Musik
„Together Alone“ - das Ensemble Resonanz auf Kampnagel

Tapfer sein, die ein oder andere Träne verdrücken.
Abschied war angesagt am vergangenen Donnerstag Abend in der gut gefüllten Halle k6 auf Kampnagel, Abschied von Jean-Guihen Queyras, dem Cellisten, der in den vergangenen drei Jahren als „Artist in Residence“ das Ensemble Resonanz auf eine neue Umlaufbahn beförderte. Abschied, offiziell verkleidet als ein ganz normales Konzert, oder vielmehr: ein außerordentlich spannendes, das mit seiner Gegenüberstellung alter und neuer richtig neuer Musik einmal mehr das Grundanliegen des Ensemble Resonanz hervortreten ließ. Mit dem Titel des Programms, „Together Alone“, war durchaus subtil das Thema gesetzt, die Spannung zwischen Gemeinschaft und Individuum, zwischen Solist und Ensemble, und eben auch zwischen dem renommierten Cellisten Queyras, einem strahlenden Star des Genres und dem Ensemble Resonanz, das sich im letzten Jahrzehnt von einem Lichtstreif in der schier undurchdringlichen Biederkeit des Hamburgischen Musiklebens zu einer mittlerweile weit über die Landesgrenzen hinaus respektierten Ensemble entwickelt hat.

„Together Alone“ – das Programmheft fabuliert anschließend an Henry David Thoreau, den steuerflüchtigen Eremiten vom Walden Pond, über Einsamkeits- und Gemeinschaftsverhältnisse und projiziert das Spannungsverhältnis auf die verschiedenen Perspektiven, die ein Konzertereignis umreißen: gemeinsam einsam wie die Musiker im Ensemble oder die zufällig zusammen gekommenen Zuhörer. Einsam in der Gemeinschaft wie jeder einzelne Solist vor seinem Solo, der Komponist am Notenblatt, der Ensemblespieler beim Üben. Mag sein, dass dieser Gedanke – bewusst oder unbewusst – auch die Komponisten bewegte, deren Stücke an diesem Abend aufgeführt wurden: Carl Philipp Emanuel Bach, den berühmtesten der Söhne von Johann Sebastian Bach, die zeitgenössischen Komponisten Wolfgang Mitterer und Rebecca Sanders oder Bernd Alois Zimmermann, eines der Musikgestirne des 20. Jahrhunderts.

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Die drei Sätze von Carl Philipp Emanuel Bachs Violoncellokonzert A-Dur, Wq 172 boten jedenfalls einen passenden Einstieg in dieses Thema: Mitte des 18. Jahrhundert entstanden, zu einer Zeit, als das aufsteigende Bürgertum begann, sich als potentielles Objekt und Subjekt von Kunst neben den sakralen oder höfischen Sphären, wahrzunehmen und die Idee des Solokonzerts zu entwickeln, ist die existentielle Einsamkeit des Solisten-Individuums in diese Konzerte eingeschrieben. Und im Zusammenspiel zwischen dem Ensemble Resonanz und Jean-Guihen Queyras als Solist wird schnell deutlich, wie symbiotisch beide miteinander agieren. Ganz besonders im langsamen zweiten Satz, der manchmal jede Bewegung still zu stellen und auf ein Schimmern der Klangfarben zu reduzieren scheint, kontrastiert das reiche und ausdrucksstarke Spiel des Cellisten auf das Wirkungsvollste mit den konzentrierten Flächenmalereien des Ensembles.

Einen ganz ähnlichen Effekt erzielt ein verkleinertes Ensemble mit dem Perkussionisten Dirk Rothbrust als Solisten in „rasch“, einer „Komposition für string drumset, Streichorchester und electronics“ des Tiroler Komponisten Wolfgang Mitterer. Allerdings ist schon das „string drumset“, ein schlagzeugartiges Konstrukt aus den Körpern von Saiteninstrumenten, Kontrabass und Cello, Bratsche und Gitarre, Violine und Zither, eine solch spektakuläre Einrichtung, dass es ein wenig die Gesamtstimmung des Abends überlagert. Rothbrust jedenfalls bringt die verschiedenen Hohlkörper mit einem Sammelsurium an Klöppeln, Drumsticks und Besen zum Klingen, malt auf einem Untergrund, in dem sich die Farben der Streicher mit elektronischen Schichten mischen und hin und wieder ein pizzzicato gespielter Ton lautstark platzt, als wäre er nur eine Luftblase, sehr differenziert gezeichnete Soundlandschaften.

In „Ire“, einer Komposition der in Berlin lebenden britischen Komponistin Rebecca Saunders, rückte wieder Jean-Guihen Queyras in den Fokus. Mit umgestimmtem Cello tauchte er in Tiefen, die sonst nur einem Bass zugänglich sind, und holte garstige, kantige Klänge an die Oberfläche, die eine eigenartige Energie versprühten, Zorn, „Ire“. Das Ensemble setzte dagegen düstere Wolken in den Raum, die mit den klirrend-hellen Obertönen des Schlagwerks weit über den Bereich des Wohlklangs hinausreichten. Und in dieser Düsternis setzte Queyras’ Cellospiel immer wieder Inseln melodischer Kontemplation frei, reine, schöne, Wendungen, unprätentiös und weit jenseits der eitlen Aufregungen des konventionellen Konzertbetriebs. Dass sich das Ensemble schließlich noch das Konzert für Streichorchester von Bernd Alois Zimmermann gönnte, war nur folgerichtig. Zimmermanns frühe Komposition bietet eine Menge Gelegenheiten, noch einmal nach Herzenslaune zu schwelgen, in melodischen Motiven, die durch die Instrumentalgruppen wandern, in ihrer Weiterentwicklung, in einem flirrenden Spiel der Klangfarben. Und schließlich, im Schlusssatz in kraftvoll groovendem Ensemblespiel, das unwillkürlich an die kinetische Energie einer Rockband denken lässt. Auch ein Zeichen: das Ensemble Resonanz beendet den Konzertabend mit einem Gruß aus der Garage, von deren Bedeutung für die Musik von heute, Zimmermann noch lange nichts hatte ahnen können.

Der Rest ist Abschied: Blumen, erstickte Reden, versteckte Tränen. Jean-Guihen Queyras als Artist-in-Residence war eine Traumwahl, er hat das Ensemble Resonanz weit voran gebracht, und nun ist der Schmerz der Trennung angesagt. Im September wird die nicht minder renommierte Bratschistin Tabea Zimmermann ihre Residence im Ensemble antreten, und die Zeichen stehen gut, dass das Ensemble Resonanz auch weiterhin als der Dorn im Fleisch gegen die bräsige Biederkeit des Hamburger Klassikbetriebs anrocken wird. Wir setzen darauf.


Fotonachweis: Alle © Ensemble Resonanz
Fotos: Jann Wilken.

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