Fotografie

Mit der Kamera in der Hand kämpft die schweizerisch-brasilianischen Fotografin und Menschenrechtsaktivistin Claudia Andujar (92) seit mehr als einem halben Jahrhundert um den Schutz der Yanomami im brasilianischen Regenwald.

Unter dem vielsagenden Titel „The End oft the World“ zeigen die Deichtorhallen im Phoxxi in Hamburg nun einen Querschnitt durch ihr beeindruckendes Werk.

 

Ein Kindergesicht, halb verdeckt unter Laub und Zweigen. Tot? Oder lebendig, aufgehend in der Natur? In dem Bild „Amazon Forest“ (2002) interpretiert Claudia Andujar „die Begegnungen mit den Geistern“, wie die Yanomami sie erleben: Der Geist eines Kindes und der Geist des Regenwalds verschmelzen zu einer Einheit. Und doch ist der Tod allgegenwärtig. Seit ihrer ersten Begegnung mit den Yanomami 1971 sind rund 60 000 Aufnahmen entstanden, wunderbar intime und eindringliche Serien wie „Das Haus“ und „Der Unsichtbare“ (beide 1974-1976), aber kein Foto erfasst das drohende Sterben dieses Volkes so berührend wie diese digitale Collage aus der Serie „Yanomami Träume“.

 

Im Verständnis des indigenen Volkes ist jedes Lebewesen, jeder Baum, jede Blume, jeder Berg beseelt und die Schamanen können unter Trance die Verbindung zu den jeweiligen Geistern herstellen. Mit Überblendungen, Mehrfachbelichtungen, Unschärfen (z.B. durch einen Vaseline-Schleier auf der Linse), Farbfiltern, Infrarot, u.ä., schafft die Fotografin und langjährige Fotojournalistin visuelle Entsprechungen für diese übersinnlichen Erfahrungen, traum- und tranceähnliche Bilder von enormer Suggestionskraft, die die wichtigsten Ereignisse im sozialen Leben der Yanomami und ihrer spirituellen Welt einfangen. Und die gleichzeitig die Gefahren spiegeln, der dieses, noch weitgehend fern von zivilisatorischen Einflüssen lebende Volk im Amazonasgebiet ausgesetzt sind. Zum Beispiel die Luftaufnahme eines Yanomami-Gemeinschaftshauses mitten im Urwald. Nur ist der Wald nicht grün, sondern rot. Purpurrot. Ein gefährliches, toxisches Rot, in das man die drohende Vernichtung und die schockierende Gesundheitslage dieses Volkes hineinlesen kann.

Claudia Andujar DTH PHOXXI

Claudia Andujar: Detail aus Opiq+theri, Perimetral norte – from the Yanomami Dreams series, 2002. © Claudia Andujar. Courtesy Galeria Vermelho, São Paulo

 

Seit die Yanomami 1940 erstmals in Kontakt mit der Außenwelt kamen, leiden sie unter den Folgen. Die Ausbeutung des Amazonasgebiets durch die Militärdiktatur seit den frühen 70er Jahren, der Straßenbau und vor allem Tausende von Goldminen beschleunigten den schleichenden Völkermord. Massen illegaler Goldsucher strömten in das Gebiet, schleppten Krankheiten ein, zerstörten Dörfer und das soziale Gefüge, verseuchten Flüsse und Wälder mit Quecksilber[1].

 

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Als Claudia Andujar diese Missstände 1977 anprangert, weist sie das Militärregime aus dem Yanomami-Gebiet aus. Doch das bestärkt sie nur in ihrer Entscheidung: Sie gibt ihre künstlerische Karriere auf und widmet sich ganz der Verteidigung kultureller und territorialer Rechter ihrer Freunde. An der Seite von Davi Kopenawa, dem Sprecher der Yanomami, wird sie 1978 Mitbegründerin der CCPY, der Kommission zur Schaffung des Yanomami-Parks. Zwei Jahre später startet die CCPY eine Impfkampagne, um die Eingeborenen gegen tödliche Krankheiten wie Masern, Tuberkulose und Keuchhusten zu immunisieren, in deren Folge die Fotoserie „die Markierten“ entsteht: Da die Yanomami damals in der Regel noch keine portugiesischen Namen trugen, fotografierten die Ärzte die Geimpften mit der Nummer ihrer Krankenakte um den Hals, um die Identifizierung zu erleichtern.

 

Claudia Andujar, als Tochter einer Schweizerin und eines ungarischen Juden, greift diese Porträts auf und zieht Parallelen zwischen den nummerierten Anhängern und den tätowierten Num.

