Wahlverwandtschaften
Einst, in längst vergangnen Zeiten,
Trafen Sechse sich.
Liebe? Sicherlich?
Lässt sich drüber streiten.
Geschlechtlich ging es zu,
Sagt des Volkes Mund.
Geschwätz, es tut sich kund,
Freunde, gebt doch Ruh!
Sie gaben sich verloren,
Wie’s auch geschrieben steht.
Ein jeder hat gefleht,
Sie all, sie waren Toren.
Ist’s Selb- und Anderssein?
Geraten in Gefahr.
Verfehl‘n sich um ein Haar,
Und blieben stets allein.
Ein Jeder ist ganz nah bei sich,
Der Andre, der ist fern.
Kommt all und seid für mich,
Wer ist’s, der hat mich gern?
Wer mag entziehen sich?
So frag‘ ich in die Rund.
Gemach, ich geb‘ es kund,
Geliebtes Lächeln… Fürchterlich.
Ihn trifft’s ins Herz hinein,
Die Hoffnung, sie ist hin.
Bloß Nieten, kein Gewinn,
Fortan will ich nur sein.
Die Ferne nahm ihn auf.
In Raum und Zeit verloren,
Zu neuer Kraft geboren,
Hob an des Lebens Lauf.
Kälte, Hochgefahr.
Hab acht, ich bin doch da.
Magst für dich nur sein.
O liebes Herz, sei mein.
Die Involvierten
Nietzsche, Friedrich Wilhelm. Erblickte das Licht der Welt am 15. Oktober 1844 in Röcken. Verstorben am 25. August 1900 in Weimar. Nicht mehr, wie es heißt, bei sich selbst über einen Zeitraum von zehn Jahren. Seine ursprüngliche Leidenschaft galt der klassischen Philologie. Geriet auf intellektuelle Abwege, aus der Sicht der Fachgenossen. Das bedeutete in praxi: Er isolierte sich oder wurde isoliert. Das hatte Bestand bis an das Ende seiner Tage und noch darüber hinaus. Der Ruhm, der bis heute währt, kam danach. Er selbst hat ihn nicht mehr erlebt. Auch seine Dichtungen und musikalischen Kompositionen … unbekanntes Land. Recht besehen bis auf den heutigen Tag und bis in der Zeitenferne.
Wagner, Wilhelm Richard. * 22. Mai 1813 in Leipzig. Eine Sternstunde, unter musikgeschichtlichem Blickwinkel. Der gleichfalls lang Verkannte empfand das selbst so. Dass Selbstzweifel je an ihm genagt hätten, ist nicht überliefert. Sein Lebensweg endete – die „heilige Stunde“ – am 13. Februar 1883 in Venedig. Das Symbol des Kreuzes markiert das finale Verstummen. Ein Gläubiger, der an sich und den Anderen glaubte und deswegen von dem Verächter christlicher Moral verlassen ward, war verstummt. Und klingt nach in seiner Musik. Bis heute, aller politisch motivierten Vorbehalte zum Trotz. Der Tausendsassa war natürlich und vor allem Komponist. Aber er war auch, worauf er sich, wie stets, viel zugutehielt, Dramatiker, Dichter, Schriftsteller, Theaterregisseur und Dirigent. Hinfort mit den dialogisch-dramatischen Nummernopern und ihren verstaubten – Stillstand pur, aller vermeintlichen Dramatik zum Trotz – Rezitativen! Stattdessen epische Musikdramen. Chromatische 12-Ton-Musik, wenn man so will, Leitmotivtechnik inklusive. Ein musikalischer Neuerer ganz großen Stils. Wie der Andere, der verehrende Verehrte und späterhin enttäuscht Abtrünnige. Nicht zuletzt die in praxi umgesetzte Festspielidee, die der ausschließlichen Aufführung der eigenen Werke den Boden bereiten half, stieß bei dem Hochsensiblen auf vehementen geistigen Widerstand. Und auch sein obsessiver Antisemitismus blamierte sich in seiner kleinbürgerlichen Borniertheit an der Weite des Intellekts Desjenigen, der dem lebensphilosophischen Optimismus frönte.
Liszt, Franz. Ein Stern gebührt auch ihm, dem nachmaligen Schwiegervater des Anderen. Und wohl noch mehr. Denn er war freigebig. Aufmerksam. Hilfsbereit. Hatte ein großes Herz. Alles andere als ein Egomane. Nein, er gab sich hin auf Gedeih und Verderb, gar nicht viel anders als der Frühverstorbene aus der prunkvollen Kleinstadt dort unten an der Salzach. Sein ruhmvolles irdisches Dasein wehrte vom 22. Oktober 1811 bis zum 31. Juli 1886, da er in Weimar sein Leben aushauchte. Und tragisch ist’s: Der Nachruhm als Komponist ist ihm in summa verwehrt geblieben. Woran sich bis heute nichts geändert hat. Der Komponist und Schöpfer hochsynthetischer Sinfonischer Dichtungen soll summa summarum und bis auf wenige Ausnahmen, die, so geht Paradoxie, in Gestalt seiner Werke fürs Pianoforte den Großteil dessen ausmachen, was der Meister geschaffen hat, vernachlässigenswert sein. Der Pianist, der Dirigent, der Theaterleiter und schließlich der Musikpädagoge, die standen damals und stehen bis zur Stunde hoch im Kurs. Denn Liszt war einer der prominentesten und einflussreichsten Klaviervirtuosen seiner Zeit. Was zählt da das Werk des Tonsetzers mit einer Opuszahl, die die Tausend weit überschreitet und hinter sich lässt?! Er ist neben Wagner mit seinem Konzept der gleichfalls chromatisch unterlegten Programmmusik so etwas wie das Schulhaupt der sogenannten Neudeutschen Schule. Und er war der Mitbegründer des Allgemeinen Deutschen Musikvereins.
