Kultur, Geschichte & Management
Excursiones art balear – Ateliertouren auf Mallorca

Es riecht nach Ölfarbe. Ganz leicht, kaum wahrnehmbar. Ein Geruch, der gleich signalisiert, dass dieses Loft am Fuße des Castillo de Bellver ein besonderer Ort ist.
Wir sind zu Gast bei Cris Pink, eine der renommiertesten Malerinnen Mallorcas. Wir, das sind eine kleine Gruppe von Kunstsinnigen um den Diplom-Designer und Architekten Klaus Dorn. Der Hamburger, der seinen Lebensmittelpunkt mittlerweile ganz auf die Insel verlegt hat, öffnet auf Mallorca Türen, die normalerweise verschlossen bleiben: Seine individuell zusammengestellte Kunst-Exkursion „art balear“ ermöglicht es Interessierten, hinter die Kulissen der Kunstwelt zu schauen und Künstler am Entstehungsort des schöpferischen Prozesses kennenzulernen – in ihrem Atelier.

El Terreno, der pittoreske Stadtteil im Westen Palma de Mallorcas, zeugt mit seinen prachtvollen Villen im Kolonialstil noch heute von der ursprünglichen Bestimmung als Urlaubsort der mallorquinischen Oberschicht. Nur ein paar Stufen unterhalb der imposanten runden Festung, die sich hoch über die Stadt erhebt, liegt die Calle José Villalonga, eine langgestreckte, schmale Straße, in der man wohl kaum erwarten würde, eine der interessantesten Künstlerinnen Mallorcas anzutreffen. Doch gerade deshalb ist Cris Pink vor gut zehn Jahren hergezogen. Sie liebt den nostalgischen Charme, vor allem die Ruhe in diesem Viertel. Hier kann sie ungestört arbeiten, sich vor großen Ausstellungen regelrecht „einigeln“, wie sie sagt, um sich völlig auf ihr Schaffen zu konzentrieren.

Beim Betreten der ebenerdigen Atelierwohnung, die sich in einen Arbeits- und einen Wohnbereich unterteilt, fallen als erstes die vielen Leinwände ins Auge: Dicht an dicht gestapelte, meterhohe Formate, die geradewegs in den Raum hineinzuwachsen scheinen. Für die Besucher, die mit der sympathischen Künstlerin sofort ins Gespräch kommen, werden sie nach und nach hervorgezogen und auf der Staffelei ins rechte Licht gesetzt. Die jüngsten Arbeiten wirken wie Pastelle und sind aus gebrochenen Weiß-Tönen aufgebaut: Grau-weiß, blau-weiß, vor allem aber grün-weiß in allen erdenklichen Nuancen. Die Werke der vergangenen Jahre bestechen hingegen durch eine unerhört intensive, leuchtende Farbgebung: Blaugrün, gelb-violett, auch leuchtendes Rot. Cris Pink liebt die großen Leinwände, auf denen sie impulsiv die ersten Farbspuren setzt, um „das entstandene Chaos dann nach und nach zu ordnen“, wie sie und lachend auseinandersetzt. Ihre Handschrift ist dem abstrakten Expressionismus verwandt, ähnlich vital und gestisch, gleichzeitig aber auch von einer großen Poesie und Zartheit.

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Früher, erzählt die gebürtige Koblenzerin, habe sie oft in Schichten gearbeitet, gegenstandslos, auf die reine Farbe konzentriert. Damals hätte man sie eindeutig der Farbfeldmalerei zuordnen können. Heute, nachdem die Linie wieder verstärkt in den Fokus gerückt ist, lässt sie sich in keine Schublade stecken. Die Motive sind wieder gegenständlicher geworden, ohne weiteres lassen sich Landschaften erkennen, Naturstücke aus Wellen, Wogen oder Waldsilhouetten am fernen Horizont, die ebenso poetisch wie meditativ wirken. „Immer, immer, immer male ich Wasser“, sagt Cris Pink lächelnd. Warum, das weiß sie selbst nicht so genau. Natürlich kennt sie die Freud’sche Interpretation, der Wasser als Symbol von Empfängnis und Geborgenheit gedeutet hat. In jedem Fall, stimmt sie zu, haben sich die Natureindrücke, die sie ursprünglich einmal auf Reisen im Aquarell festgehalten hat, mittlerweile verselbständigt. Heute sind es Seelenlandschaften, die aus ihr herauswachsen und den Betrachter regelrecht hinabzuziehen vermögen, in die Tiefe des Unbewussten.

