Geboren an einem 23. November im Jahr 1933 in Dębica, einer Stadt im Südosten Polens, wäre der außergewöhnliche Komponist Krzysztof Penderecki heute 90 Jahre alt geworden.
In seiner ereignisreichen künstlerischen Karriere hat er ein farbenreiches Werk geschaffen, das von Überzeugungen und Glauben geprägt ist.
Ich traf den polnischen Maestro Ende Januar 2017 persönlich in Weimar nach einer Probe. Zu dieser Zeit war er als Composer-in-Residence an der Staatskapelle Weimar zu Gast. Ich kam in Begleitung des Komponisten Sef Albertz. Es war noch kalt draußen, aber Penderecki und seine liebevolle Lebenspartnerin und künstlerische Assistentin Elżbieta empfingen uns mit großer Herzlichkeit.
Prachtvolle Farbigkeit
Sef Albertz bewunderte Penderecki seit Jahren, und es war nicht das erste Mal, dass sich die beiden Komponisten trafen. Bei ihren Begegnungen sprachen sie über verschiedene musikalische Themen, auch über Venezuela, Albertz‘ Geburtsland, in welchem Penderecki während seiner Laufbahn ein gern gesehener Gast war. Man erinnert sich da etwa an den Juli 1983, der Uraufführung des Bratschenkonzertes, eines seiner Schlüsselwerke. Es entstand im Auftrag der venezolanischen Regierung zum 200. Geburtsjubiläum von Simón Bolivar – des „El Libertador“, dem Befreier -, einer Ikone der Unabhängigkeit Venezuelas und ganz Lateinamerikas von der spanischen Kolonialherrschaft.
Pianistin Anna-Maria Maak mit den Komponisten Krzysztof Penderecki und Sef Albertz.
V.l.n.r.: Pianistin Anna-Maria Maak, Komponist Krzysztof Penderecki und Sef Albertz. Foto: © Florentyn Music
Das Treffen in Weimar hat eine spezielle Bedeutung, denn Sef wird Penderecki die Partitur von ‚Aria, Ciaccona & Vivace‘ überreichen, zusammen mit einer ersten Aufnahme, die ich von diesem neuen Klavierwerk gemacht habe. Der slawische Musiker ist neugierig und gespannt auf dieses Präsent, das Ergebnis einer Zusammenstellung und Bearbeitung einiger seiner früheren Werke, die sein lateinamerikanischer Komponistenkollege angefertigt hat. Dann wirft er einen ersten flüchtigen Blick auf die Noten, hält bei einigen Seiten inne und lächelt erfreut.
Der polnische Tonsetzer hat das Tasteninstrument seit Beginn seiner Karriere verwendet, wie in der ersten Sonate für Violine und Klavier von 1953 oder in dem 27-taktigen Stück ‚Misterioso‘ für Flöte und Klavier von 1954. Er schrieb auch ein Klavierkonzert, das zwischen 2001 und 2002 entstand und den Titel ‚Resurrection‘ (Auferstehung) trägt – doch Werke für Klavier Solo suchte man in seinem Oeuvre bis dato leider vergeblich.
„Ich habe Jahrzehnte damit verbracht, neue Klänge zu suchen und zu finden. Gleichzeitig habe ich mich mit Formen, Stilen und Harmonien der Vergangenheit auseinandergesetzt. Beiden Prinzipien bin ich treu geblieben…“, so drückte Penderecki sein stilistisches Credo aus.
