Musik

Die norwegische Violinistin Ragnhild Hemsing spielte gemeinsam mit dem Kontrabassisten Sondre Meisfjord und dem Schlagwerker Terje Isungset ein stimmungsvolles Konzert im Kleinen Saal der Elbphilharmonie.

 

Die Außertemperaturen in der Hamburger HafenCity rund um die Elbphilharmonie herum waren gefühlt weit unter 0-Grad – wie man es von einem nordischen Winter erwartet. Da ist der norwegische Winter vergleichbar, wenn auch garantiert schneereicher. Die Konzertbesucher des fast gefüllten Kleinen Saals der Elbphilharmonie kamen also schon winterlich an, viele im Norweger-Pullover oder -Jacken, und man hörte vor Beginn Geschichten aus Norwegen und Erzählungen von Nordland-Reisen, quer durch die Sitzreihen.

 

Was das Publikum dann in den nächsten 80 Minuten erwartete, war eine musikalische Reise durch den norwegischen Winter, durch die norwegische Folkmusik, tief in die musikalische Tradition der Heimatregion von Hemsing nach Valdres – zwischen Oslo und Ålesund gelegen, mit viel ursprünglicher Fjell-Hochlandschaft vor dem innen Auge.

 

Das Trio formulierte Kompositionen aus Weltmusik, Folk, Klassik und Jazz, und zwar nicht hintereinander, sondern innerhalb einzelner Stücke. Der ruhige Klang einiger traditioneller Volksweisen, die eine melancholische Stimmung verbreiteten, versetzte die Zuhörer in ein zugefrorenes Land. Terje Isungset zauberte zum Spiel der Hardangerfiedel von Hemsing und dem leichten Zupfen von Sondre Meisfjord hölzerne Klänge, knirschende Töne und windspielartige Laute.

 

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Ragnhild Hemsing umgab sich mit drei Violinen, einer Klassischen und zwei Hardangerfiedeln. Die besondere Besaitung gibt dem Instrument einen unverwechselbaren Mehrfachklang und herrliche Schwingungen. Die besonders schön verzierte Hardangerfiedel, mit weißen Einlegearbeiten und einem nordischen Drachenkopf, statt Schnecke als Schnitzerei, stammt vom norwegischen Violinisten und Komponisten Ole Bull (1810–1880), erklärt Hemsing. Der dunkle Klang des Instruments zeichnet die norwegischen Musiktradition filigran nach.

 

Manche Volksmelodien sind sehr alt. Früher wurden Melodien und vor allem Kirchenlieder immer nur mündlich von Generation zu Generation weitergegeben, aber nicht notiert. Vieles ging verloren, manches wurde immer wieder verändert. Es gab auch eine Zeit, in der in Kirchen die Hardangerfiedel nicht gespielt werden durfte, weil sie als zu weltlich, als gar teuflisch angesehen wurde.

 

Die norwegische Volksliedtradition hat nicht nur eine sehr lange Geschichte, sondern wurde Dank verschiedener Umstände bis heute bewahrt und überliefert. Dies ist vor allem dem Komponisten und Wissenschaftler Ludvig Mathias Lindeman (1812–1887) zu verdanken. Der gebürtige Trondheimer bereiste die verschiedenen Regionen und Täler Norwegens – immer auf der Suche nach Mythen und Sagen, Melodien und Versen. Er brachte eine zwölfbändige Volksliedsammlung unter dem Titel „Ældre og nyere norske Fjeldmelodier“ (dt.: Ältere und neuere norwegische Fjell-Melodien) heraus. Im Jahr 1884 kam Lindeman auch in die Region Valdres – aus der eben Ragnhild Hemsing stammt – und erfasste dort 86 Kirchenlieder und 83 weltliche Melodien. In Norwegen werden diese Volksstücke, Lieder und Tänze als „Slåtter“ (dt.: gemeinsames rhythmisches Mähen, Heuernte) bezeichnet. Es sind vor allem die Überlieferungen ihrer Heimat, aus denen sich Hemsing für ihr Programm „Vetra“ (dt.: Winter [Mehrzahl]) bedient hat.