Andreas-Salomé, Lou. Der Stern der ausnehmend hübschen und liebreizenden, hochintelligenten und mit außergewöhnlicher geistiger Weite begabten geborenen Louise von Salomé, die sich, aus Lust an der Verstellung, auch gelegentlich Henri Lou nannte, ist am 12. Februar 1861 in St. Petersburg aufgegangen. Sozusagen. Am 5. Februar 1937 tat sie in Göttingen ihren letzten Atemzug. Ihre Wirkung auf den männlichen Teil der Weltbevölkerung soll erheblich gewesen sein. Selbstredend nur auf den, der ihrer in Glück und Leid ansichtig wurde. Nietzsche, dessen Freund Paul Rée und der um Etliches jüngere Rainer Maria Rilke sollen ihr verfallen sein. Sigmund Freud mag sich auch seinen Teil gedacht oder vielmehr empfunden haben, als ihre Lebensbahn sich relativ spät und bereits im neuen Jahrhundert mit der seinen kreuzte. Ungebunden zu sein und sich nicht binden zu lassen, egal von wem, das mag als Motto über ihrer intellektuell weitläufigen schriftstellerischen Laufbahn gestanden haben. Und nicht bloß über der…
Warst mir die mütterlichste der Frauen,
ein Freund warst Du, wie Männer sind,
ein Weib, so warst Du anzuschauen,
und öfter noch warst Du ein Kind.
Du warst das Zarteste, das mir begegnet,
das Härteste warst Du, damit ich rang.
Du warst das Hohe, das mich gesegnet –
und wurdest der Abgrund, der mich verschlang.
(Rainer Maria Rilke)
Wagner, Cosima Francesca Gaetana, geborene Liszt. Bekanntermaßen lag ein gestörtes Vater-Tochter-Verhältnis vor. Der Weitgereiste und Hochbegehrte Alte Herr hat sich nur sehr rudimentär um sein Töchterlein gekümmert. Das scheint die notorisch Vernachlässigte ihrem Papa nie wirklich vergessen zu haben. Der Name ist Programm. Das Artifizielle ist ihr quasi in die Wiege gelegt worden. Die Wiege: Geboren – ausgerechnet! – am 24. Dezember 1837 in Bellagio am Comersee. Verschieden am – auch nicht schlecht! – 1. April 1930 in Bayreuth. Eigentlich war sie ja eine geborene de Flavigny. Tochter der Schriftstellerin Gräfin Marie d’Agoult, was, nach der Trennung von dem weltberühmten Pianisten, auch noch für innerfamiliäres böses Blut gesorgt haben soll. Nein, wirklich, Cosimas Start ins Leben war alles andere als erbaulich. Wenngleich, die Ausrichtung ihres Geistes mag sie ihrem Vater verdankt haben. Musik steht im Fokus. Auch unter dem Aspekt der Doppelvermählung. Was missverständlich klingt. Deswegen präziser formuliert: Zunächst hat sie dem Dirigenten Hans Freiherr von Bülow ihr Ja-Wort gegeben. Viel wichtiger allerdings ist, dass sie sich nach der Scheidung mit dem Musikgenie und Tausendsassa Richard Wagner geistig-emotional vereinigt hat. Sie wurde seine ihn anhimmelnde Muse. Womit der wechselseitigen Bedürftigkeit Genüge geschehen war. Ihr eigentliches Lebensziel nahm nach dem Hinscheiden des Gatten 1883 Gestalt an: Sie leitete bis 1906 die Bayreuther Festspiele.