Cris Pink stammt aus Deutschland, studierte Modedesign in Hamburg und danach freie Kunst in Mainz. Nach ihrem Studium ging sie nach Spanien, erst nach Barcelona, dann nach Mallorca – der Liebe wegen. In den vergangenen Jahren hat sie in Italien noch eine Ausbildung als Kunsttherapeutin absolviert. Die Wirtschaftskrise in Spanien habe den Bereich Kunst und Kultur besonders hart getroffen, erzählt die zierliche Künstlerin. Staatliche Subventionen werden gestrichen, Ausstellungen abgesagt. Ohne Vielseitigkeit könne derzeit kaum noch ein Künstler auf der Insel überleben.

Auf dem Weg zum nächsten Künstler erzählt uns artbalear-Gründer Dorn, wie er darauf kam, auf Mallorca kleine exklusive Kunsttouren anzubieten und sie individuell nach den Wünschen seiner Gäste zusammenzustellen. Der Hamburger Produktdesigner, der u.a. das „Weiße Haus“ von Thomas Wegner einrichtete, kennt die Insel seit mehr als 20 Jahren. Mittlerweile haben er und seine Frau ihren Lebensmittelpunkt ganz nach Mallorca verlegt und sich in Fornalutx, einem denkmalgeschützten Dorf nordöstlich von Sóller, im Gebirgszug der Serra de Tramuntana, ein altes Haus ausgebaut. Klar, dass er in den Jahren auch die Kunstszene der Insel bestens kennengelernt hat.

Die Idee ein Künstlernetzwerk zu gründen, entstand dann vor gut drei Jahren, nach einer Vernissage. Wieder einmal war die Galerie zum Bersten voll und der Künstler mittenmang. Als ein Besucher ihm eine Frage zu einem Bild stellte und die Antwort bekam: „Ja, schau doch hin“, da war Klaus Dorn klar, dass hier ein Erklärungsbedarf bestand. Im Trubel einer Ausstellungseröffnung ist es kaum möglich, mit dem Künstler mehr als ein paar oberflächliche Worte zu wechseln. „Der Künstler steht in so einer Situation unter Starkstrom, dem kann man gar kein Vorwurf machen“, sagt Dorn. Bei der Arbeit im eigenen Atelier sieht die Sache schon ganz anders aus. „Die Künstler haben mich mit offenen Armen empfangen. Ich komme ja auch mit potentiellen Kunden, aber natürlich besteht kein Kaufzwang“. Dorn möchte vielmehr, dass sich seine Gäste in aller Ruhe auf die Arbeit eines Künstlers konzentrieren können. „Die Schnellauswahl, die in den Galerien oder Museen passiert, fällt weg. Im Atelier wird man eines Menschen gewahr, dessen Artikulation sein Kunstwerk ist“. Das Feedback seiner Kunden sei durchweg positiv: „Ich höre immer wieder: ,Jetzt verstehe ich, warum der Künstler das macht was er macht“, so Dorn. „Es erschließt sich einfach sehr viel“.

