Meinung

Am 13. März ist mein Freund und jahrelanger Diskussionspartner in Sachen ernst-heiterer Musikrezeption, der bildende Künstler Rudolf Jankuhn, verstorben.

Vergeblich nach Trost Ausschau haltend möchte ich etwas über seine Kunst sagen, um der aus dem Gefühl der Leere entspringenden Hilflosigkeit – ein emotionaler Notanker – nicht ganz und gar ausgeliefert zu sein.

In Rudolf Jankuhns digitalen Improvisationen über (nicht nur) Werke der Kunst ging es stets um das Eine: Die Differenz zwischen den Gefühls- und Stimmungswerten der Farben auszuloten. Und in diesem Ausloten dem Moment der Einheit im gegeneinander Abgesetzten nachzuspüren. Ins Musikalische übertragen – und es mag kein Zufall sein, dass Jankuhn der Kunstmusik von Bachs Kontrapunktik bis hin zur Dodekaphonie der Neuen Wiener Schule mehr als bloß laienhaft zugetan war – ist davon zu sprechen, dass Jankuhns Bildbearbeitungen dahin tendieren, das klar gegliederte diatonische Schema ins Chromatische aufzulösen. Will heißen, seine Bild-Farb-Reproduktionen suchen den unmerklichen Variationen und Übergängen traditioneller Farbgestaltung, die in der Musik dem Dur-Moll-System der siebenstufigen Diatonik als dem Grundbestand des Tonsystems entsprechen dürfte, per Kleinstdifferenzierung ihre verborgene Einheit – das Differential der Differenzierung – visuell zu entlocken.

 

Wer sich auf diese subtile Art den Arbeiten der Klassiker der Malerei zuwendet, hat ständig mit der Gefahr des Scheiterns zu rechnen. Wenn es richtig ist, und es wird wohl richtig sein, dass, im Unterschied zur vielleicht kalten Klassizität der schwarz-weißen Bildgestaltung die Farbgebung unabdingbar eine Gefühlswertdifferenzierung impliziert, dann mag das Scheitern immer mitgedacht sein, wenn das farblich-emotional bereits Ausgelotete um sich und mit sich selbst potenziert werden soll. Die Frage lautet: Ist der differenzierte Gefühlswert des Originals noch um eine Gefühlswertverfeinerungs-Variante tiefer auszuloten, oder ist der Weg in die – vermeintliche – Tiefe nicht eventuell vielmehr einer ins undifferenzierte Chaos?


Mit dieser Frage ist allenthalben der konfrontiert, der sich auf Jankuhns Farbdifferenzierungsversuche einzulassen beschließt. Und wird womöglich verlegen sein, diese Frage eindeutig beantworten zu können. Denn er (generisches Masculinum) steht, ob er sich dessen nun bewusst ist oder nicht, vor der Schwierigkeit, ob der emotionalen Sprache der Farbgebung – und das macht diese Art der Malerei letztlich in summa zu einer der auf sich selbst reflektierenden Subjektivität und das meint: des romantischen Valeurs – ein Spielraum eröffnet wurde, der auch ins Unverbindlich-Tumultarische abdriften kann oder faktisch bereits und unmerklich abgedriftet ist.

 

Doch wer will sich anmaßen, zu entscheiden, wo wohlabgewogene Differenzierung beginnt, und wo die Unendlichkeit chromatischer Entdifferenzierung ins nicht Geheuerliche entfesselter Subjektivität sich verliert. Wenn jede Farbnote, ihrer bis ins Allerfeinste getriebenen Übergänge zum Trotz, als eigenständige und gleichberechtigte Stufe des Farbsystems auftritt, dann ist allemal eins als möglicherweise gewährleistet unterstellt oder jedenfalls zu unterstellen: Dass die Farb-Kompositionen zu sprechen beginnen, weil und indem sie den Betrachter in das unabsehbar-weite Feld der Emotionen entführen. Wie es, und damit ist der Bezug zur wenngleich leichten Muse auch familiengeschichtlich gegeben, der am 14. Juli 1888 in Königsberg geborene und am 22. Mai 1953 in Berlin verstorbene Walter Jankuhn, der in den 1920er und 1930er Jahren zu den bekannten Operettentenören der Hauptstadt gehörte, und der väterlicherseits der Großonkel Rudolf Jankuhns gewesen ist, auf eine freilich charmant-leichtfüßige Art getan hat.


Das auch Rudolf Jankuhn eigene Charmant-Sein freilich war in seiner Leichtfüßigkeit subtil-ironisch und darin geistreich. Nicht zuletzt und vor allem das von einem steten Augenzwinkern begleitete Schweben dieses so beweglichen und immer wieder auch schalkhaften Intellekts wird mir fehlen.


Zur Person Rudolf Jankuhn

1949 In West-Berlin geboren.
1969-1971 Studium an der LMU München.
1978 Bekanntschaft mit der Schwester der Malerin Ursula Vehrigs (1893-1972), Übernahme der Nachlassbearbeitung.
1981-1986 Berlin, Studium der Kunstgeschichte.
1989 In Frankfurt a. Main, erste Ausstellungen: Galerie Blum, 1993: Holzhausenschlößchen.
1997 In Zusammenarbeit mit der Stadt Naumburg: Organisation und Durchführung einer retrospektiven Ausstellung Ursula Vehrigs.
2004 Fertigstellung und Herausgabe des Buches „Ursula Vehrigs – Ein Malerinnenleben, von der Kaiserzeit zur DDR“.
Gestorben am 13. März 2021

 

Kontinuierlich sind über die Jahre Werkhefte des Künstlers erschienen.

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