Fürstin zu Sayn-Wittgenstein-Berleburg-Ludwigsburg, geb. von Iwanowska, Carolyne Elisabeth. Dies ihr vollständiger Name. Gerät in Fürstenhäusern immer wieder einmal etwas unübersichtlich. Geboren am 7. Februar 1819 in Monasterzyska bei Ternopil in der Westukraine. Gestorben am 10. März 1887 in Rom. Was nicht schlecht zu ihrer im Alter immer ausgeprägter hervortretenden religiösen Grundeinstellung passt. Sie war die kongeniale Lebensgefährtin Franz Liszts, nachdem dieser sich von Marie d’Agoult getrennt hatte. Oder sie sich von ihm … Goethe, immer wieder Goethe. Weimar zunächst, wo Liszt die Stelle des Kapellmeisters offeriert worden war. Zwölf Jahre lang lebten sie zurückgezogen – in trauter Eintracht und Harmonie, wie es scheint – in der sogenannten Altenburg. Carolyne Liszt, das ist historisch verbürgt, stand ihrem Gemahl während dieser Zeit in jeder Hinsicht zur Seite und unterstützte ihn, wo sie nur konnte. Geheimnisumwoben allerdings ist und bleibt, wie groß ihr Einfluss auf den Pianisten und Tonsetzer wirklich war. Hat es damit seine Richtigkeit, dass die Liszt zugeschriebene Chopin-Biographie in Wahrheit aus ihrer Feder stammt? Fest freilich steht, dass sie den unruhigen Geist zu zahlreichen Kompositionen anregte. An die Stelle des Flatterhaften seines Wesens, das der Tatsache geschuldet sein mag, dass Liszt zunächst als hochumjubelter Star-Pianist sich die meiste Zeit auf Konzertreisen befunden hat – er galt ja landauf-landab als der Magier des Pianofortes –, trat der unermüdliche Fleiß des Komponisten. Unter Carolynes Einfluss wurde Liszt zum gewissenhaften Arbeiter, der, mehr oder weniger von den Fachgenossen unbemerkt, eine neue musikalisch-harmonische Formensprache schuf. Die sich, selbstredend, schon angebahnt hatte und in der Luft lag. Kulturhistorisch betrachtet existieren die vielbeschworenen großen Umstürze und erderschütternden Revolutionen, die sich dann an einen Namen heften, nicht. Das, was sie jeweils vorbereitet hat, mag sich hinter den Kulissen zugetragen haben. Aber der, der das allemal zeitgemäße Zauberwort ausgesprochen hat, konnte dies lediglich deswegen, weil ihm von anderer Seite bereits zugearbeitet worden war. – Lediglich Wagner übrigens mag realisiert haben, dass und wie der in Maßen große Neuerer ihm vorangeschritten war und subkutan die Richtung vorgegeben hatte. Was einzugestehen ihm allerdings absonderlich vorgekommen wäre, hätte er sich denn Rechenschaft darüber abgelegt. Apropos Wagner: Unter Carolynes Ägide fanden sonntägliche Matineen mit befreundeten Künstlern statt. Man musizierte gemeinsam mit Richard Wagner und Hector Berlioz, der Carolyne freundschaftlich verbunden war. Er hat der Fürstin unter anderem seine Oper Les Troyens dediziert.
Doch nun zu den herzerhebenden oder das Gemüt in Trauer zurücklassenden intellektuell-emotionalen Verwicklungen im kulturhistorisch allemal relevanten Hexagon.
„Sie liebt mich, sie liebt mich nicht.“ Gänseblümchen in der Hand, um mit pochendem Herzen abzuzählen. Wie ein Kind, so aufgeregt und hibbelig wie zu Weihnachten, wenn die Stunde der Bescherung schleichend näher rückt. Beziehungsweise wenn, der freudigen Erregtheit sei Dank, die Zeit stillzustehen scheint. Also kein Fort- und Vorankommen in Sicht ist.
Nein, sie liebte ihn ganz entschieden nicht. Verehrung. Das ja. Bewunderung. Gebannt hing sie an seinen oberlippenbartbewährten Lippen, wenn sich sein hochsensibler Intellekt in eiseskalte geistige Sphären aufschwang. Der Anti-Bourgeois in ihm hatte es ihr angetan. Der Ungebundene. Der Freie. Der sich durch nichts und Niemanden imponieren ließ. Wie sie selbst es bei und für sich hielt. Sich selbst zu leben, das war ihr, wie es schien, in die Wiege gelegt worden. Das war ihr lebenslanges Credo.
Aber er hatte sich ja in Abhängigkeit befunden. Von dem Musikzauberer in Bayreuth, der es fast geschafft hätte, ihn seiner selbst zu entfremden. Einen Gläubigen aus ihm zu formen, der doch letzten Endes und im tiefsten Innern der Ungläubige und womöglich ganz und gar Amoralische war und sein wollte.
„Es mag mir geschehen, was will – ich verliere nie die Gewissheit, dass hinter mir Arme geöffnet sind, um mich aufzunehmen.“ Diese letzte Seinsgewissheit ermangelte ihm. Wie dem Anderen, den er zunächst hingebungsvoll verehrt und anschließend hingebungsvoll verachtet hatte. Das Leben eines Dekadent ist ruinös und kann letzten Endes nur im geistig-emotionalen Bankrott enden. Das war ihre feste Überzeugung. Ein Nihilismus sans phrase geht an sich selbst und seiner inneren Haltlosigkeit zugrunde. Und da sie das nicht und auf gar keinen Fall gewollt hatte, kam eine womöglich noch vom Staat und der Kirche abgesegnete Beziehung mit und zu ihm nimmermehr in Frage. Und dass er, zu allem Überfluss, um ihre Hand hatte anhalten lassen von seinem Freund Rée, das sah doch wahr- und wahrhaftig nach einem literarischen Zitat aus. Und gab doch erneut nur dem Ausdruck, dass er der ganz und gar Verunsicherte war, der an das, was er mit Seherblick von sich gab, selbst nicht wirklich glauben konnte. Die in ihren Staat „vergnügten“ Universitätsprofessoren – was für eine treffliche Bemerkung mit Wahrheitswert weit über ihre Gegenwart hinaus sowohl ins Vergangene wie vermutlich auch ins Zukünftige –, sie und ihr devotes Gebaren waren auch ihm, da war sie sich sicher, alles andere als wesensfremd.
