Mit der Ära des Swing hatte der Jazz in den 1940er und 50er Jahren in den USA und nachfolgend in der ganzen Welt seine populärste Zeit.
Es wurde dazu getanzt, gesungen und gefilmt. Erst durch die Beatles und den aufkommenden Rock wurde die Popularität dieser uramerikanischsten Musik durchbrochen.
Aber der Jazz selbst war ja auch schon wieder auf neuen Wegen. Nach Louis Armstrong – der eigentliche Wegbereiter des modernen Jazz, da er einen Solisten in den Mittelpunkt stellte und sich damit das Gefüge in jeder Jazzband komplett änderte, kamen Charlie „Bird“ Parker, John Coltrane oder Miles Davis oder anders gesagt: Der Bebop, der Afro- oder der Cool-Jazz lösten den Swing ab. Der Jazz entwickelte sich stetig weiter, verschmolz mit etlichen anderen Musikgenres und hat spätestens seit den 1980er Jahren sogar einen eigenen europäischen Weg eingeschlagen können. Heute ist moderne Musik ohne Jazz nicht denkbar. Und da dieser meist noch handgemacht ist, erfreut er sich allerorten eines steigenden Interesses. Zu Recht, denn kaum eine andere Musik hat eine derartige Vielfalt zwischen Rhythmus, Melodik und Harmonie zu bieten. In Deutschland kann man ein Jazzstudium in mittlerweile über 13 Städten aufnehmen, seit einigen Jahren gibt es in Bremen sogar eine erfolgreiche eigene Jazzmesse.
All dies, so scheint es, ist an Hamburg fast spurlos vorbeigegangen!
Die Hansestadt hatte durch den einstigen und umtriebigen Präsidenten der Hochschule für Musik und Theater, Hermann Rauhe, als erste deutsche Stadt Jazz als eigenen Studiengang eingeführt. Ausgebaut wurde dieser allerdings in all den Jahren wenig: Von vormalig 25 auf nunmehr 30 Studienplätze. Statistisch liegt damit Hamburg knapp vor Dinkelsbühl. Selbst Hamburger Musiker, die Jazz studieren wollen, zieht es zwangsläufig in die Ferne zu vielseitigeren Studienmöglichkeiten.
Clubs für zeitgenössischen Jazz gibt es nur in privater Initiative. So das „Birdland“ der Familie Reichert in der Gärtnerstraße und seit dem Jahr 2005 der ehrenamtlich geführte Jazzclub im Stellwerk im Harburger Bahnhof. Platzvermögen beider Clubs: 400 Plätze.
Das kulturelle Problem dieser nicht unterstützten Privatinitiativen: Es obliegt allein ihren Betreibern, ob sie weiterhin Lust, Zeit und das nötige Geld im wahrsten Sinne „übrig“ haben, um sich diesem vermeintlichen Hobby zu widmen. Kulturelle Konstanten kann man sie daher eigentlich nicht nennen.
Statistisch müssten diese Clubs eigentlich ausverkauft sein – angesichts der Größe der Stadt, seinem Speckgürtel und den rund 7 Millionen Tagestouristen, die der zweitgrößten Stadt Deutschlands erwartungsgemäß auch eine gewisse Bandbreite der Jazzmusik zurechnen. Selbst konservativste Prognosen über die Beliebtheit des Jazz in der Bevölkerung (nehmen wir mal einen pessimistischen Faktor von 1,75%) würden ein potenzielles Publikum von mehreren 10.000 Konzertbesuchern sichern. Also woran liegt es, dass die Konzerte nicht besucht werden?
Die mediale Berichterstattung über Jazz kommt in Hamburg nur am Rande vor – abgesehen von den internationalen Stars, die im Stadtpark, der Laeiszhalle oder in der Fabrik spielen und egal wo auf diesem Planeten hunderte von Zuhörern mobilisieren würden. Ein paar Terminhinweise, denen zu entnehmen ist, was die eine oder andere Band spielt. Das war´s. Wen reizt es schon, zu einem Konzert des Trios "XY" zu gehen?
Im Fernsehen kann man nächtens hin und wieder Jazzkonzerte im NDR verfolgen. Aufgezeichnet in Salzau, Leverkusen oder Köln und mit denen, von denen man auch ohne große Jazzliebe Kenntnis genommen haben kann.
Aber Hamburg? „Gibt es dort Jazz?“, fragt sich der auswärtige Besucher.
