Gabriel Pfeiffer, mit drei f (!), ist erfolgsverwöhnter Literaturagent. Und will es nicht mehr sein. Würde den Job am liebsten an den Nagel hängen und alles seiner überirdisch-schönen und verführerischen Sekretärin Leonore Schiller (!) in die Hände legen.
Ihren Ausgang nimmt die kriminalistisch angehauchte Geschichte auf der Frankfurter Buchmesse. Auf über 100 Seiten werden herrlich respektlos Interna ausgeplaudert. Jahrmarkt der Eitelkeiten, wo man hinschaut. Geldgier. Geltungsbedürfnis. Starallüren eines mediokren Möchtegerngenies. Grotesker Medienrummel um einen hochgepuschten Jahrhundertroman.
Pfeiffer, wer mag es ihm verdenken, hat das alles so satt. Da kommt ihm, auch wenn er zunächst, einer zur zweiten Natur gewordenen Gewohnheit gemäß, auf Abwehr schaltet, ein in der Priesterausbildung befindlicher Jüngling dann letztlich doch gerade recht, der ihm in fliegender Hast von einem Geheimnis erzählt, dem er auf die Spur gekommen zu sein behauptet.
Ein Briefumschlag wird ausgehändigt. Danach, was haste, was kannste, verkrümelt sich der scheue Knabe wieder ins Alpenländische. Zwei Tage später ist der Priesterseminarist aus heiterem Himmel tot. Und Gabriel Pfeiffer macht sich, die Neugier treibt ihn an, auf der ersten Etappe dieser Odyssee auf den Weg in die Nähe des Watzmanns. In eine ihm von Grund auf verhasste, fremde Welt unbarmherzigen Glaubens, die ihn als Jugendlichen das Grausen gelehrt hat und ihn zu dem gemacht hat, der er mittlerweile ist.
Der Ton dieser Schatzsuche ist beschwingt und lebendig. Vor allem deshalb, weil sie im Präsenz erzählt ist. Die Figuren haben etwas ungemein Menschliches. Mit ihren liebevoll gezeichneten Schwächen, Eigenheiten und Schrulligkeiten. Genau elaboriert und ganz nah dran. Liebenswert eben.
Aber da ist noch etwas. Etwas, das einen immer wieder an den Österreicher Wolf Haas denken lässt. Beispielsweise dies hier: „Hinter den gewöhnlichsten Fassaden lauern oft die ungewöhnlichsten Dinge. Weiß man ja. Soweit nichts Neues. Aber dann wundert man sich doch.“ Bis in die Sprache hinein schräg-weise intellektuelle Durchblicke à la Brenner.
Und dann steht die ganze Zeit die Frage im Raum: Wozu das alles? Wo soll das hinführen, wenn ein grantelnder, unentwegt Whiskey in sich hineinschüttender Zyniker sich im Grunde genommen widerwillig und voller Skepsis daran macht, herauszufinden, was ein anderer behauptet herausgefunden zu haben? Nämlich beweisen zu können, dem Beweis für die Existenz Gottes auf die Spur gekommen zu sein. Und das, wo Hegel und Kant auf je unterschiedliche Weise, längst bewiesen haben, dass jeder Versuch eines theoretischen Beweises zwangsläufig ins gedankliche Abseits führt.