Sie dagegen war bereits im Alter von 16 Jahren aus der Kirche ausgetreten. Hatte die Konfirmation verweigert. Darüber hinaus aber und vor allem war sie von einem schier unglaublichen Wissensdurst geradezu besessen gewesen. Womit hatte sie sich nicht alles mit heißem Kopf beschäftigt?! Mit Vergleichender Religionsgeschichte und Religionsphänomenologie. Mit Philosophie, Logik, Metaphysik und Erkenntnistheorie. Sie hatte die klassische französische Literatur verschlungen. Descartes und Pascal; Schiller, Kant und Kierkegaard, Rousseau, Voltaire, Leibniz, Fichte und Schopenhauer zur Gänze gelesen. Nach dem Tod ihres Vaters war sie gemeinsam mit ihrer Mutter im Herbst 1880 nach Zürich gezogen und hatte in den Jahren 1880 und 1881 Vorlesungen an der Universität Zürich als allerdings nicht eingeschriebene Gasthörerin besucht. Ihr Pensum war erneut enorm gewesen: Sie hörte über Philosophie, Logik, Geschichte der Philosophie, Psychologie und Theologie. Und wiederum war ihr all das ungeheuer leichtgefallen, verstörend leicht. Diese rasche Auffassungsgabe war ihr an ihr selbst unheimlich geworden. Und hatte die, mit denen sie in Kontakt getreten war, nicht selten vor den Kopf gestoßen. Bei aller Bewunderung, die mehr als bloß insgeheim mitgeschwungen war.
Was sie gewollt hatte? Eine intensive Arbeitsgemeinschaft mit Nietzsche und Rée. Die „Dreieinigen“, die in ihrer gemeinsamen Wohnung, sei‘s in Wien, sei‘s in Paris, dem Studium, der Schriftstellerei und der Diskussion obliegen würden. Daraus war nichts geworden, weil der Hochfliegende stets mehr von ihr gewollt hatte als dieses von ihr projektierte geistig-intellektuelle Band.
Das finale Verstummen war unvermeidlich gewesen. Der Ort: Leipzig. Das Jahr: 1882. Herbst. Die Jahreszeit des Abschieds. Wie hatte er sich kurz zuvor ihr gegenüber, ganz Verzagtheit, geäußert?: „An jedem Morgen verzweifle ich, wie ich den Tag überdaure … Heute Abend werde ich so viel Opium nehmen, dass ich die Vernunft verliere: Wo ist noch ein Mensch den man verehren könnte! Aber ich kenne Euch alle durch und durch“. Das war gegen sie und den Freund gerichtet gewesen und mochte letztlich den Ausschlag gegeben haben, dass man sich in wechselseitigem Einvernehmen, wie es heißt, getrennt hatte.
Nichts desto trotz, sie hatte noch zu seinen Lebzeiten, als der intellektuell und emotional so unglaublich Heikle noch unter ihnen war oder vielmehr in völliger geistiger Isolation vor sich hindämmerte, in ihrem Buch Nietzsche in seinen Werken, das 1894 erschienen war, versucht, den „Denker durch den Menschen zu erläutern“. Das war sie ihm schuldig gewesen, auch wenn sie wusste, dass den, dem diese liebend-verehrungsvolle Rückschau galt, ihr Habe-Dank nicht mehr erreichen würde.
Was – umgekehrt – sie nie erfahren hat, auch wenn sie es geahnt haben mag, das hat er in einem Brief an seinen Sekretär Peter Gast formuliert. Nämlich sein von allen Kränkungen unbelastetes Urteil über die Frau seines Lebens: „Lou ist scharfsinnig wie ein Adler und mutig wie ein Löwe … Nach Bayreuth kommt sie zu mir, und im Herbst siedeln wir zusammen nach Wien über. Wir werden in einem Hause wohnen und zusammen arbeiten; sie ist auf die erstaunlichste Weise gerade für meine Denk- und Gedankenweise vorbereitet. Lieber Freund, Sie erweisen uns beiden sicherlich die Ehre, den Begriff einer Liebschaft von unserem Verhältnis fernzuhalten. Wir sind Freunde und ich werde dieses Mädchen und dieses Vertrauen zu mir heilig halten. – Übrigens hat sie einen unglaublich sicheren und lauteren Charakter.“
Das war klug, weise, abgeklärt gesprochen. War es das wirklich? Ja und nein. Denn wenn er ganz tief in sich hineinhorchte oder nicht einmal gar so tief, dann klang es so aus seinem Innern zurück:
Hatem
Locken! haltet mich gefangen
In dem Kreise des Gesichts!