Es ist übrigens nicht selbstverständlich, dass wir diese Aufnahmen zu Gesicht bekommen. Die Yanomami lassen sich nicht gern fotografieren. Sie glauben, dass ihr Geist nach ihrem Tod „den hinteren Teil des Himmels“ nicht erreicht, wenn sie auf der Erde Spuren hinterlassen, insbesondere durch Abbildungen. Doch ihre Not ist mittlerweile so groß, dass sie Claudia Andujar gebeten haben, der Welt von ihrem Schicksal zu erzählen.


Claudia Andujar, „The End of The Word“

Zu sehen bis 11.8.2024, im Phoxxi, Deichtorhallen, Deichtorstraße 1-2, in 20095 Hamburg

Geöffnet: Di-So 11−18 Uhr. Langer Donnerstag: 11−21 Uhr (außer an Feiertagen)

Montags geschlossen

Weitere Informationen (Deichtorhallen) 

 

Ein Dokumentarfilm über Andujar kommt im April 2024 in die Kinos.

YouTube-Video:
Viktor Hois über die Ausstellung CLAUDIA ANDUJAR – THE END OF THE WORLD (4:46 Min.)

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[1] Untersuchungen der brasilianischen Bundespolizei ergaben, dass die Flüsse im Yanomami-Territorium 8600 Prozent über den zulässigen Grenzwerten hochgradig mit Quecksilber verseucht sind und dass die indigene Bevölkerung extrem mit Quecksilber belastet ist. Die Folgen sind katastrophal, insbesondere bei Kindern: Missbildung bei Ungeborenen, Erblindungen, Hirnschäden, Lungenschäden. Nach seinem Amtsantritt rief Präsident Lula da Silva 2023 den medizinischen Notstand im Yanomami-Gebiet aus. Der brasilianische Kongress jedoch genehmigte im Dezember 2023 dort wieder Bergbau in großem Stil.

 

Die Vision der Claudia Andujar

Filminhalt: Der bewegende Dokumentarfilm „Die Vision der Claudia Andujar" umfasst das Leben und Werk der renommierten Fotografin, Humanistin und Aktivistin Claudia Andujar. Seit den 1950er Jahren engagiert sie sich leidenschaftlich für die Rechte und den Schutz der indigenen Amazonas-Völker. Mit preisgekrönten Fotografien und einem lebenslangen Einsatz kämpft sie gegen das brutale Vorgehen von Goldgräbern, Milizen, Holzkonzernen, Rinderzüchtern und deren Raubbau. Heidi Specognas Film taucht in Andujars Lebensgeschichte ein, die auch von ihrer Flucht vor dem Holocaust geprägt ist und sie schließlich in ihre neue Heimat Brasilien führte. Das Filmteam besucht das heute stärker denn je bedrohte Amazonasgebiet und die dort lebenden Munduruku, deren Schutz Claudia Andujar ihr Leben gewidmet hat. Dort lernen wir eine junge Generation Indigener kennen, die mit selbstgedrehten Filmen die Öffentlichkeit über die akute Bedrohung ihres Lebensraums informieren: Ihre Reportagen berichten über die verheerenden Auswirkungen der Brandrodungen, Plünderungen und Umweltzerstörungen im Amazonasgebiet – und dokumentieren zugleich die reichhaltigen Traditionen und den einzigartigen Lebensraum ihres Volkes.

 

Deutschland, Schweiz 2024 | Dokumentarfilm | 88 Min. | Regie: Heidi Specogna

Sprache: Portugiesisch, Französisch | Fassungen: Originalfassung mit Untertiteln

Trailer ansehen

 

Preview & Premieren:

Berlin | 29.04. | fsk-Kino am Oranienplatz | Preview um 18:00 Uhr | In Anwesenheit der Regisseurin Heidi Specogna

Köln | 07.05. | Filmhaus Kino | 20:00 Uhr | In Anwesenheit der Regisseurin Heidi Specogna und Produzenten Carl-Ludwig Rettinger

Hamburg | 09.05. | Abaton-Kino | 19:30 Uhr | In Anwesenheit der Produzenten Peter Spoerri und Carl-Ludwig Rettinger

Festivaltermine:

Freiburg | 04.05. | Kommunales Kino | 19:00 Uhr | Im Rahmen des CineLatino

Reutlingen | 04.05. | Kamino | 18:00 Uhr | Im Rahmen des CineLatino

München| 04.05. | City-Kino | 20:30 Uhr | Im Rahmen des DOK.fest München und in Anwesenheit von Regisseurin Heidi Specogna

Tübingen | 05.05. | Museum-Lichtspiele | 18:00 Uhr | Im Rahmen des CineLatino

Stuttgart | 06.05. | Delphi Arthaus Kino | 20:30 Uhr | Im Rahmen des CineLatino

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