 

 

Valdres F Finn Bjurvoll Hansen

Landschaft in der Region Valdres. Foto: Finn Bjurvoll Hansen

 

Dazu kommen ausgewählte Volksmelodien, die ihren Ursprung in Kirchenliedern aus Norwegen und Deutschland haben. Insbesondere bei den christlichen Liedern ist die Überlieferung nicht immer eindeutig. Meist war nur der gesungene Text notiert, aber nicht die Melodie. So entwickelten sich zum selben Text verschiedene Spielweisen. Dank Ludvig M. Lindeman wurden viele Weisen aufgeschrieben und festgehalten. So hörte und notierte er auf seiner Reise beispielsweise die Melodie zu „Das achte Gebot vom Sinai“ (nor.: Det ottande bud på Sinai), gespielt vom Fiddler Anders Nilsen Pelesteinsbakken aus Hedalen, dem Ur-Ur-Ur Großvater von Ragnhild Hemsing. Später entlieh Edvard Grieg (1843–1907) diese Melodie und verwendete sie in seiner Ballade g-Moll op. 24, und der ebenfalls in Valdres geborene Komponist Sigurd Islandsmoen (1881–1964) verwendete sie in seinem Chorwerk Requiem op. 42. So konnten viele Traditionen bewahrt und weiterentwickelt werden.

 

Faszinierend ist auch die Tatsache, dass Ragnhild Hemsing auf ihren vielen Reisen komponiert. Man könnte erwarten, dass sie Einflüsse aus den besuchten Regionen oder Ländern aufgreift, aber das macht sie nicht. Vielmehr nimmt sie ihre Heimat immer musikalisch mit und selbst eine Komposition, die sie in einer Spielpause in Luxemburg entwickelte, wird zu einer norwegischen Weise (Luxelått).

 

Obendrein spielte Ragnhild Hemsing für das Elbphilharmonie-Programm weitere Eigenkompositionen – drei Slåtter: „Vetrahalling“, „Bånsull“ und „Vinterstemning“. Damit reiht sie sich in die große Gruppe von Musikern und Komponisten ein, die neue Wege beschreiten und neue Horizonte eröffnen: „Für mich war dies eine spannende musikalische Reise, bei der die Melodien künstlerisch überarbeitet wurden. Diese Überarbeitung unseres unschätzbaren Erbes ist ein völlig neues Unterfangen.“

 

Ausgesprochen beeindruckend war das Maultrommelspiel von Terje Isungset. Sein rhythmisches Spiel, seine formende Klangsprache begeisterte das Publikum und so war es kein Wunder, dass die Zugabe am Ende dieses meisterhafte und durchaus schwierige Spiel noch einmal – wie ein Geschenk an das Publikum – wiederholte.


VETRA – My Norwegian Winter

Ragnhild Hemsing: Violine, Hardangerfiedel | Sondre Meisfjord: Kontrabass | Terje Isungset: Schlagwerk

Das Konzert fand am Di. 21. Januar 2025 im Kleinen Saal der Elbphilharmonie in Hamburg statt.

 

Es ist ein gleichnamiges Album erschienen, in einer anderen und erweiterten Besetzung.
Ragnhild Hemsing (Violine, Hardanger Fiddle)

Mathias Eick (Trompete)

Terje Isungset (Schlagzeug)

Ole Aastad Braten (Langeleik)

Knut Aastad Braten (Langeleik)

Frida Fredrikke Waaler Waervagen (Cello)

Nikolai Matthews (Kontrabass)

Label: Berlin Classics

Weitere Informationen (Label)

 

YouTube-Video:

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Ragnhild Hemsing - Vetra (Offizieller Albumtrailer, 4:47 Min.)

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