Meinung

Dieses am 4. Oktober 2015 im Rahmen des Filmfests Hamburg uraufgeführte Roadmovie über eine Vater-Tochter-Beziehung fand bei der Filmkritik wenig Anklang.

Der Begriff Klischee fiel ein ums andere Mal, von „Schablonen gefühliger Unterhaltung“ war die Rede, und die nachträglich-nachtragende Forderung wurde gestellt, dass der Regisseur „mehr auf die Entwicklung der Figuren (hätte) bauen sollen, anstatt alle drei Minuten Musik als emotionalen Schub zu bemühen.“

 

Ich muss gestehen, ich finde diese Formen der Verächtlichmachung angesichts dieses cineastischen Juwels absolut unpassend. Schaut man sich bei YouTube – auf dieser Plattform ist der Film jederzeit abrufbar und zwar ganz sine pecunia – die Kurzkommentare derjenigen an, die diesen Streifen haben auf sich wirken lassen, dann ist die Resonanz durchweg positiv, wenn nicht euphorisch. Michael Meggle beispielsweise hat Kleine Ziege, sturer Bock „gefühlte 19-mal gesehen“ und konstatiert, dass es „trotzdem immer wieder ein Augen- und Ohrenschmaus“ gewesen sei. Und Danielle Gernandt bedankt sich mit den tief gefühlten Worten fürs Hochladen: „Sehr berührend und wunderschön für das Herz und die Seele. Danke!“

Im Vertrauen: Das sehe und empfinde ich ganz genauso!

 

In Kleine Ziege, sturer Bock, einem Spielfilm des Regisseurs Johannes Fabrick nach einem Drehbuch von Petra Katharina Wagner, sind in den Hauptrollen Wotan Wilke Möhring und die zum Zeitpunkt des Drehs 12jährige Sofia Bolotina als Vater und Tochter – er heißt Jakob, sie Mai – zu sehen. Julia Koschitz, die Mutter und erfolgsverwöhnte Operndiva – „die Opernsängerin aus gutem Haus“ –, die in dem Film auf denselben (Vor-) Namen hört wie im wirklichen Leben, hat, nach Beendigung der zwei Monate und zwei Tage währenden Beziehung, die folglich kein, wie sie ihrer Tochter gegenüber behauptet hat, One Night Stand gewesen ist, dem Erzeuger des Mädchens deren Existenz vorenthalten, so dass der aus allen Wolken fällt, als ihm telefonisch die Neuigkeit mitgeteilt wird, dass er Vater eines Teenagers ist. „Ich hab‘ ‘ne Tochter…“ „Na und?! Ich hab‘ zwei.“ Ein Kurz-Diskurs zwischen zwei auf je unterschiedliche Art emotional engagierten Verkehrsteilnehmern in den Straßen Hamburgs.

Dieser Streifen hat unzählige solcher zum Lachen aufreizender Kurzdialoge. Der Schafsbock, der ganz zum Schluss durch Mai den Namen Elvis verpasst bekommt, wird mit folgenden Worten von seinem bullig-urwüchsigen Züchter eingeführt: „So. Da ist das Prachtstück. Ne echte Granate. Pure Kraft. Hochsensibel und ein starker Charakter.“

 

Kleine Ziege, sturer Bock ist darum ein Ereignis, weil unzählige humorvolle verbale Einsprengsel dieser und ähnlicher Art eingewoben sind in ein unmerkliches Sich-Näherkommen zwischen einer hochnäsigen Tochter und ihrem immer wieder hilflos überforderten Vater, dessen Lieblingsvokabel „Scheiße“ ist: „Du sagst ziemlich oft Scheiße. Ist dir das schon mal aufgefallen?“ Ein Sich-Näherkommen, das deswegen zu Herzen geht, weil beide ihre Rolle so spielen, als wäre sie ihnen auf den Leib geschneidert; will heißen, als würden sich tatsächlich Tochter und Vater das erste Mal in ihrem Leben begegnen und über alle – soziokulturellen – Differenzen hinweg nach und nach wirklich in zartester Innigkeit zueinander finden. „Sehr berührend und wunderschön für das Herz und die Seele. Danke!“, wie Danielle Gernandt es treffend ausgedrückt hat.