Euch geliebten braunen Schlangen
Zu erwidern hab ich nichts.
Nur dies Herz es ist von Dauer
Schwillt in jugendlichstem Flor;
Unter Schnee und Nebelschauer
Rast ein Ätna dir hervor.
Du beschämst wie Morgenröte
Jener Gipfel ernste Wand,
Und noch einmal fühlet Hatem
Frühlingshauch und Sommerbrand.
Schenke her! Noch eine Flasche!
Diesen Becher bring ich Ihr!
Findet sie ein Häufchen Asche,
Sagt sie: Der verbrannte mir.
Wäre ihre Antwort, er hätte sein Leben darangegeben, doch die Suleikas gewesen … Und war sie es denn nicht?!
Suleika
Nimmer will ich dich verlieren!
Liebe gibt der Liebe Kraft.
Magst du meine Jugend zieren
Mit gewaltger Leidenschaft.
Ach! wie schmeichelts meinem Triebe
Wenn man meinen Dichter preist:
Denn das Leben ist die Liebe,
Und des Lebens Leben Geist.
Ihre beiden Credos:
„Ich bin Erinnerungen treu für immer: Menschen werde ich es niemals sein.“
„Wir wollen doch sehn, ob nicht die allermeisten sogenannten ‚unübersteiglichen Schranken‘ die die Welt zieht, sich als harmlose Kreidestriche herausstellen!“
1868. Ein schicksalhaftes Jahr. Für alle Beteiligten. Also für Nietzsche selbst, für den musikalischen Neuerer und dessen Gattin Cosima. Die zu dem Zeitpunkt allerdings noch nicht dessen Anvermählte war. Der Ort der ersten Begegnung ist Leipzig gewesen. Die ehrenvolle Berufung des 25jährigen zum außerordentlichen Professor für klassische Philologie an die Universität Basel stand unmittelbar bevor. Der blutjunge Himmelsstürmer verdankte den Ruf ins nahe gelegene Ausland vor allem der Empfehlung Friedrich Willhelm Ritschls. Und zwar zu einem Zeitpunkt, als seine im Ergebnis fulminante Promotion – honoris causa – noch gar nicht in trockene Tücher gebracht worden war, und folgerichtig auch die Habilitation noch zu den unerledigten Projekten gehörte.
Noch ein Wort zu Ritschl. Dem hochverehrten Lehrer und Ersatzvater. Der war in Folge des Bonner Philologenstreits – einem eher unappetitlichen Berufungsgezänk und -gezerre unter der Professorenschaft – an die Universität Leipzig gewechselt. Nietzsche stand nicht an, gemeinsam mit seinem Freund Gersdorff ebenfalls nach Leipzig zu ziehen. Hier wurde der Grund gelegt für die philologischen Sonderwege, die Nietzsche in der Folgezeit betreten sollte. Und die ihn nach der relativ kurzen Zeit des Ruhmes ins akademische Abseits manövrieren sollten.
Zurück zu Wagner, dem – zunächst – zutiefst verehrten Schöpfer dramatischer Fest- und Weihespiele. Wann immer es sich einrichten ließ, machte er sich von Basel aus auf den Weg nach Tribschen bei Luzern, wo der „Meister“ selbstschöpferische Sprachgebilde im hohen Hymnenstil musikalisch materialisierte. Und der in dem idealisch veranlagten Jungspund vor allem so etwas wie den annähernd kongenialen Fahnenträger der von ihm ins Leben gerufenen hehren Tonkunstkultur erblickte. Den es entsprechend wohlwollend aufzunehmen galt. Einen sich des Ernstes der Lage bewussten Propagandisten universalen Neuerertums, der auch der Gründung des Bayreuther Festspielhauses aufgeschlossen gegenüberstand, galt es an sich zu binden.
Und dann war da ja noch das 1872 veröffentlichte Werk Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik, das den Tonsetzer geradezu in Verzückung versetzen sollte. Endlich einer, der ihn in seinem unentwegten Streben verstand und historisch adäquat einzuordnen vermocht hatte. Der begriffen hatte, dass der wahre Hintergrund wahrhaft großer Musik nur ein tragischer sein konnte. Verkörpert in den bereits in der griechischen Antike gebräuchlichen Chorgesängen. Der Initiierte hatte intuitiv verstanden und ausgesprochen, dass diese musikalische Unterfütterung in Gestalt des als Schicksal den Lauf der menschlichen Dinge bestimmenden Chorgesangs das Ur-Wesen tragischer Verwicklungen gewesen war und – vor allem dank seiner Musikdramen – in Zukunft wieder sein sollte. Was scherte es ihn, dass in dieser Untersuchung über den Ursprung der Tragödie die exakte philologische Methode durch philosophische Spekulation ersetzt worden war. Und was scherte es ihn, dass diese als waghalsig und historisch nicht belegbar von der Professorenschaft beargwöhnte Rabulisterei den unter dem Wissenschaftsgesichtspunkt Abtrünnigen bereits recht früh ins akademische Abseits manövrierte.
