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„Sieh Lieber, was doch alles schreibens anfang und Ende ist die Reproduktion der Welt um mich, durch die innre Welt die alles packt, verbindet, neuschafft, knetet und in eigner Form, Manier, wieder hinstellt, das bleibt ewig Geheimniss Gott sey Danck, das ich auch nicht offenbaren will den Gaffern u. Schwäzern.“ (Goethe an Jacobi, am 21. August 1774)

 

Auch wenn es zweifelhaft ist, ob dieses Violinkonzert Nr. 7 in D-Dur KV 271a aus dem Jahr 1777 mit seinen Allegro maestoso, Andante und Rondo. Allegro überschriebenen drei Sätzen tatsächlich ein Werk Mozarts ist – die Fachwelt neigt in der Summe zur Skepsis –, schwimme ich trotzdem und eventuell auch nur vielleicht gegen den Strom, wenn ich die Position vertrete, dass dieses Werk für das Komponieren des musikalischen Grenzgängers aus Salzburg charakteristisch ist.

 

Rein von der Faktenlage her ist es immerhin auffällig, dass dieses Violinkonzert lediglich in zwei Abschriften aus dem 19. Jahrhundert vorliegt.

 

Mozart ein Grenzgänger?! Ich präzisiere und behaupte: Mozart wurde in seinem Komponieren zentral von dem musikalischen Einspruch einlegenden Geist des Widerspruchs gegen die sterile Monotonie des Konventionellen angetrieben, dessen Ton gewordener widerständiger Existenz es zu verdanken ist, dass die Rechnung nie so glatt aufgeht, wie nicht Wenige der sich für Mozarts Musik Begeisternden anzunehmen scheinen. Und die das spielerisch-Graziöse, das Unverbindlich-Tändelnde und sich widerstandslos Einschmeichelnde für das überhaupt zentrale an Mozarts Tonsetzertum halten. Mozarts Gesamthabitus ist – übertragen gesprochen – nicht derjenige von Menschen, „die ein Buch schreiben, um ein Buch (voller stereotyper Konventionen, F.-P.H.) zu schreiben, im Gegensatz zu solchen, die schreiben, weil sie etwas zu sagen haben“ (Th. W. Adorno, Kriterien der neuen Musik, aus: Nervenpunkte der neuen Musik, S. 118). Worauf sogleich zurückzukommen sein wird.

 

Dass beispielsweise die zweiten Sätze seiner verbürgten fünf Violinkonzerte – und freilich nicht allein sie – musiksprachlich nichts weiter als ein verzweiflungsvoller, untröstlicher Schmerz und gleichzeitig ein inständiges Flehen um mit-menschlichen Beistand sind, ist so offensichtlich, dass es des Hinweises darauf kaum bedarf. Freilich, und auch das versteht sich von selbst, der die Zunge herausstreckende und eine Nase ziehende Schelm, der musikalisch hektisch anmutendes Fersengeld gibt, weil und insofern er sich nicht auf eine glatt-oberflächliche Weise vereinnahmen lassen will, ist in diesen Dunkelzonen essenzieller Verlassenheit nicht beheimatet. Und erst recht nicht in den scheinhaften Grauzonen lediglich vorgetäuschter, anheimelnd-verlogener Mitmenschlichkeit. Wie auch?

 

In ihrem Kern ist Mozarts Musiksprache frei von Rücksichtnahme auf konventionelle Erwartungshaltungen, denen er sich freilich immer wieder auch – aus ökonomischen Erwägungen heraus – anzubequemen gezwungen war. Umso drastischer gerieten vor diesem Anpassungshintergrund seine ins Zentrum der jeweiligen Komposition vorstoßenden Grenzverletzungen, die, im Bereich der Verspieltheit, sich in der Nachbarschaft wildlaufender, dissonierender, verstörender und lediglich schein-fideler Narretei aufhielten. Weil der Narr der Mediokrität der adaptierten Schulweisheit, also dem selbstzufriedenen Philistertum, dessen in die Augen springende Narrheit unter dem Schutz der Narrenkappe, die in Wahrheit die der sich als Groteske verkleidenden Vernunft ist, vorhält.

 

In diesem speziellen Fall jedoch handelt es sich nicht um die hohe Kunst entlarvender Verstellung, sondern nun doch um ein kreuzfideles Spiel der Leichtigkeit, um einen in der Summe frohgemuten, sich an sich selbst erfreuenden Scherz von berauschender Beschwingtheit. Das oder der dennoch das in seiner unbeschwerten, munteren und immer wieder auch auftrumpfenden Ausgelassenheit wohl fundierte und in sich stimmige Seriöse, ein sozusagen ernster Scherz, sein kann und ist. Mit dem das in sich Gebrochene eines denn doch in ein ziehendes Flehen eingebetteten, behänd hüpfenden Kicherns – oder verhält es sich eher andersherum? – der Kadenz des ersten Satzes konveniert. Von der Pizzicato-Anmut des sich aber doch in großer Geste und subkutaner Schwermut – die kurze Kadenz legt final noch einmal den Finger in die Wunde – ausbreitenden zweiten Satzes zu schweigen. Vielleicht ist es nicht allzu verwegen, Mozarts Musikschaffen unter die freilich überspitzt verallgemeinernde Überschrift des Aber doch, des Trotzdem und Jetzt erst recht zu stellen. – Der finale Satz freilich verströmt sich in fast schon beethovenscher Feierlichkeit und festlicher Gehobenheit, die, vor diesem Hintergrund allerdings – sofern es damit seine Richtigkeit hat – ein ums andere Mal etwas zu beschwingt und tänzelnd-munter geraten ist in ihrem hymnischen Sich-aufschwingen in die Sphären der Selbstvergessenheit kindlich-unverstellten Glücks. Wogegen aber selbstredend (und wie auch?!) nun wirklich nichts einzuwenden ist.

