Musik

Der tonsetzende Einstieg ist stets unscheinbar – how simple and strong and right it is and how economical the music is – in seiner Lakonie, wie nicht allein Leonard Bernstein anlässlich seiner Analyse des ersten Satzes der 5. Sinfonie Beethovens zu berichten wusste.

Oder scheint es zu sein. Aber dieses fast lapidare Beginnen ist der Auftakt für ein Vordringen in die musikalische Tiefe und Weite, wie sich alsbald herausstellt. Aus der gedrängt-prägnanten Kürze entwickelt sich bündig-weitgefächerte, wetterleuchtende Tiefe. Wie es für Beethovens kompositorisches Schaffen charakteristisch ist.

 

„‚Alles Vortreffliche ist ebenso schwierig wie selten‘, sagt (…) der letzte Satz in Spinozas Ethik.“ (Ernst Bloch, Tübinger Einleitung in die Philosophie 2, S. 119)

 

Aus dem scheinbar kaum der Rede werten da, da, da, daaa – um das von Bernstein thematisierte bekannteste Beispiel anzuführen – wird eine thematisch variantenreiche Spannungswelt des Harmonisch-Melodischen – also in die miteinander vermittelte Vertikale des Oben und Unten und die Horizontale des weithin Fernen – ohnegleichen synthetisiert. Das nur zum Schein und auf den ersten Blick Simple als ein in Wahrheit höchst Komplexes zu verifizieren, dazu gehört zweierlei: Das Schein-Simple als höchst Vertrackt-Vielgestaltes in nuce überhaupt zu erkennen und zu notieren und exakt dieses aus seiner vermeintlichen Simplizität sich herausgestalten und entfalten zu lassen. Der wie nebenbei getätigte musikalische Einfall entpuppt sich als das thematisch hochgradig Aufgeladene und darin ungeheuer differenziert Entwicklungsfähige. That are so pregnant and so meaningfull that a whole symphonic movement can be born of them.

 

5 Sinfonie 1 Satz

Erster Takt des 1. Satzes

 

Der scheinbare Widerpart eines vermeintlich Scheiternden. Beethoven stand, bei aller von Niemandem ernsthaft angezweifelten Meisterschaft, lange Zeit in dem Ruf, keine Fugen komponieren zu können. Was für einen Komponisten seiner Zeit, also in der Nachfolge Bachs als dem anerkannten Meister der Kontrapunktik, ein unverzeihliches Armutszeugnis gewesen wäre und war. Denn die Fuge war zunächst und vor allem musikalisch grundlegendes Handwerk, musste also von jedem Tonsetzer jedenfalls dann beherrscht werden, wenn er als solcher von Seinesgleichen ernstgenommen werden wollte. Der Meister, der per se dynamischen Sonatenhauptsatzform und der mit ihr in unmittelbarem Zusammenhang stehenden Sinfonik sollte, so hieß es, vor diesem Grundlegenden der in sich beruhigten und in sich ruhenden, kristallklaren Harmonik eines mathematisch abgezirkelten Miteinanders von sich wechselweise auf Augenhöhe begleitenden (Haupt-) Stimmen die Waffen gestreckt haben. Der Kontrapunkt: Eine der Hierarchie entkleidete Polyphonie jeweils für sich selbst einstehender Themen, deren Zusammenklingen eines des aufeinander abgestimmten, stringenten Zusammenklangs ist. Worin die kompositorische Schwierigkeit beziehungsweise Herausforderung besteht, dass nämlich aus der Autonomie des per se Beziehungslosen und auf keinen Fall wie auch immer Subordinierten der Einklang des strikt Differenten resultiert oder resultieren soll. Man könnte es auch so sagen: Der subjektive Stürmer und Dränger der schier unendlichen Themenvariationen und ihrer essenziellen Dynamik sei notwendigerweise gescheitert vor der mathematisch-strengen Ruhe der abgezirkelten – nämlich der drei-bis maximal vierstimmig-einstimmenden – Fugenvielstimmigkeit.