Friedrich Nietzsche als Artillerist, August 1868. / Richard Wagner in München, 1864. Fotograf jeweils unbekannt, beide gemeinfrei.
Spätestens jetzt wusste man es oder konnte es jedenfalls wissen: „Ernst ist das Leben, heiter die Kunst“!?, wie es von Schiller intoniert worden war. Nein, gerade umgekehrt, oder jedenfalls fast. Die Heiterkeit der Kunst verdankt sich und ruht auf dem dunklen Grund eines keiner menschlichen Zielvorgabe gehorchenden und folglich schicksalhaften Tumults. Dem selbst noch die Götterwelt ausgesetzt ist und unterliegt. Genau dieses Unterliegen und heillose Getriebenwerden durch einen ziellosen, pur kreatürlichen und absolut unbewussten Welt-Willen, wie er von Schopenhauer, dem verehrten Vordenker, intoniert worden war, war es, das die vielbeschworene Heiterkeit der Kunst in tragischer Trauer ihren Anfang und ihr Ende finden ließ. Die ewig herbeigesehnte Erlösung von den Drangsalen des Getriebenseins, sie war ein uneinlösbares Wunschgebild der sonst an sich und ihrer – bestimmungslosen – Bestimmung verzweifelnden Menschheit. Und dieser Trauer gab seine Musik auf eine sogartige Art Stimme. Eine Trauer, die nicht weichen kann. Ein nicht enden wollender böser Traum der Verzückung zieht und zieht und zieht in stets gebrochenen Halbton-Harmonien dahin. Dieses in Düsternis verzückte tonkünstlerische Getriebensein mag vielleicht einen Anfang haben. Aber es hat kein Ziel, und folglich verschwebt es letztlich immer ins musikalisch-thematisch Uferlose.
Wer des Schönen will habhaft werden, dem darf vor dem Wegelosen nicht bange sein. Das die Sinne Verwirrende zieht sie hinan. Die Uridee des Musikdramas. Tristan und Isolde. Liebestod. „O überschwenglicher und unersättlicher Jubel der Vereinigung im ewigen Jenseits der Dinge! Des quälenden Irrtums entledigt, den Fesseln des Raumes und der Zeit entronnen, verschmolzen das Du und das Ich, das Dein und Mein sich zu erhabener Wonne. O sink hernieder, Nacht der Liebe, gib ihnen jenes Vergessen, das sie ersehnen, umschließe sie ganz mit deiner Wonne und löse sie los von der Welt des Truges und der Trennung. Siehe, die letzte Leuchte verlosch! Wie sie fassen, wie sie lassen, diese Wonne fern den Trennungsqualen des Lichts? Sanftes Sehnen ohne Trug und Bangen, hehres, leidloses Verlöschen, überseliges Dämmern im Unermeßlichen! Du Isolde, Tristan ich, nicht mehr Tristan, nicht mehr Isolde – – –.“ (Thomas Mann)
Ins Persönlich-Individuelle gewendet, dort allerdings nicht ganz bar einer zum leisen Schmunzeln aufreizenden Komik, Du Diotima, Richard ich, nicht mehr Richard, nicht mehr Diotima. So mag es Diejenige empfunden haben, die in Ihm, dem Einzigen und vehement Angehimmelten, die lebenslang schmerzlich vermisste Vaterfigur (wieder-) gefunden hatte.
Was begegnet einsam neue Pfade betretenden Revolutionären? Sie bleiben, bestenfalls, unverstanden und werden totgeschwiegen. Bestenfalls? Nein, sie geben dem Skandal eine Verlaufsform. Als Individuen mögen sie an dieser Ablehnung durch die sich für extrem gescheit haltenden Fachgenossen zerbrechen. Als den jede Schranke des Traditionellen niederreißenden Grenzgängern wird ihnen die Zukunft offenstehen, die sie in ihrem nimmermüden, unerschrockenen Wirken antizipieren. Die „tintenklecksenden Flohknacker“ der bereits jetzt der Vergangenheit angehörigen Gegenwart werden sich in ihrer spießbürgerlichen Prinzipienfestigkeit alsbald selbst als die Abgelebten erkennen. Und mögen sie es noch so sehr bestreiten und wortreich dementieren.
Und in der Tat: Das Kunst-Manifest der Zukunft stieß auf flächendeckende Ablehnung. Jedenfalls bei all denen, die akademisch-institutionell fest verankert waren. Also bei der „in ihren Staat vergnügten“ verbeamteten Professorenschaft. Der vormals hochverehrte Leipziger Lehrer Ritschl reagierte, vorsichtig ausgedrückt, mit Unverständnis. Immerhin, er reagierte, wenn auch ablehnend. All die anderen der Herausgeforderten straften – ein beredtes Schweigen – die vergleichsweise schmale Schrift durch Nichtbeachtung.
