Im Zeichen der Pressefreiheit
- Geschrieben von Dagmar Seifert -
Wir aufgeklärten westlichen Demokraten haben unsere Pressefreiheit.
Die haben wir uns hart erarbeitet und erkämpft. Dafür sind Menschen gestorben. Das ist ein Zeichen von hoher Kultur.
Uns verbietet niemand mehr das Maul. Kein Diktator. Keine Regierung. Und das ist wirklich großartig.
Es existiert auch keine Verpflichtung zu Feingefühl oder Anstand. Das ist nicht ganz so großartig.
So entsteht beispielsweise hin und wieder etwas Presse-Kollateralschaden, wie etwa, wenn eine ‚Königin der Herzen‘ vom Öffentlichkeitsinteresse im Tunnel zerdetscht wird oder so was. Vielleicht wird manchmal auch etwas zu hemmungslos veröffentlicht. Zu rücksichtslos. Zu respektlos.
Bedeutet Pressefreiheit im Prinzip, wir können alles veröffentlichen, was uns einfällt?
Na ja, gut, alles nicht: wir werden uns hübsch hüten, hierzulande, etwas Antisemitisches zu äußern.
Es spricht für Takt und guten Geschmack, wenn gerade wir uns da sehr zurücknehmen. Unser zu Recht so schlechtes Gewissen in dieser Beziehung macht im Übrigen auch weltweit einen sympathischen Eindruck.
Sonst darf man jedoch ungeniert rausposaunen, wonach einem Zumute ist.
Na ja, außer vielleicht: seit ungefähr zwanzig, dreißig Jahren schreiben wir nach Möglichkeit auch nicht mehr ‚Neger‘.
Das klingt dem gebildeten Menschen mit Englischkenntnissen zu sehr nach ‚Nigger‘.
Eine Weile hieß es stattdessen ‚Schwarzer‘ – das ist jetzt auch Pfui.
Es dauert zwar ein wenig länger, aber man darf im Zweifel ‚Afroamerikaner‘ sagen. Stammt der Bezeichnete nicht aus Amerika, hat man damit natürlich ein Problem.
Am besten lässt man‘s gleich außen vor, falls ein Mensch von sehr viel dunklerer Hautfarbe ist. Wozu darauf aufmerksam machen?
Es könnte denjenigen kränken und es ist ja nicht so wichtig.
Sind wir nicht alle gleich, irgendwie?
Also lässt man‘s, bei aller Pressefreiheit, oft weg, und wenn derjenige noch so schwarz ist.
Sieht man ihn zufällig im Bild, denkt man: Ups, Aha.
Ist ja auch wirklich nicht so wichtig.
Über Krüppel macht die Pressefreiheit sich ebenfalls nicht mehr lustig.
Das durfte sie vor dreihundert, vierhundert Jahren.
Das ist ja nun ganz schön lange her.
Kann man sich gar nicht mehr vorstellen.
Direkte, fette Beleidigungen gegen öffentliche Personen sind allerdings heikel. Vor allem, wenn diese Personen genug Geld für einen guten Anwalt haben.
Von solchen Kleinigkeiten abgesehen: vollkommene Freiheit!
Der gebildete, kulturell hochstehende, säkulare, westliche weiße Mensch kann sich doch wohl mal ein bisschen amüsieren über jene, die sich nicht auf gleicher Höhe befinden?
Das französischen Satiremagazin ‚Charlie Hebdo‘ hat wahnsinnig witzige Karikaturen über Mohammed gebracht.
Die Redakteure besitzen einen ausgeprägten Sinn für Humor.
Es ist so possierlich, Menschen durcheinanderwuseln zu sehen, wenn ihr Glauben verunglimpft wird.
Die Redakteure besitzen auch einen ausgeprägten Sinn für den richtigen Zeitpunkt: wenn die putzigen Moslems sowieso gerade wütend sind durch diesen ebenfalls urkomischen Mohammed-Film und rumrennen und brüllen, dann macht das besonders Laune.
