Bellini, Belcanto, Berlusconi: „Romeo und Julia“ in der Hamburger Kammeroper
- Geschrieben von Hans-Juergen Fink -
Nur 33 Jahre alt wurde Vincenzo Bellini, doch die Opern des gebürtigen Sizilianers haben Europas Operngeschichte geprägt. Aus seiner opulenten Fassung des verbitterten Streits zwischen den Capuleti und den Montecchi destillierte die Hamburger Kammeroper zum Saisonstart „Romeo und Julia“ – ein Kunststück mit fünf Sängerinnen und Sängern auf der Bühne und fünf Musikern im Orchestergraben.
Ein bisschen kribbelnde Aufbruchstimmung ist schon zu spüren in der Hamburger Kammeroper – vor der ausverkauften Premiere von Vincenzo Bellinis „Romeo und Julia“. So heißt die für fünf Sänger und eine Handvoll Musiker arrangierte, chorlose Fassung von „I Capuleti e i Montecchi“, die extra für Hamburgs kleines Opernhaus an der Max-Brauer-Allee erstellt wurde. Und die nun das einzigartige kleine Musiktheater-Juwel in eine neue Ära leiten soll. Natürlich waren die Kammeroper-Gründer Barbara und Uwe Deeken dabei, um zu sehen, was unter der neuen Intendantin Birgit Scherzer über die kleine Bühne gehen würde, die von ihnen über Jahrzehnte mit so viel Engagement gesteuert wurde.
Große Belcanto-Oper für kleines Ensemble; uraufgeführt 1830 im prächtigen Teatro La Fenice in Venedig. Gleich in der Ouvertüre bewiesen Ettore Prandi am Pult des winzigen Orchestergrabens und seine fünf Musiker – zwei Geigen, Klarinette, Horn und Kontrabass, dass sie die gewaltige Aufgabe in Höchstform meistern würden. Klar, präzis und brillant der Ensembleklang, das Solohorn warm und ohne jeden Kiekser (Tomás Figueiredo).
Kathrin Kegler hat ein klug zurückgenommenes, fast nur durch Beleuchtung sich vom Palast zur Gruft wandelndes Bühnenbild erdacht, das den Raum freigibt für die ebenso sparsame Regie von Ini Gerath, die lange am Staatstheater Wiesbaden gearbeitet hat. Sie reduziert die Geschichte, die etwas anders beginnt als bei Shakespeare, unabgelenkt klar auf ihren Kern und fokussiert so die Aufmerksamkeit auf die Musik und die Sänger. Auch ihre deutsche Textfassung konzentriert sich aufs Wesentliche. Romeo kommt als Abgesandter der Montecchi, um Frieden zwischen den verfeindeten Familien anzubieten. Was Cappelio, Oberhaupt der Capuleti, strikt ablehnt. Denn Romeo hat seinen Sohn ermordet – Cappelio bleibt unversöhnlich, Tebaldo soll den Mörder töten und die Hand von Cappelios Tochter Julia bekommen. Die steigt aus ihrem hübschen Mohnblumengärtchen und ist in Romeo verliebt, will aber gleichzeitig dem Vater gehorsam sein – das Drama nimmt seinen Lauf.
Im Angesicht des Todes erwacht der Zauber dieser Oper
Der Beginn der Geschichte wirkte bei der Premiere noch etwas hölzern, die starken Gefühle, die Bellini mit seiner Musik hervorrufen wollte, sind nicht gleich zu spüren. Erst in letzten Drittel, in der Gruft der Capuleti, in der Julia scheintot liegt und von Romeo betrauert wird, erwacht der Zauber dieser Oper. Höhepunkt ist das große Liebesduett im Schatten des Todes, das die wieder erwachte Julia mit dem sterbenden Romeo singt. Hier versteht man, warum Richard Wagner einst seufzte, es möchte „den deutschen Komponisten doch endlich einmal solche Melodien und eine solche Art, den Gesang zu behandeln, einfallen“. Eine Glanzszene für die Mezzosopranistin Feline Knabe als Romeo, die schon den ganzen Abend über eine der tragenden, überzeugend gestaltenden Stimmen war, und für die rumänische Sopranistin Luminita Andrei als Julia, die sehr sicher die Spitzentöne erklomm und kurz vor Schluss auch noch zu leiseren, sehr anrührenden Tönen fand.
Marius Adam gab mit bewährt sicherem Fundament den verhärteten, Berlusconi-bösen Clan-Chef, Helmut Höllriegl den unseligen Lorenzo, der dem verfolgten Paar mit dem Scheintod-Trick aus der Klemme helfen will, aber seinen Plan selbst mit ins Grab nimmt – er hat eine kultivierte, volle, wandlungsfähige und textverständliche Stimme. Während man Richard Neugebauer (Tenor) den Respekt vor der Partie des Tebaldo noch deutlich anmerkte.
Belcanto heißt wörtlich: schöner Gesang. Das meint bei Bellini hier weniger elegante und knackige Verzierungen wie bei Rossini, sondern vor allem ausgedehnte Melodiebögen und -linien, Kantilenen, die von großer Spannung getragen werden müssen, auch über das Ende einer Textzeile hinaus. Wie sonst soll die Musik die Herzen erschüttern? Auf diesem Feld des Spannung-Haltens darf ruhig noch nachgebessert werden, auch verführte die Premierennervosität wohl den einen und anderen dazu, sicherheitshalber nahezu durchgängig ein gesundes Forte zu setzen. Der Kontrast und Effekt wäre aber viel größer, wenn in den kommenden Vorstellungen manche Stelle ins Piano zurückgenommen würde, es muss im kleinen Saal der Kammeroper ja kein Festspielorchester übertönt werden.
Vincenzo Bellini hätte sicher erstaunt gehört, wie gut seine große Oper auch im ganz kleinen Rahmen das Publikum verzaubert. Dessen ausgiebiger Premierenbeifall und viele Bravos waren der Lohn für diesen Saisonstart. Das kleine Opernhaus ist mit beachtlichem Schwung zu seiner Reise in eine neue Zeit aufgebrochen.
„Romeo und Julia“ – Oper von Vincenzo Bellini
Nächste Vorstellungen: Mi, Fr, Sa (19:30 Uhr) und So (19:00), im Allee Theater, Max-Brauer-Allee 76. Karten im Internet unter www.alleetheater.de und unter (040) 3829 59 (Mo-Fr 10-13 und 14-18 Uhr, Sa+So 11-16 Uhr)
Abbildungsnachweis: Alle Fotos Joachim Flügel
Header und Galerie: Szenen aus "Romeo und Julia"
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