Was nützte es, dass es, veranlasst durch Ulrich von Wilamowitz-Moellendorffs Polemik unter dem vielsagenden, freilich despektierlich gemeinten, Titel Zukunftsphilologie!, doch noch zu einer allerdings nur kurzen öffentlichen Kontroverse kam?! Rohde, inzwischen Professor in Kiel, und sogar Wagner intervenierten zugunsten Nietzsches. Aber was half es, nachdem das ephemere Scharmützel geschlagen war, befand sich Nietzsche erneut im akademischen Abseits; er sollte den (Nicht-)Ruf eines isolierten Philologen zeitlebens nicht mehr loswerden. Das deutete sich bereits Anfang 1871 an, als er sich um den freiwerdenden Basler philosophischen Lehrstuhl Gustav Teichmüllers beworben hatte. Statt seiner wurde Rudolf Eucken berufen.
Auch den vier Unzeitgemäßen Betrachtungen von 1873 bis 1876 blieb der erhoffte Erfolg verwehrt. Die von Schopenhauer und Wagner beeinflusste pessimistische Kulturkritik passte so gar nicht in die euphorische Aufbruchstimmung der von Bismarck lancierten Kulturkampfära. Als 20 Jahre später sein Stern dann doch im Steigen begriffen war, erreichte den nun erst wirklich Promovierten die Rangerhöhung nicht mehr. Der intellektuelle Außenseiter und Unzeitgemäße der Bismarck-Ära befand sich nunmehr endgültig in geistiger Isolation. Die Welt der Anderen, die sich um ihn und sein Werk zu bemühen begannen, war nicht mehr die seine.
Wagner, der kongeniale Antipode. Der Dekadent, der mit seiner Musik weit in die (Un-) Tiefen des Un- und Vorbewussten vorgestoßen war. Chromatik lautete das Zauberwort. Das Fließen von klanglichen Farbvermischungen auf der Basis von kompositorisch inthronisierten Halbtonschritten, die einer tief empfunden Haltlosigkeit – ins Positive gewendet: dem ekstatischen Rausch – Ausdruck gaben. Die Dreiklangs-Harmonik und damit das Halt gebende tonale Zentrum wurden der Auflösung preisgegeben. Wagners Musik frönte dem Irrationalismus, gab sich dem Fallen ins Nicht-mehr-Geheure vorbehaltlos hin. Denn was ist ungeheurer als das auch im Tonmaterial und seinen verkürzten Differenzen angestrebte Unendliche?!
Alles was recht ist, mag Nietzsche bei sich gedacht haben, experimentierfreudig und musikalisch voll auf der Höhe – sozusagen an der vordersten Front des zu antizipierenden kompositorischen Novums – ist er schon, der alte Judenhasser ...
In Richard Wagner in Bayreuth, der vierten Unzeitgemäßen Betrachtung, und vor allem in der Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik feiert Nietzsche dessen Musikdrama als Überwindung eines Rationalismus, der es sich in einer philisterhaft-emotionslosen und satten Saturiertheit selbstzufrieden wohl sein lässt.
Aber er mag sich sehr früh schon auch an folgenden Textauszug erinnert haben, der ihn mit dem ersten Keim der nachmaligen vehementen Ablehnung infiziert hat: „Wem daran liegt, dem Schönen zu huldigen, wird seine Rede dem Kunstwerke, das er beschreiben will, unterordnen, und mehr durch halbe Winke andeuten, als vollständig zu beschreiben suchen: denn nicht seine Beschreibung sondern der Gegenstand derselben soll bewundert, und über den Anblick des Kunstwerks selbst soll jede Beschreibung vergessen werden. – Winckelmanns Beschreibung des Apollo in Belvedere scheint mir für ihren Gegenstand viel zu zusammengesetzt und gekünstelt. – Der Genius der Kunst war neben ihm eingeschlummert, da er sie niederschrieb; und er dachte gewiß mehr an die Schönheit seiner Worte, als an die wirkliche Schönheit des hohen Götterideals, das er beschrieb.“ (Karl Philipp Moritz)
Auf das Hochgefühl, endlich auf einen Gleichgesinnten getroffen zu sein, folgte die Ernüchterung. Aus Wagner, dem bewunderten Vernichter des abgelebt Altehrwürdigen, wurde unversehens, so stellte es sich ihm nunmehr dar, der in sich selbst und sonst nichts vernarrte Scharlatan, dessen Weihefestspiele ausnahmslos der Verherrlichung seiner eigenen Person galten. Seine Enttäuschung über die ersten Bayreuther Festspiele von 1876 war grenzenlos. Zur Eitelkeit des sich permanent selbst Beweihräuchernden passte die stabreimunterlegte Banalität des in seiner gewollten Altertümlichkeit grotesk wirkenden uraltdeutschen oder -nordischen Schauspiels. Lauter an sich selbst verzweifelnde Helden. Pathos, stets auf dem Sprung in die Groteske. Larmoyanz als nervtötendes Dauergehabe. Die Niveaulosigkeit des Publikums schließlich, dessen Aufgabe lediglich darin bestand, das Dargebotene, absolut kritiklos, zu beklatschen, wurde von ihm bloß noch als abstoßend empfunden. „Bayreuth sollte kommen, mit zwanzig Mark Eintrittspreis, mit Königen und Kaisern und internationalem Geld-Mob und schrecklichen Wagner-Schriftstellern als Publikum, mit Geschäftemacherei und Wohnungswucher im ganzen Städtchen und glänzenden Empfängen und Gartenpartien, bei denen es Feuerwerk gab, in der von Wahn und kulturpäpstlicher Anmaßung durchaus nicht freien Villa Wahnfried. (...) Und Nietzsche floh ...“ (Thomas Mann) „Glücklich, wer mit den Verhältnissen zu brechen versteht, ehe sie ihn gebrochen haben!“ (Franz Liszt)
Und dann noch seine spätere Hinwendung zur devot-kriecherischen Gläubigkeit des Katholizismus im Parsifal war der Zumutungen eine zu viel. Der Bruch mit dem einst Vergötterten war innerlich vorbereitet, bevor er, in sprachlosem Abschiednehmen, endgültig und ein für alle Mal vollzogen wurde. Was blieb, war eine radikale Gegnerschaft und Feindschaft mit schon zu diesem frühen Zeitpunkt leicht pathologischen Zügen. Es war, als würde Nietzsche sich in dem Anderen zu einem nicht geringen Teil selbst verachten.
