Ensemble Oni Wytars: cantar d’amore
- Geschrieben von Hans-Juergen Fink -
Musik aus einer aufregenden Zeit: Die Druckkunst hilft Anfang des 16. Jahrhunderts nicht nur der Literatur und Wissenschaft, sondern auch der Musik zu einem gewaltigen Aufschwung in der Verbreitung. Außerdem nähern Kunst- und Volksmusik nähern sich einander an. Musik aus dieser Zeit hat das Schweizer Alte-Musik-Ensemble Oni Wytars nach dem Album „La follia“ auf seiner großartigen CD „cantar d’amore“ versammelt: Lieder und Tänze aus Italien, von Venedig bis Neapel und noch tiefer in den Süden.
Alle drehen sich – wie’s der Titel verspricht – um die eine, ewig aktuelle Frage: „Comma se’a fari pi ama’ ’sta Donni? (Was muss ich tun, damit diese Frau mich liebt?) – und die direkt anschließende: „Und warum nicht?“ Die Stücke auf der CD – instrumental, vokal mit Begleitung und zwei Solo-Songs – stammen aus Lieder-Sammlungen der Zeit von 1508 bis 1680 und von „fogli volanti“, von Flugblättern, auf denen populäre Songs damals zu Hits gemacht wurden. In Neapel gab es geradezu ein Bewegung musikalischer Zirkel, in denen Musik gemacht wurde.
Bekannte Straßenmusiker wurden zu den Höfen des Adels eingeladen, professionelle Komponisten ließen sich von den umherziehenden Spielleuten inspirieren und veredeln deren Melodien mit ihren elaborierten Kompositionstechniken – Copyright wurde damals noch nicht wirklich groß geschrieben.
Man spürt auch auf dieser CD des 1983 gegründeten Ensemble Oni Wytars die große Erfahrung, die seine Musiker darin haben, verborgene oder vergessene Verbindungslinien der Musikentwicklung vorsichtig herauszupräparieren und zu neuem Leben zu erwecken, indem man auf die innere Kraft dieser Musik vertraut und Crossover-Versuchungen, die anderswo hohe Verkaufszahlen garantieren, aus dem Weg geht.
Maurische Anklänge und der Rhythmus der Tarantella
Statt dessen verwenden sie alte, zum Teil rekonstruierte Instrumente: Marco Ambrosini ist etwa – neben der Maultrommel und Mandoline – Experte für die Nyckelharpa, ein Streichinstrument, bei dem die Tonhöhen statt mit den Fingern gegriffen mit Tasten erzeugt werden, die den schwingenden Teil der Saiten verkürzen. Peter Rabanser kümmert sich um Barockgitarre, Chalumeau (ein früher Vorläufer der Klarinette) und Dudelsack, er singt auch, so wie der Harfenist Riccardo Delfino. Michael Posch spielt die Blockflöten, für Percussion ist Katharina Dunstmann zuständig. Und dann ist da noch die wunderbare römische Sängerin Gabriella Aiello, deren fein angeraute Stimme ganz großartig die verschiedenen Spielarten des Volkstons vom sanften Locken bis hin zur großen Leidenschaft beherrscht.
Oni Wytars (der Name ist nach Auskunft des Mitgründers Peter Rabanser die lautmalerische Übersetzung der einzigen beiden Worte, die ein italienischer Freund der Musiker kannte, er bedeutet: „Ohne weiteres“) sucht die Verbindungen zwischen den Kulturen, und findet natürlich in Neapel und Süditalien Harmonien und Rhythmen, die noch als mehr oder weniger dezente Anklänge die Erinnerung an längst vergangene maurische Zeiten wach halten – so wie in „Che si puo fare“. Oder die rasende Tarantella im 3- oder 6-Achtel-Takt, die hier mal sehr melancholisch daherkommt wie eine Erinnerung an ferne, wildere Zeiten (in „Antidotum Tarantulae“), aber auch auch tatsächlich zur Ekstase gerät wie in „Pizzica di San Vito“ oder „La Rondinella“.
Und ein Lied wie „Maronna nun è cchiù“ entpuppt sich mit seiner innigen Melodie im vielstimmigen Satz als wirklicher Ohrwurm. Jahrhunderte alte Musik, die heute noch unter die Haut geht.
Ensemble Oni Wytars: cantar d’amore
CD
deutsche harmonia mundi/Sony Classical
88875081102
Hörbeispiele
Video, Mit Aufnahmen aus älteren CDs und Programmen ist Oni Wytars zu erleben in ihrem Webauftritt
Abbildungsnachweis:
Mittelalterlicher kolorierter Holzschnitt von Tänzern und Musikern
CD-Cover
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