Mittlerweile hat Klaus Dorn ein Netzwerk von rund 30 Künstlern aufgebaut: Maler, Bildhauer, Fotografen, Multimedia-Künstler, darunter auch so bekannte Namen wie Francesca Martí, deren Fotografien schon auf der Art Cologne zu sehen waren, Bildhauer Ferran Aguilo oder Maria, eine Keramikerin, deren minimalistische Plastiken im MOMA in New York zu sehen sind. Klar, dass man in die Ateliers, die zum Teil winzig klein sind, nicht mit ganzen Busladungen einfallen kann. Drei, vier Personen sind optimal, sagt Dorn, wenn es mehr werden, leidet schon wieder das konzentrierte Gespräch. Selbstverständlich steht er aber auch für einen einzigen Interessenten zur Verfügung. Bei einer Person kostet der Kunsttrip 300 Euro pro Tag, bei zwei Personen 500, bei vier Personen 700 Euro.

Je nach Absprache trifft man sich vormittags morgens in Jaimes Bar auf der Plaza in Fornalutx oder dort, wo sich die Gäste jeweils aufhalten. Klaus Dorn holt seine Kunden gern im Hotel ab, auch für das leibliche Wohl ist auf einer art-balear-Tour immer gesorgt. Beim gemeinsamen Essen typisch mallorquinischer Kost lassen sich die Erlebnisse wunderbar vertiefen und verarbeiten.

Mit Toni de Cuber hätten wir liebend gern zusammengegessen. Er gilt als hervorragender Gastgeber. Mit seinem braungebrannten, kantigen Gesicht würde der multimedial arbeitende Künstler ohne weiteres als mallorquinischer Bauer durchgehen. Ist er ja auch in gewisser Weise. Toni lebt mit seiner Familie oberhalb von Sóller, macht nebenbei Wein und züchtet „die glücklichsten Esel der Welt“, wie der Spiegel einst schrieb. In jungen Jahren ging er über Istanbul, Teheran und Kabul nach Indien und kam zwei Jahre später als Experte für orientalische Knüpf- Web- und Färbetechniken wieder. Er machte sich als Restaurator wertvoller Teppiche international einen Namen, kaufte eine ehemalige Weberei und baute sie um. Seitdem arbeitet er, zum Teil noch mit anderen Künstlern, in diesem weitläufigen Gebäude, in das man durch eine riesige, halboffene Werkstatt tritt, die zugleich Küche, Lager und Lebensraum ist. Dahinter öffnen sich die Atelierräume für Druckgrafik, an die sich wiederum weiß getünchte Galerieräume anschließen. Das ganze Ensemble ist einfach atemberaubend und gleichsam durchtränkt von Kunst.

Toni wartet schon. Wir haben uns verspätet, aber das kann auf einer art-balear-Tour leicht passieren. Schließlich hat man nicht so oft die Gelegenheit, hinter die Kulissen der Kunst zu blicken und dann noch auf so nette Menschen zu treffen, mit denen man am liebsten stundenlang sprechen möchte. Nun hat Toni leider noch einen Termin, so dass es diesmal nichts mit dem gemütlichen Plausch beim Glas Wein aus eigener Produktion wird. Aber er führt uns durch die Galerie, in der die Arbeiten befreundeter Künstler hängen. Seine Werke aus handgeschöpftem Papier sind ganz besonders delikat, dabei durchaus erschwinglich. In der Preisklasse zwischen 1.000 und 4.000 Euro sind schon tolle Bilder zu haben, das gilt übrigens auch für die Werke von Cris Pink.

Das Glas Wein muss nachgeholt werden, das ist klar, aber selbst der relativ kurze Einblick in sein Lebens- und Arbeitsbereich war überaus einprägsam und spannend. Allein schon dieser Innenhof, der so über und über vollgestopft ist mit Geräten, Paletten, Werkzeugen, Maschinen, Farbeimern, Druckpressen, Leinwänden, Rahmen und Webstühlen, hat die Fahrt hierher gelohnt.

Was für ein einmaliges Erlebnis und unwiederbringliches Geschenk so ein art-balerar-Besuch sein kann, wird uns schlagartig nach der Begegnung mit Alfred Lichter in Alaro bewusst, einem 95-jährigen unerhört agilen Maler und Plastiker, der bei unserer Ankunft ohne Stock und ohne Brille vor seiner Staffelei stand und später, in seinem verwunschenen Garten, bei Wein, Brot und Olivenöl, gar nicht aufhören konnte, den Gästen von seinem Leben und seinen Ansichten über Kunst zu erzählen.