Zu bedenken freilich bleibt dieses hier: Stümper sind die mit der „unbezwingliche(n) Selbstigkeitslust“. (Hegel) „Das Prangende (Preciöse), das Geschrobene und Affektirte, um sich nur vom Gemeinen (aber ohne Geist) zu unterscheiden, sind dem Benehmen desjenigen ähnlich, von dem man sagt, dass er sich sprechen höre, oder welcher steht und geht, als ob er auf einer Bühne wäre, um angegafft zu werden, welches jederzeit einen Stümper verräth.“ (Kant) Menschen mit Laufstegmentalität gab es also schon damals wie vermutlich zu allen Zeiten. Heute ist's der Zeitgeistvirus des Originalitätsexhibitionismus‘.
Anders: Man will „eigenthümliche Partikularität aushecken, sonst hat man es nicht selbst gedacht. Das schlechte Gemälde ist das, wo der Künstler sich selbst zeigt; Originalität ist, etwas ganz Allgemeines zu produciren. Die Marotte des Selbstdenkens ist, daß Jeder Abgeschmackteres hervorbringt, als ein Anderer. – Die Extravaganz der Subjektivität wird häufig Verrücktheit ... Nicht das Übelste wäre, wenn die Eitelkeit, die sich nur mit der eigenen Person beschäftigt, und diese hegt und pflegt, sich immer das Bild und Bewußtsein der eigenen Vortrefflichkeit gibt, zu Grunde ginge. Denn diese tristen Geschöpfe ... machen eben aus Lumpereien eine Wichtigkeit, worauf kein Vernünftiger sieht; und meinen, solche Schwachheiten und Fehler seien doch vorhanden, wenn sie sie auch übersehen. Allein es ist nicht ihre Großmut zu schätzen; sondern vielmehr, daß sie auf das, was sie Schwachheit und Fehler nennen, sehen, ist ihr eigenes Verderben, das etwas daraus macht. Der Mensch, der sie hat, ist unmittelbar durch sich selbst davon absolviert, insofern er nichts daraus macht. Das Laster ist nur dieses, wenn sie ihm wesentlich sind, und das Verderben dieses, sie für etwas Wesentliches zu halten.“ (Hegel)
Der fünffache Kontrapunkt lautet dann in etwa folgendermaßen:
„Möge der Künstler (...) mit freudigem Herzen auf eine eitle egoistische Rolle verzichten (...); möge er sein Ziel in und nicht außer sich setzen und ihm die Virtuosität Mittel, nie Zweck sein (...).“ (Franz Liszt)
„Der Künstler, der nur für Bewunderung arbeitet, ist kaum noch Bewunderung wert. Ihn muß vielmehr, nach dem Beispiele der Gottheit, der Selbstgenuß ermuntern und befriedigen, den er in seinen eignen Werken bereitet.“ (Georg Forster)
„Schönheit ist erst dann da, wenn das Notwendige geleistet, doch verborgen ist.“ (Goethe)
„Nehmen wir sodann das bedeutende Wort vor: ‚Erkenne dich selbst‘, so müssen wir es nicht im aszetischen Sinne auslegen. Es ist keineswegs die Heautognosie unserer modernen Hypochondristen, Humoristen und Heautontimorumenen damit gemeint; sondern es heißt ganz einfach: Gib einigermaßen acht auf dich selbst, nimm Notiz von dir selbst, damit du gewahr werdest, wie du zu deinesgleichen und der Welt zu stehen kommst! Hierzu bedarf es keiner psychologischen Quälereien ...“ (Goethe)
Hegel respondiert und ergänzt: „Wahre Bildung ist nicht, auf sich so sehr seine Aufmerksamkeit zu richten, sich mit sich als Individuum beschäftigen, – Eitelkeit; sondern sich vergessen, in die Sache, das Allgemeine vertiefen, – Selbstvergessenheit.“
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