Kultur, Geschichte & Management
Hamburg will Musical-Hauptstadt Europas werden

Heinestadt Hamburg, klingt doch prima. Oder Brahmsstadt Hamburg, auch nicht schlecht.

Doch die Hanseaten setzen lieber auf die „Musicalstadt Hamburg“, denn die Shows von Disney und Co. bringen das große Geld in die Stadt: Mehr als zwei Millionen Touristen kommen derzeit pro Jahr, um den „König der Löwen“, „Tarzan“ oder „Rocky“ zu sehen. Nun sind zwei weitere Spielstätten im Bau und die Tourismusexperten sehen Hamburg schon als Musical-Hauptstadt Europas.

Halb Industriebau, halb Raumschiff: Der Neubau der Stage Entertainment, unmittelbar neben das „König der Löwen-Zelt“ im Hamburger Hafen platziert, ist schon gut ein Jahr vor der Eröffnung ein echter Eyecatcher. Eine kompakte Architektur mit gerundeter Glasfassade, mehr breit als hoch, über und über mit silbergrauen „Schuppen“ bedeckt. Die 10.000 Edelstahlschindeln reflektieren das Licht quer über die Elbe, bis zu den gegenüberliegenden St. Pauli Landungsbrücken, wo die Touristen schon neugierig die Hälse recken. Hochtief, das Bauunternehmen, das in den vergangenen Jahren durch die Elbphilharmonie immer wieder in den Negativschlagzeilen war, scheint mit dem 65 Millionen teuren Projekt offenbar keine Probleme zu haben. Der Rohbau steht, der Zeitplan ebenfalls, im kommenden Herbst soll das Haus, das über 4.300 Quadratmeter Grundfläche und 1850 Sitzplätze verfügt, eröffnet werden. Der Name des neuen Theaters steht noch nicht fest, ebenso wenig die Auftakt-Produktion. Klar ist jedoch, dass es eine Deutschlandpremiere wird, wenn nicht sogar eine Uraufführung.

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Bis dahin bleibt ja auch noch einiges zu tun. Das gesamte „Innenleben“ wird erst in den kommenden Monaten eingebaut - von der Balustrade über die Treppengeländer bis zur hochmodernen Technik, die alle Anforderungen eines Musicaltheaters des 21. Jahrhunderts erfüllen soll. Außerdem ist noch ein zweiter Barkassen-Anleger vorgesehen, sowie ein mit Skulpturen bestückter „Musicalboulevard“, der das alte und das neue Theater miteinander verbinden wird.

Warum die Stage Entertainment den neuen Standort direkt neben ihrem Theaterzelt wählte, wo der „König der Löwen“ seit 12 Jahren mit riesigem Erfolg läuft, erschließt sich spätestens im Rangfoyer, das man über eine elegant geschwungene Freitreppe erreicht: Durch riesige Glasfenster präsentiert sich die Hansestadt hier oben von ihrer schönsten Seite. Bei gutem Wetter ist der Blick über Elbe und Schiffe auf die Skyline mit Highlights wie den Tanzenden Türmen und der Elbphilharmonie kaum zu toppen.

Das zweite Großprojekt, diesmal mit 35 Millionen Euro veranschlagt, startet nun im September wenige Kilometer elbaufwärts, mitten im Industriegebiet von Hammerbrook. Maik Klokow, ehemals Chef der Stage-Entertainment Deutschland und nun mit seinem Unternehmen Mehr! Entertainment dessen schärfster Konkurrent, will in einem Teil der denkmalgeschützten Großmarkthallen von 1958 ein Multifunktionstheater errichten. Konkret bedeutet das: 6.500 Quadratmeter werden aus dem 40.0000 Quadratmeter großem Gelände ausgegliedert und in eine Spielstätte mit rund 2.000 Plätzen verwandelt. Der Großteil des Geländes bleibt in den Händen der Händler, doch dass sich Gemüsebauern und Musicalgäste in die Quere kommen, ist bei den unterschiedlichen Öffnungszeiten eher unwahrscheinlich.

Geplant sind eine variable, bis zu 1.440 Quadratmeter große Bühne, sowie ein großzügiges Foyer, das „die Deckenstruktur und die räumliche Höhe der Großmarkthalle von 20 Metern eindrucksvoll in Szene setzt“ (Maik Klokow). Die Mehr! Entertainment, die 2012 die Lizenz für „Shrek“ erwarb, will das Theater möglichst flexibel einsetzen. Musical stehen im Fokus, doch auch Konzerte oder TV-Shows sollen hier stattfinden. Bislang war das Gebiet südlich der Deichtorhallen ein „No-Go-Areal“, doch das wird sich in Zukunft vermutlich ändern: In unmittelbarer Nähe wird sich in ein paar Jahren die HafenCity Ost erstrecken, spätestens dann ist mit einem Aufschwung des Viertels zu rechnen. Die imposante Großmarkthallen-Architektur mit ihrem geschwungenen Wellendach lässt sich heute schon als Touristen-Attraktion vermarkten.