 

Im Übrigen und um – Stichwort: soziokulturelle Differenzen – auch diesen für die Gesamtkonstellation durchaus wesentlichen Aspekt nicht unerwähnt zu lassen: Jakob tingelt als Elvis-Abklatsch durch Seniorenresidenzen in und um Hamburg, Mai schabt das Schello (!) auf kulturell hochstehenden Events im Beisein ihrer erfolgsverwöhnten und mitfiebernden Mutter. Denn schließlich soll ihr Kind im späteren Leben mindestens das (Welt-) Niveau der Mama erreichen. Weswegen sie, die Mutter, sich damals von dem Tramp und Nichtsnutz – er ist, nach ihrem Dafürhalten und dem des vorerst überaus schnieke gewandeten Töchterleins, „zu nichts zu gebrauchen“ – getrennt hat (oder er von ihr). – Wie die in ein edles altrosa Jäcklein gehüllte und in Erwartung des unmittelbar Bevorstehenden in ihrem ratlosen Umschauhalten wie verloren wirkende Mai mit ihrer farblich abgestimmten Kopfbedeckung den sichtlich verunsichert sich ihr Nähernden – er hat sie aus der Entfernung mit einem sein Gesicht unwillkürlich überziehenden lieben Lächeln bereits erspäht – bei ihrem ersten Kontakt auf dem Flughafen Hamburg-Fuhlsbüttel von oben herab mit einem dezent spöttischen, leicht feindseligen und tatsächlich verächtlichen Blick von oben bis unten (seinen ausgelatschten und versifften Turnschuhen) mustert…, allein das ist einfach nur großartig! In derartigen unscheinbaren darstellerischen Details verrät sich hohe Schauspielkunst.

 

Ein phantastischer Film! Humor, Gefühl, die Generationen mit einem wohl dosierten schmunzelnden Augenzwinkern über einen kulturellen Abgrund hinweg verbindende pfiffige Dialoge, ein entwicklungsfähiges Vater-Tochterverhältnis und eine zerbrechlich-ambitionierte Mutter im Dauerklinch mit dem hochnäsig-liebenswerten und bei aller moralischen Robustheit verletzlichen Töchterlein, die ihre Rolle umwerfend intensiv-verschmitzt verkörpert. Von dem charakterstarken und hochsensiblen Schafsbock namens Elvis ganz zu schweigen...

 

Diesen Streifen kann man immer wieder sehen, und zwar vor allem dann, wenn es um das eigene seelische Befinden nicht so gut bestellt ist! Ich habe ihn wohl nicht neunzehn Mal gesehen, aber zehn Male sind inzwischen gewiss zusammengekommen mit dem Ergebnis, dass ich die spritzig-feinen Wortgefechte zum guten Teil verinnerlicht habe. Langeweile? Nein, nichts weniger als das! Ein sich immer wieder einstellendes Gefühl der Freude und Rührung, aller Gewöhnung zum Trotz. Weil, wie gesagt, wenn und sofern man/frau eine nicht ganz so prickelnde Lebensphase durchlaufen, reichen ein paar Klicks aus, um, wenn auch momentweise nur, wieder zu sich selbst zu finden und alles Ungemach hinter sich zu lassen. Keins der schlechtesten Ziele, die ein Kunstprodukt beim Rezipienten zu realisieren in der Lage sein sollte.


„Kleine Ziege, sturer Bock"

Regie: Johannes Fabrick
Hauptdarsteller: Wotan Wilke Möhring, Wanda Perdelwitz, Tilo Prückner, Julia Koschitz, Sofia Bolotina, Karin Heine
Genre: ZDF-Komödie
Produktionsland: Deutschland
Produktionsjahr: 2015

 

YouTube-Trailer:

Kleine Ziege, Sturer Bock | Trailer | Deutsch HD German (1:43 Min.)

Hinweis: Die Inhalte der Kolumne geben die Meinung der jeweiligen Autoren wieder. Diese muss nicht im Einklang mit der Meinung der Redaktion stehen.

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