Der Nachrichtensender NDR-Info unterbricht abendlich für eine Stunde sein Nachrichtenprogramm zugunsten des Jazz. Auf dem Sender NDR-Kultur, wo man diese Musik vermutlich eher erwarten würde: Alles andere – aber sicher keinen Jazz.
Nebenher auch hier etliche Privatliebhaber mit eigenen Jazzsendungen auf Offenen Kanälen. Aber die muss man erstmal kennen, um sie hören zu können. Jazz im Radio gezielt suchen kann man also eher nicht, eher zufällig einmal stolpern.
Und wie stellt sich die Jazzszene selbst auf?
Die Jazzer selbst sind durch Jobs bei den verschiedensten Musicals oder der NDR-Bigband offenbar gut versorgt. Herausragende Projekte mit bundesweiter oder gar internationaler Reichweite? Auch hier, Fehlanzeige. Klar, Musiker wie Roger Cicero, Till Brönner, Joja Wendt, Nils Wülker, Ulita Knaus sind bekannte Namen und sie leben in Hamburg. Aber Jazz spielen und Geld verdienen tun sie woanders.
Umso erstaunlicher ist es, dass Hamburg zur Musikmetropole gemacht werden soll und allerorten regen sich die Musiker und ihre Verbände, außer dem Jazzbereich. Das einzige und jährlich gerade mal mit 60.000 Euro geförderte Hamburger Jazzbüro (Vergleiche zu Ressortetats anderer Kulturbranchen Hamburgs wie Theater, Kunst, Klassik verbieten sich. Die Summen liegen zu weit auseinander) hat seine Arbeit auf eine Internetseite mit Terminankündigungen sowie der Veranstaltung zweier kleinerer Jazzfestivals mit regionaler Ausstrahlung beschränkt. Die Dr. E. A. Langner-Stiftung vergibt jährlich Stipendien an Hamburger Jazzmusiker und hat sogar zwei Lehrstühle (Gesang/Perkussion) an der Hochschule spendiert. Noch aber wirkt es wie die berühmten Tropfen auf heiße Steine.
Kurzum, die Szene selbst lädt auch nicht grade ein, sich dieser modernen und im steten Wandel und allerorten gar im Aufwind befindlichen Musiksparte zuzuwenden.
Der viel beschworene Ruck scheint in dieser hanseatischen Szene auszubleiben. Doch es wäre schade darum, denn Jazz ist eine urbane Musik und an eine Metropole wie Hamburg stecken auch in dieser Sparte hohe Erwartungen. Es bräuchte wohl eines Leuchtturmprojektes, das viele der Defizite zugleich angeht:
- der Jazzstudiengang muss räumlich und personell erheblich nachwachsen.
- es braucht einer kommunikativen Zentrale, um Musiker, Publikum und Clubs zu einander zuführen.
- es braucht attraktiver Angebote, damit Jazzer als Jazzmusiker in Hamburg arbeiten, leben und wohnen können – quasi ein richtiges Jazzquartier.
- es braucht kleinere Jazzclubs im Osten, Westen, Süden und Norden der Stadt und obendrein einen weiteren und großen dann im Zentrum der Stadt.
- die Stadt braucht ein Festival von internationaler Bedeutung.
- und dafür braucht dieses mehr als 60.000,- €!
Es wird zwar daran gearbeitet, die Situation deutlich zu verbessern. Die Konzertreihe „Jazz in Hamburg“ mit dem Medienpartner „Hamburger Abendblatt“ sowie den namhaften Jazzclubs Fabrik, Birdland, Mandarin-Kasino, Stage-Club und Stellwerk ist ein weiterer Schritt eines längeren Prozesses zur Jazz-Normalität dieser Stadt. Aber eins muss man zum jetzigen Zeitpunkt schon noch fest stellen: „normal ist das nicht!“
Wir benötigen besonders neue Visionen, Ziele und Strukturen, um diese Sparte auf die angemessene Ebene in der Hamburgischen Kulturlandschaft zu heben. Dann könnte man sich auch der medialen Aufmerksamkeit, des Publikums und letztlich seiner Wirtschaftlichkeit gewiss sein. Denn Jazz ist populär. Nur Hamburg hat es noch nicht gemerkt!
Der Autor Heiko Langanke leitet den Jazzclub im Stellwerk in Hamburg-Harburg.
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