Hörprobe
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Die Tatsache, dass Penderecki keine Werke für Soloklavier erschuf, stellte eine Lücke dar. Gleichzeitig wurde dies zu einer künstlerischen Herausforderung und so entstand die Idee, diese Lücke mit einem kompositorischen Beitrag zu füllen. Zum einen wird damit das pianistische Repertoire mit Musik dieser zentralen Figur der zeitgenössischen Musik bereichert. Gleichzeitig entsteht eine neue Perspektive auf die schöpferische Welt Pendereckis. ‚Aria, Ciaccona & Vivace‘ ist nun die einzige Soloklaviermusik in seinem Katalog. Von Anfang an gefiel ihm die Idee dieses Zyklus, der Einblicke in verschiedene Facetten seines Schaffens zulässt. Er zeigte außerdem Begeisterung für die Auswahl der Werke, welche durch ein verwandtes Fünftonmotiv einen gemeinsamen strukturellen Rahmen haben.
Das neu konzipierte dreiteilige Werk wurde Ende März 2019 von mir erstmals aufgeführt, genau ein Jahr vor dem Tod des Komponisten, und dies stellte somit die letzte Uraufführung im Leben des Tonschöpfers dar. Die Ersteinspielung des Zyklus - ein Jahr nach seinem Ableben - auf meinem Album ‚In the Secret of the World‘ erhält dadurch eine symbolische Bedeutung und ist nicht zuletzt ein Tribut an den Verdienst des polnischen Meisters, nämlich zeitgenössische Kompositionstechniken nie nur als Selbstzweck, sondern ausschließlich zur Verstärkung der dramatischen Kraft der Werke verwendet zu haben.
Rück- und Vorderseite des Albums ‚In the Secret of the World’
Es ist eindrucksvolle Klaviermusik entstanden, dem Instrument sehr angemessen umgesetzt. Sef Albertz‘ Bearbeitung bewahrt stets respektvoll den originalen Charakter der Komposition - eine Verfahrensweise, die bereits Albertz‘ Neufassungen der Ciaccona Bachs für Klavier und Orchester, Schumanns Kinderszenen für Gitarrenquartett oder Mendelssohns Lieder ohne Worte für Gitarre mit Streichern kennzeichnen.
Die Anpassung von Pendereckis Musik an das Instrument Klavier mit all seinen Möglichkeiten lässt dennoch eine Neukomposition zum Vorschein kommen, die weit über eine reine Transkription hinausgeht.
Mit freundlicher Genehmigung von SCHOTT MUSIC, Mainz – Germany
Aria entstand ursprünglich im Jahr 1963, ist als Filmmusik gedacht und eines von ‚Drei Stücke im alten Stil‘ für Streichorchester. Die Wiederholung ist nun ausgeschrieben und beinhaltet leichte Veränderungen (Oktavierungen und Ornamentierung) im Sinne einer pianistischen Anpassung. Geprägt von einer sakralen Stimmung, ausgelöst durch den langsamen, schreitenden Puls, bildet das Stück den Ausgangspunkt zu einer klanglichen Reise vom sublim-himmlischen zum irdisch-profanen.
Mit freundlicher Genehmigung von SCHOTT MUSIC, Mainz – Germany
Es folgt die Ciaccona. Der Puls der Aria wird aufgenommen, nach und nach verdichtet sich die Musik, die Spannung erhöht sich und geht ins Tänzerische über. Dieses Stück schrieb Penderecki im Jahr 2005 kurz nach dem Tod des polnischen Papstes Johannes Paul II., ist diesem gewidmet und wurde Teil des polnischen Requiems (1984, 1993, 2005) - eines bedeutenden Orchesteropus von Penderecki, welches zu großen Teilen den Helden und Opfern in der polnischen Geschichte gewidmet sind.
Die Entscheidungen bei der Bearbeitung für Klavier basieren nicht nur auf der Originalversion für Streichorchester, sondern auch auf Pendereckis eigener Bearbeitung für Violine und Cello. Die entstandene Version ist anspruchsvoll und pianistisch überzeugend. Faszinierend ist die Dichte des Satzes, die mit einer unheilvollen Vision zum Beispiel an den Charakter einer Brahms Rhapsodie erinnert. Es hinterlässt den Eindruck eines scheinbar bereits ursprünglich für Klavier komponierten Werkes.