Mit den beiden neuen Theatern findet eine Entwicklung ihren vorläufigen Höhepunkt, deren Erfolgsgeschichte 1986 mit Andrew Lloyd Webbers „Cats“ am Operettenhaus begann (6,2 Millionen Zuschauer bis 2001), mit dem „Phantom der Oper“ in der Neuen Flora (1990-2001, 11 Mio.) ihre Fortsetzung fand und mit dem „König der Löwen“ im Stage Theater im Hafen (seit 2001, bislang 8 Mio. Zuschauer) noch lange nicht endet. Diese drei waren die erfolgreichsten Hamburger Musicals, zu denen auch „Mamma Mia!“ (2,5 Mio.), „Tanz der Vampire“ (1,5 Mio.), „Dirty Dancing“ (1,5 Mio.), „Ich war noch niemals in New York“ (1,5 Mio.) und „Sister Act“ (0,5 Mio.) zählen. Nicht zu vergessen „Die heiße Ecke“, Dauerbrenner im Schmidts Tivoli, die es bislang auf beachtliche 1,1 Millionen Zuschauer gebracht hat.

Stück für Stück mauserte sich die Hansestadt zur Musical-Metropole Deutschlands und ließ die Konkurrenz-Städte Bochum, Essen und Stuttgart weit hinter sich. Heute, man mag es kaum glauben, steht Hamburg bereits auf Platz 3 in der Musical-Weltrangliste – gleich nach New York und London. Doch Sascha Albertsen, Sprecher der Hamburg Tourismus GmbH, hat schon Platz 2 fest im Blick: „Wir sind London auf der Spur“, versichert Albertsen. „Wir haben es geschafft, „Rocky“ an den Broadway zu bringen, eine deutsche Produktion nach Amerika, damit haben wir eine neue Dimension erobert.“

Sorge, dass der Trend mal kippt und die Besucher-Nachfrage ausbleibt – schließlich gilt es künftig in fünf Häusern Abend für Abend mehr als 9.000 Plätze zu füllen – hat Albertsen nicht. Die Auslastungen seien hervorragend, Hamburg gehöre zu den zehn beliebtesten Städten weltweit: „Es gibt keine andere Metropole in Europa, die so dynamisch wächst“, sagt er mit ungebremsten Optimismus. „Die Musicals sind dabei ein ganz positiver Faktor.“

Die Zahlen geben dem Tourismus-Experten Recht: 2012 verbuchte die Hotelbranche 10,6 Millionen Übernachtungen, davon 700.000, die ausschließlich auf das Konto von Musical-Touristen gingen. Um die steigende Nachfrage zu befriedigen, wurden im vergangenen Jahr bereits 5.000 zusätzliche Betten geschaffen, bis Ende 2015 sollen nun 18 (!) neue Hotels mit 6.500 Betten dazukommen.

Kritikern, die der Tourismus GmbH vorwerfen, die Stadt völlig einseitig zu bewerben, Theater und bildende Kunst zu vernachlässigen, hält Albertsen entgegen, dass die Musicals zum Wachstum anderer Kultursegmente beitrügen: „Viele Touristen buchen Kombi-Pakete, abends ins Musical, am nächsten Tag noch eine Ausstellung“.

Hamburgs Erfolgsrezept sei das breite Spektrum an Angeboten, die „wunderbare Verbindung von Kulturgenres und maritimer Identität“, so Albertsen. Das garantiere „eine außerordentlich hohe Aufenthaltsqualität.“ Nicht ohne Grund sei die Stage Entertainment mit ihrem neuen Theater wieder auf die südliche Elbseite gegangen: „Die kleine Hafenrundfahrt macht den Musicalabend zu einem besonderen Erlebnis“.
Der Marketing-Mann ist fest davon überzeugt, dass in naher Zukunft noch mehr Musical-Bühnen in der Stadt entstehen: „Es werden bereits weitere Theateroptionen geprüft. Wenn die beiden Neuen laufen, wird weiter gebaut. Da ist noch jede Menge Musik drin“.


Fotonachweis: Alle Fotos Isabelle Hofmann
Header: Neubau des Musicaltheaters der Stage Entertainment
Galerie:
01. Blick auf die Hamburger Skyline aus dem Neubau
02. Rohbau innen
03. Hamburgs Großmarkthallen. Hier soll eine Multifunktionshalle der Stage Entertainment entstehen.

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