 

Was tat Beethoven? In seinem Spätwerk komponierte er Fugen, die, ihrer teilweise überbordenden Mehrstimmigkeit wegen das Fugenverständnis seiner Zeit überstrapazierten. Die also, kurz gesagt, als misslungen galten, weil sie, ihrer eigentlichen Intention entgegen, jegliches Maß und jede vorgegebene Ordnung zu transzendieren schienen. Und dies auch wirklich taten. Und exakt dessen war sich der Meister bewusst, indem er mit einem Augenzwinkern verlauten ließ und damit diesen Einwänden den Wind aus den Segeln nahm, dass er sich einige Freiheiten erlaubt habe … Was heißt das? Das heißt zweierlei. Hier hat sich einer lustig gemacht über das Starre und Regelgläubige der epigonalen Adepten und stets unkritisch der Tradition verpflichteten Musikkritiker. Aber und darüber hinaus, er hat in seiner Art des Umgangs mit dem vorgegebenen Tonmaterial der traditionellen Fuge ganz neue Ausdrucksmöglichkeiten erschlossen, gerade indem er es erweitert, sich also ganz bewusst über das bloß Technisch-Regelhafte hinweggesetzt, es kompositorisch-künstlerisch sinnvoll variiert, vor allem jedoch intensiviert hat.

 

Am Beispiel der Großen Fuge op. 133 B-Dur mit dem Alban Berg Quartett illustriert: Eine das Herz einschnürende ungeheure Intensität, ein emotional-musikalischer Ausnahmezustand kommt über einen. Dieser wird zurückgenommen – der emotionale Kontrapunkt – in eine sich ängstlich abduckende, das Herz anrührende lyrische Zartheit. Eine tänzelnd-frohgemute Unbeschwertheit schließt sich an. Die wiederum in einen emotionalen Tumult explodiert, der, unterbrochen von einem erneut tänzerischen Intermezzo, endlich, der kontrapunktische Kreis schließt sich, im Finale in das Ausbruchsszenario des überwältigenden, alles verschlingenden Anfangs zurückgenommen wird.

 

ABQ F EMI Classics

Alban Berg Quartett. Foto © EMI Classics / Warner Classics

 

Das Unerhörte dieses in den Jahren 1825 bis 1826 entstandenen Streichquartetts besteht eben darin, dass mit einer streng abgezirkelten, quasi mathematisch-logischen Exaktheit des vierstimmigen Zusammenspiels autonomer, selbstbezüglicher, ja, man möchte sagen, solipsistisch nur mit sich selbst beschäftigter musikalischer Einzelgänger emotionale Ausnahmezustände gegensätzlichster Art erzeugt werden. Und nicht nur das! Sondern darüber hinaus und vor allem, dass aus der vierstimmigen Einsamkeit des jeweiligen Nur ich allein die harmonische Einheit, das Miteinander, das innigste Füreinander da Sein eines emotional-musikalischen Universums entsteht und entstanden ist.

 

„Es ist also nicht nur kreatürliche und so geschichtlich wenig bewegte Trägheit, was den hier einschlägigen Widerstand ausmacht, besonders gegen alle Neue, und auch nicht nur das gemeine Ressentiment Unproduktiver. Vielmehr können, selbst bei vorhandener Bereitschaft, ohne den bekannten Widerstand der stumpfen Welt, die Masten eines Schiffs, das großenteils noch unter dem Horizont liegt, vom planen Standort her schwer gesehen werden. Gewiß bietet sich dazu, für interessierte Köpfe, ein Fernglas an oder, um das ganze Schiff unter der Linie zu sehen, ein erhöhter Standort, und Genie bleibt Genie.“ (A.a.O., S. 95f.)

 

So geht und das ist eine dem Objekt genügende Form der subjektiv-objektiven Werkausführung. Das Fassungsvermögen ist eines der Aufnahmebereitschaft und -fähigkeit des Objektiv-Notwendigen und seines ihm immanenten Darüber hinaus. Eine Fuge zu machen ist keine Kunst, ich habe deren zu Dutzenden in meiner Studienzeit gemacht. Aber die Phantasie will auch ihr Recht behaupten, und heut’ zu Tage muß in die alt hergebrachte Form ein anderes, ein wirklich poetisches Element kommen. (Ludwig van Beethoven)


Beethoven, Bernstein und die Fuge

 

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- Omnibus: Bernstein and Beethoven's Fifth Symphony (CBS, 14. Nov. 1954, engl., 33:03 Min.)

- Beethoven Große Fuge B Dur Op 133, Alban Berg Quartett (15:51 Min.)

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