 

Vor allem aber: Ob es sich nun bei dieser Komposition um einen Original-Mozart oder auch nicht handelt – eine Charakterisierung, die in ihrer zeitgeistgemäß unreflektierten Art bereits wieder den Spott ihrer selbst hinsichtlich für sakrosankt gehaltener Qualitätsstandards bedeutet –, die Musiksprache dieser bündig durchdifferenzierten Komposition ist in toto diejenige Mozarts, so dass die Herkunftsfrage oder die nach der Echtheit – eine der Kunst wesensfremde Frage nach einer von außen herangetragenen Pseudo-Authentizität, das Insistieren auf und Ausschauhalten nach einem äußerlichen, oberflächlichen und damit fadenscheinigen Gütesigel – dieses Falls und überhaupt nicht zu stellen ist. Authentische Kunst expliziert sich in ihrer immanenten Stimmigkeit aus sich selbst und sperrt sich – umgekehrt – gegen ein Beurteilen, das sich innerhalb der Komfortzone des gängigerweise zu Erwartenden aufhält, dem definitiv nicht entsprechen zu wollen eines ihrer Grundcharakteristika ist. Diese aufbegehrende, auf Distanz bedachte Sprödigkeit ist gleichwohl und selbstredend kein dann wieder ins Pseudo-Widerständige umschlagender Selbstzweck; sie ist vielmehr das genaue Gegenteil von der stilisiert-erhabenen Eitelkeit eines gekünstelten Außenseitertums, das sich selbst als das vermeintlich ganz andere inszeniert, und ein stiller Protest gegen die aufgesetzte Pose des Nur ich allein.

 

Auf die Werkidee der Kunst übertragen: „Können ist nicht länger mehr das, wofür es einmal galt und was es in Wahrheit nie war, ein Schatz angeeigneter Verfahrungsweisen, der vom Talent ausgemünzt wird, sondern besteht darin, daß jeder Zug des Gebildes, vom Kleinsten bis zur Totale, ohne Rücksicht auf überkommene Fertigkeit, aus der tragenden Anschauung der spezifischen musikalischen Sache herausspringt; und umgekehrt, daß jegliche musikalische Anschauung, alles subjektiv Unwillkürliche sich umsetzt in die Gesetzmäßigkeit des Verfahrens, das rückläufig das selbst ergreift, was genetisch als irrationaler Ursprung sich darstellt.“ (A.a.O., S. 91)

 

Pogostkina Alina F Nikolaj Lund

Violinistin Alina Pogostkina. Foto: Nikolaj Lund

 

Die Violinistin Alina Pogostkina hat es zusammen mit dem WDR Sinfonieorchester Köln unter der musikalischen Leitung von Reinhard Goebel verstanden, dieses verspielte, muntere und gleichzeitig kraftvolle musikalische Draufgängertum der Komposition mit all ihren abschattenden Zwischentönen aus ihrem, wenn man so will, virtuellen Bereich in den des realen zu überführen. Auch wenn das an Glenn Gould gemahnende unentwegte sanfte Summen und Brummen (des Dirigenten?) im Hintergrund durchaus als störend empfunden werden mag. Oder als Ausdruck emotionaler Anteilnahme, die sich in das rezeptiv-produktive Hören selbstvergessen verloren hat.

 

Im Sinne einer zugegeben von größter Begeisterung getragenen Zugabe möchte ich auf die Einspielung des Violinkonzerts Nr. 1 D-Dur op. 19 von Sergei Prokofjew mit derselben Geigerin und dem Deutschen Symphonie-Orchester Berlin unter der musikalischen Leitung von Stéphane Denève hinweisen. Ohne viele Worte zu machen und genau genommen im Zustand fassungsloser Sprachlosigkeit, die sich aus dieser Komposition im Allgemeinen und aus dieser Interpretation im Besonderen herleitet, nur dieses: Das hauchzarte, spinnwebfeine Flageolett am Ende des ersten Satzes, wie auch zum Finale des dritten Satzes ist von einer das Herz zerreißenden, verzaubernden Innigkeit, die sich von ganz weit her vernehmen lässt.


Wolfgang Amadeus Mozart: Violinkonzert Nr. 7 in D-Dur KV 271a

 

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- Alina Pogostkina – Mozart: Violin Concerto No. 7 in D major (Live, 27:53 Min.)

- Alina Pogostkina – Prokofiev: Violin Concerto No. 1 (Live, 21:48 Min.)

 

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