasst, das jeweils Individuelle in ein sich ganz und gar hingebendes Zusammenklingen zu überführen.

 

So dass jedes in dem Für-sich-selbst-Einstehen dennoch das sich im jeweils anderen Wiederfindende ist. – Mir fällt kein besseres Wort dafür ein als Harmonie, eine Harmonie, die beglückend ist. Auch wenn die Gefahr besteht, dass durch diese Bezeichnung der falsche Eindruck erweckt wird, es könne sich um ein lässliches Miteinander, eine banale Konsonanz plätschernder Oberflächlichkeit handeln. Nichts weniger als das! Sondern die unaufgeregten Harmonien des 2. Satzes der Pastorale mit ihrem traurig-schönen Abschiednehmen durch die den Ruf des Kuckucks nachahmende Querflöte, die Oboe und die Klarinette, wie auch das im Anschluss an den regengepeitschten Gewittersturmaufruhr so ganz anders klingende begütigende Finale mit seinem weh-frohen ‚Leb mir wohl‘ der Hörner mögen als kompositorische Leit- und Vorbilder die Richtung weisen.

 

Das Wiederkennen des für die einzelnen Sätze – womit natürlich vor allem die ersten drei und nicht der Wiedererinnerungs-Finalsatz Nr. 4, bei dem sich das von selbst versteht, gemeint ist – charakteristischen jeweiligen Themas oder Motivs, also sozusagen das musikalische Grundgerüst, das den Variationen Halt gibt, ist in dieser Komposition selbst für den musikalischen Laien unschwer zu leisten. Und dies trifft dann natürlich vor allem auf den 2. Satz aus den bereits oben namhaft gemachten Gründen zu. Was, ins subjektiv-Emotionale übertragen, dazu führt oder führen kann, dass man sich geborgen fühlt in der stets reproduzierbaren Identität des Erklingenden, das, seiner quasi Ostinato-Identität zum Trotz, das Hochdifferenzierte ist, wie es für das kompositorische Schaffen Beethovens charakteristisch ist. Da es sich sonst, überflüssig zu erwähnen, bei diesem Werk um das Repetitive Arrangement eines Gassenhauers handeln würde.

 

Nicht unerwähnt lassen möchte ich, dass es vor allem das im ersten Satz immer wieder zu beobachtende dezent-liebevolle Lächeln Sayaka Shojis ist, das einem Hilfestellung für das Wiedererkennen gibt. Insofern ist der andächtig Lauschende auch visuell nicht allein gelassen, sondern für einen unscheinbaren Moment in diesem anmutigen Lächeln geborgen.


Wahlverwandtschaft – Franz Schuberts Trio in Es-Dur für Klavier, Violine und Violoncello Nr. 2, D 929 (op. 100)

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- Sayaka Shoji, Tatjana Vassiljeva, Jean-Frédéric Neuburger – Schubert: Piano Trio No.2, Op.100, D.929 (46:46 min.)

- Jasper String Quartet: Beethoven String Quartet No. 14 Op. 131 (38:13 Min.)

 

 

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