"Das Wesen der Kunst" Alfred Lichter (*1917 - †2012) im Gespräch mit Isabelle Hofmann auf der Kunsttour „art balear“.

Auch Lichter stammt aus Deutschland, war Werbegrafiker und in den 60er-Jahren mit einer Galeristin verheiratet, die damals die führende deutsche Avantgarde von Beuys bis Richter vertrat. Anfang der 80er-Jahre ließ er sich in Mallorca nieder, um sich ganz der Kunst zu widmen. Um sein Werk zu bewahren, gründeten zwei Kunstfreunde aus Deutschland im Dezember 2011 die gemeinnützige Stiftung „Fundació Lichter Alaró“. Der Künstler selbst, so erzählt er, sei die ganze Zeit seines Lebens „Auf der Suche nach dem Wesentlichen“ gewesen. Um „nachzuempfinden, was die anderen Künstler gefühlt haben“, kopierte er jahrelang die unterschiedlichen Stile der Meister der Moderne. August Strindbergs Essay über den Zufall in der Kunst, habe ihm dann die Erleuchtung gebracht: „Man darf die Natur nicht nachmachen, man muss arbeiten wie die Natur“. Mittlerweile, so Lichter, sei er zum Wesen der Kunst vorgedrungen. Seine letzte Phase erinnert stark an die Drip-Paintings von Jackson Pollock: Eine fast willenlose, „Zufalls-Malerei“ aus Farbspritzern und -Schlieren, die sich völlig von der Figuration losgesagt hat: „Ich nenne sie Autogramme vom lieben Gott“, sagt Lichter lächelnd.

Wir sitzen lange in seinem paradiesischen Garten. Eigentlich wollen wir gar nicht mehr los, denn dieser charmante, so überaus vitale Herr ist ein unerschöpflicher Quell an Wissen und Anekdoten. Irgendwann verabschieden wir uns in dem Gefühl, reich beschenkt worden zu sein.
Drei Tage später erreichte uns seine Todesanzeige.

Klaus Dorn wirbt auf seiner Website mit den Worten: „Stellen Sie sich vor, Sie hätten die Möglichkeit gehabt, den katalanischen Maler Joan Miró zu treffen. Er hätte Ihnen sein Atelier geöffnet und Ihnen von seiner Kunst erzählt.“
Nun, wir haben Alfred Lichter getroffen.


Alle Infos unter www.art-balear.com
Telefonisch ist Klaus Dorn zu erreichen unter (0173) 2433 097 oder +34 67 1104 958
E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Fotonachweis:
Header: Blick ins Atelier von Cris Pink . Foto: Isabelle Hofmann
Galerie:
01. Blick ins Atelier von Cris Pink. Foto: © art balear
02. Dyptichon von Cris Pink. Foto: Isabelle Hofmann
03. Cris Pink arbeitet in ihrem Atelier. Foto: Isabelle Hofmann
04. art-balear-Gründer Klaus Dorn Foto: Isabelle Hofmann
05. Garten des Bildhauers Ferran Aguilo. Foto: © art balear
06. Blick ins Atelier von Francesca Marti
07. Blick ins Atelier von Joan Miró (heute ein Museum) Foto: Isabelle Hofmann
08. Arbeitsraum und Werkstatt von Toni de Cuber. Foto: © art balear
09. Toni de Cuber. Foto: Isabelle Hofmann
10. Alfred Lichter im Atelier. Foto: Isabelle Hofmann
11. Alfred Lichter erzählt vom Leben und seiner Kunst. Foto: Isabelle Hofmann
12. Fundació Lichter Alaró. Foto: Isabelle Hofmann
13. Blick über Fornalutx. Foto: Isabelle Hofmann

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