Emma Kirkby – ein klingendes Portrait in fünf Alben
- Geschrieben von Claus Friede -
Die englische Sopranistin Emma Kirkby ist seit zwanzig Jahren eine der überragenden Interpretinnen nordeuropäischer Renaissance- und Barockmusik.
Dabei fing sie zunächst gar nicht mit dem Wunsch an, eine der bekanntesten Sängerinnen in historischer Aufführungspraxis zu werden. Sie studierte Klassik an der Universität von Oxford, arbeitete anschließend als Schullehrerin und sang zum Vergnügen in verschiedenen Chören. Anfang der 1970er-Jahre als sie im Taverner Choir sang und ein paar Jahre später durch die Kollaboration mit dem Consort of Musicke fing sie intensiv an für ihre Stimme jene Klangfarbe zu suchen, die zu historischen Instrumenten der Renaissance und des Barocks passt. Mit Hilfe ihrer Gesangslehrerin, der Koloratursopranistin Jessica Cash, formte die 2007 geadelte Dame Emma Kirkby ihre Stimme an der Guildhall-School of Music in London.
Die Stimme der Renaissance und des Barocks
Die Qualität ihrer Stimme liegt in der Natürlichkeit des Ausdrucks, im sparsamen Vibrato und in der Fähigkeit sehr sensibel mit der Modellierung von Worten und Sätzen umzugehen. In nahezu genialer Weise passt dies zu den historischen Instrumenten, zum Resonanzraum eines Klosters und besonders zur Periode des Spätbarocks, in der regionale Einflüsse die italienische und französische Dominanz durchbrachen. Stimme, Instrumente, Ort und Stil finden sich in einer Sammelbox mit fünf Alben und Aufnahmen aus vergangenen Jahrzehnten wieder: Interpretationen von Giaches de Wert, Georg Friedrich Händel, Carl Friedrich Abel, John Dowland, Robert Jones und William Boyce.
Gesungen von Dame Emma Kirkby und aufgenommen zwischen 1985 und 1989, verpackt in Einzelhüllen, die die Farbigkeit, die Druckqualität und den Charme der späten 1970er-Jahre versprühen. Das Ganze Können der Sopranistin kompakt versammelt und zu einem unglaublichen Niedrigpreis angeboten. Das Reihenkonzept, das wie eine Retrospektive daherkommt, präsentiert fünf singuläre Aufnahmen als klingendes Porträt: Im Falle von Emma Kirkby sind das vor allem eben große Momente der englischen Barockmusik. Warner Classics legt bereits seit einiger Zeit Serien beliebter Künstler wieder auf und huldigt sie so, aber auch das Publikum und die Komponisten.
Und bei so geringem Kaufpreis war dann leider kein Platz für ein Booklet – ich zumindest vermisse das schwermütig, denn es gibt jeweils so viel zu erzählen zur Sängerin, zur Auswahl ihrer Stücke, zu den Aufnahmeorten und zu den Interpreten.
Die Wiederentdeckung Giaches de Wert
Verlieren kann man sich in CD 3 mit Werken des eher unbekannten Belgiers Giaches de Wert (1535-1596), es sind die ältesten Kompositionen in der Sammelbox und sind begnadet gut! Kirkbys Erfahrung mit Chormusik im Zusammensang mit den Kollegen und Zusammenspiel mit dem Consort of Musicke gibt „Il settimo libro de madrigali“, dem siebten Madrigalbuch aus der Zeit des Komponisten in Venedig aus dem Jahr 1581 eine unglaublich Schönheit, Kraft und Leidenschaft. Obwohl ursprünglich für fünf Stimmen geschrieben (Sopran, Alt, Countertenor, Tenor und Bass) sind die bis zu acht Stimmen (dazu kommen bis zu zwei weitere Sopranistinnen: Evelyn Tubb und Suzie LeBlanc und ein Tenor). Eine wahre Bereicherung, denn sie legen den klanglichen Schwerpunkt auf die Frauenstimmen. Neben Emma Kirkby singen Mary Nichols (Alt), Michael Chance (Countertenor), Andrew King und Rufus Müller (Tenor) und Alan Ewing (Bass). Der Raum des ehemaligen Zisterzienserklosters Forde Abbey, einem Kloster in Dorset, gibt den hörbaren geistigen und großen Klang. Giaches de Wert selbst wird auch wiederentdeckt, er, der als Chorknabe ausgebildet wurde und seinen Feinschliff von Cyprian de Rore am Hofe in Ferrara erhielt hat mit seinen Chorwerken großes geschaffen.
Die Kontrastierung ist Teil des Konzepts
Geradezu legendär ist Emma Kirkbys Album mit den Deutschen Arien des Wahlengländers Georg Friedrich Händel (1685-1759). Silbern-klar die Stimme, jedes Wort verständlich und mit der Hingabe an die Zeit erlebt. Ebenfalls berühmte Kirkby-Aufnahmen: die beiden Alben mit melancholischen Songs der Renaissance-Komponisten John Dowland (1563-1626) und Robert Jones (um 1597-1615), zusammen mit dem Lautenisten Anthony Rooley. Auf A Vauxhall Gardens Entertainment bringen Emma Kirkby und das Ensemble London Baroque ein buntes historisches Programm aus Kantaten, Arien, Konzerten und Sonaten auf die Hörbühne, wie es im 18. Jahrhundert in dem berühmten englischen Vergnügungspark tatsächlich erklungen sein könnte. Das mag wie eine Ablenkung gewesen sein nach dem elisabethanischen Zeitalter in der Regentschaft King George II und seinen Konflikten, innerfamiliären Streitereien und Auseinandersetzungen und Kriegen auf dem Kontinent.
Heute erleben wir die Popularität des empfindsamen und des galanten Stils neu – auch durch diese Sammlung.
Emma Kirkby – 5 Classic Albums
Emma Kirkby (Sopran) mit Anthony Rooley (Laute, Orpharion) Evelyn Tubb (Sopran) London Baroque, u.a.
CD, Erato, Warner Classics
ISBN-13: 825646112265
Konzertermine in Deutschland:
Emma Kirkby - The English Muse
Mi. 19.08.15, 20:00 Uhr
Mainz; Seminarkirche mit Jakob Lindberg, Laute
anl. des Mainzer Musiksommers
Sa. 19.09.15, 17:00 Uhr
Burgpreppach; mit London Baroque
Musik in Fränkischen Schlössern
Abbildungsnachweis:
Header: Emma Kirkby. PR/Rayfield Allies
CD-Box-Cover
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