Weil nämlich die Existenz Gottes nichts begrifflich Neues über den infrage stehenden Rauschebart – was immerhin eine kindgerechte Bestimmung wäre – aussagt. Der sich, das Bestimmungslos-Allgemeine und das Abstrakte schlechthin, ohnehin a priori jeder Bestimmung, also auch der des ihm adhärierenden Rauschebartes, entzieht. „Gegen das Endliche, den Kreis der seienden Bestimmtheiten, der Realitäten, ist das Unendliche das unbestimmte Leere, das Jenseits des Endlichen, welches (das Unendliche nämlich, F.-P.H.) sein Ansichsein nicht an seinem Dasein, das ein bestimmtes ist, hat.“ (Hegel, Wissenschaft der Logik, Bd. 3 der Glockner-Gesamtausgabe, S. 150) Heißt, das Sein ist lediglich als ein wie auch immer bestimmtes Reales, und also nicht abstrakt-Allgemeines, von jeweils zu begreifendem ontologischem Gewicht. Das Unbestimmte des Unendlichen entzieht sich, umgekehrt, jedem begreifenden Zugriff, weil sein im ontologischen Gottesbeweis supponiertes Dasein kein bestimmtes und also überhaupt kein Dasein ist. Auf den in sich widersprüchlichen Punkt gebracht: Das jenseits jeglicher Bestimmtheit als befindlich angenommene Unendliche soll gleichwohl seine Substanz an dem stets bestimmten Dasein des Endlichen haben; womit es als Unendliches negiert wäre. „Das Allgemeine, Abstrakte, Anundfürsichseiende ist ebenso wenig wie das Übersinnliche. Was ist nun seine Bestimmung? Würden wir übergehen zum Absoluten, so würde das für diesen Standpunkt Arge erfolgen, dass wir zum Erkennen übergehen; denn dies heißt Wissen von einem Gegenstande, der in sich konkret, bestimmt ist. (…) Es wäre somit Vermittlung; denn ein Wissen vom Konkreten ist sogleich vermitteltes Wissen, Erkennen.“ (Hegel erneut)
Wenn – einmal mehr Hegel, und denselben Einwand aus einer anderen Perspektive noch einmal formuliert – alle Bedingungen für eine Sache, einen Vorgang, ein Geschehen oder eine in Aussicht genommene Handlung etc. vorhanden bzw. beisammen sind, dann tritt sie notwendig in die Existenz. Dann kann ihr Existieren als ein so und so bestimmtes Real-Sein nicht mehr ausbleiben. Da aber das Unbedingte – Gott – dieser für das In-Existenz-Treten unabdingbaren Bedingungskette diverser notwendig miteinander zusammenhängender und auseinander hervorgehender Bestimmtheiten entbehrt – das absolut Notwendige ist das schlechthin Zufällige, weil es sich außerhalb jedes Bedingungszusammenhangs, in dem es allein ein wie auch immer bestimmtes Real-Notwendiges geben kann, befinden soll –, ist die ihm dennoch beigelegte Existenz entweder ein Widerspruch in sich oder eine Verendlichung der ihm dann allerdings fälschlicherweise attestierten Unendlichkeit qua Unbedingtheit.
Oder aus Kants Perspektive der Widerlegung des kritiklos Supponierten gesprochen: Die Existenz ist kein Prädikat, das zu einer Sache irgendetwas Begriffsrelevantes zu seiner infrage stehenden und ausschließlich begrifflich zu bestimmenden Identität hinzutäte. Aus der Essenz folgt nicht die Existenz, sondern diese tritt äußerlich zu jener hinzu (oder auch nicht, wie beispielsweise im Wunschdenken). Aus dem Begriff eines Irgendwas ist seine Existenz – das dem Begriff Externe und ihm folglich nicht Zugehörige – nicht herauszuklauben, wie es der ontologische Gottesbeweis irrtümlicher Weise unterstellt. Einer petitio principii gleich wird das Inkommensurable – die Sache als gedachte und die Sache als existierende – als ein Kommensurables und letztlich Identisches schlicht als gegeben unterstellt; der vermeintliche Beweis dreht sich im Kreis oder sein Anfang ist das vorweggenommene Ende, dass damit, dass etwas als Vollkommenes – was immer das sein soll – imaginiert wird, dieses imaginierte Vollkommene damit auch schon existiert. Es kann sich ja schließlich auch um das phantastische Ergebnis eines (un-) gedanklichen, emotional unterlegten Konstrukts handeln. Was – hier hat das ins mehr oder weniger Blaue hinein Imaginieren seinen legitimen Ort – auf Gestalt gewordene Gebilde der – dichterischen – Einbildungskraft zutrifft, ansonsten aber, als psychisches Phänomen, unter die Rubrik des Wahns einzusortieren ist.
Apropos dichterische Einbildungskraft… Ist diese sich selbst missverstehende Spurensuche esoterisch-verquaste Sinnsucherei? Nein! Sondern eine humorvoll-spannende Reise ins Ungewisse von einem Desillusionierten, der mit einem Rätsel konfrontiert ist, das ihn aus dem tristen Alltagstrott herausreißt. Und die Spannung steigt und steigt und steigt... Denn Edgar Rais ‚pseudonymes‘ Schreiben hat absolut „nichts mit Selbstbeweihräucherung zu tun“. Und darum packt es einen und zieht den gebannten, mitfiebernden Leser unaufhaltsam bis zum furiosen Finale mit sich fort.
Edgar Rai: Die Gottespartitur
Krimi, Roman
Berlin Verlag / Piper Verlag 2014
Gebundene Ausgabe, 204 S.
ISBN: 9783827011497
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