„Ich war daran interessiert, die ausgewählten Stücke in einen dramaturgischen Kontext zu stellen. Ich wollte keine reinen Transkriptionen anfertigen, sondern sie in ‚originale‘ pianistische Werke verwandeln“ fasst Albertz seine Intentionen zusammen.
Eine bloße Übertragung wäre den Originalstücken nicht gerecht geworden, hätte den Gesamtklang verwässert. Kompositorische Zusätze wurden notwendig, die aus einem tiefen Verständnis für das Werk resultierten. Auch schöpferische Lösungen im Hinblick auf das Zielinstrument waren angezeigt.
Mit freundlicher Genehmigung von SCHOTT MUSIC, Mainz – Germany
Den letzten Teil des dreiteiligen Werkes für Klavier bildet Vivace, ursprünglich von Penderecki für Streichtrio (1990-91) komponiert und später von ihm selbst zum 2. Satz der ‚Sinfonietta Nr. 1‘ (1992) erweitert. In der Art eines Schostakowitsch Streichquartettsatzes bricht die Stimmung der Ciaconna auf in einen sarkastischen Tanz, einen mephistophelischen Walzer, der den Zuhörer in Atem hält. Auch hier ist der dichte, hochvirtuose Satz sehr praktisch pianistisch angelegt. Die dichten Akkordfolgen und polyphonen Melodieketten nutzen die ganze Bandbreite der Tastatur und gehen an die Grenzen manueller Möglichkeiten.
Am 22. März 2019 verwirklichte ich die Uraufführung von ‚Aria, Ciaccona & Vivace‘ im Rahmen der Torgauer Rathauskonzerte. Der Rezensent Georg Frackowiak schrieb danach:
„Die zahlreich erschienenen Musikfreunde erlebten im Festsaal des Rathauses ein Konzert der besonderen Art [...] Komposition, Arrangement und Wiedergabe überzeugten gleichermaßen [...] ein Abend, wie er in der Konzertreihe in dieser Form selten verwirklicht wird“ (Torgauer Zeitung, 26.03.2019).
Pianistin Anna-Maria Maak bei der Uraufführung von Pendereckis ‚Aria, Ciaccona & Vivace‘. Foto: © Florentyn Music
Immer, wenn ich das Triptychon aufführe, spüre ich diese unauslöschliche slawische Verbindung, die auch auf meine persönliche Herkunft zurückgeht. Ich kann dem Komponisten nur dankbar sein, dass er ein Werk von solch unmittelbarer Intensität geschaffen hat.
Großartige künstlerische Schöpfungen haben immer einen gemeinsamen Nenner: sie bewegen und haben eine direkte emotionale Auswirkung. So komponierte Penderecki seine ‚Lukas-Passion‘ (1965-66) als Lob auf Johann Sebastian Bach. Ebenso sah er in Beethoven stets ein großes Vorbild und erklärte: „Beethoven. Die Kraft der Menschlichkeit in der Musik“.
Die Gemeinsamkeit der Verehrung für die oben genannten universalen Meister haben dazu geführt, dass die Musik des polnischen Komponisten im Konzept meines Klavierabends ‚Beethovens Geist‘ einen besonderen Platz einnimmt.
Die Reise geht also weiter, und ich möchte damit meinen bescheidenen Beitrag zur Bewahrung eines hohen künstlerischen Ideals leisten.
Erinnerungen an meine Begegnung mit Krzysztof Penderecki und seinem Werk
Maak & Albertz - „In the Secret of the World”
(Pianist Anna-Maria Maak Plays World Premiere Recordings by Albertz & Penderecki)
Anna-Maria Maak (Klavier), Sef Albertz (Komposition & Arrangements)
Label: Florentyn Music (FM-CD 2101)
CD, Stream
EAN: 4260466394679
Das Album bei Apple Music
Weitere Informationen:
Homepage (Pianistin Anna-Maria Maak)
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