Sogar für’s Geschäft besitzen die ‚Charlie Hebdo‘-Macher einen ausgeprägten Sinn.
Sie haben ja keineswegs trotz der Gewaltwelle in islamischen Ländern ihre Karikaturen veröffentlicht.
Sondern eben darum, weil es gerade so angenehm gefährlich ist.
Promotion muss sein.
Herausgeber Charbonnier erklärte beglückt, die sonst übliche Magazin-Auflage von 75 000 würde für die aktuelle Ausgabe mindestens verdoppelt werden, weil das Heft noch am Erscheinungstag ausverkauft war.
(Keine Sorge, ab Freitag ist die Neuauflage da.)
Charbonnier sagte sehr pointiert vor Journalisten in seinen – natürlich polizeigeschützten – Redaktionsräumen:
‚Eine Zeichnung hat noch nie getötet. (…) Die Freiheit, uns ohne Zurückhaltung über alles lustig zu machen, gibt uns bereits das Gesetz. Die systematische Gewalt der Extremisten gibt sie uns erst recht. Danke an die Idiotenbande.‘ Und: ‚Der Premierminister soll gefälligst die Pressefreiheit verteidigen und sich nicht von lächerlichen Clowns einschüchtern lassen, die demonstrieren.‘
Das ist ein cooler Kommentar.
Engagierte Foristen überall posten Ähnliches: Meinungsfreiheit über alles, wer sich beleidigt fühlt, ist selber schuld.
Gleich, nachdem SPIEGEL ONLINE gestern am frühen Abend über die humorvolle Aktion von ‚Charlie Hebdo‘ berichtete, begeisterte man sich im Forum:
‚Mohammed muss so lang durch den Kakao gezogen werden bis die Muslime gelernt haben vernünftig damit umzugehen.‘
Und:
‚Bravo ! Bravo! Gerade geht über andere Ticker, dass auch die Titanic nachzieht! Endlich bewegt sich was. Mutig sind die schon. Respekt. Würde mir das unter den gegebenen Umständen nicht trauen. Ich finde das heldenhaft und vorbildlich.‘
Das Wort ‚Respekt‘ im letzten Beitrag finde ich bemerkenswert.
Ich hatte es bisher etwas vermisst.
Klar, diese dummen Gläubigen müssen einfach so lange gereizt werden, bis sie begreifen, wie dumm sie sind und in ein befreiendes Lachen ausbrechen.
Dann ist alles gut.
Aber wenn alles gut ist: wen reizen wir dann?
Heldenhaft? Wirkt es nicht ein wenig wie tapfere kleine Jungen, die vorm Käfig einer möglicherweise gefährlichen Riesenschlange stehen und sie, durch das Gitter, mit Stöckchen pieken? Die kreischend zurückhüpfen, wenn das Tier sich regt: ‚Endlich bewegt sich was.‘
Aber richtig gefährlich ist es nicht. Noch sind ja Gitter davor.
Dafür wird schon der Premierminister oder wer immer sorgen, mit Polizeischutz. Oder indem sie vorsichtshalber Botschafter nach Hause zurückholen.
Richtig: die ‚Titanic‘-Redaktion will nachziehen.
Wir sollten jetzt bloß nicht in Appeasement-Haltung verfallen.
Zu diesem Zeitpunkt nicht mit drastischen Beleidigungen nachzulegen, würde ja wirken, als hätten wir Angst. Oder als würden wir uns die mühsam erkämpfte Pressefreiheit beschnippeln lassen.
Ihre Dagmar Seifert
(Dagmar Seifert ist Autorin zahlreicher Romane, Drehbücher, Rundfunk-Features und Theaterstücke.)
Hinweis: Die Inhalte dieser "Kolumne" geben die Meinung der jeweiligen Autoren wieder. Diese muss nicht im Einklang mit der Meinung der Redaktion stehen.
Abb.: Claus Friede
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