Arbeit auf einer Abwrackwerft, das ist die Hölle. Diese Hölle in Indien, Pakistan, Bangladesch und China fotografierte Tomasz Gudzowaty vor einigen Jahren für sein Buch „Keiko“, das in Erinnerung geblieben ist. Nicht reine Dokumentation war sein Ansatz, sondern eher: kunstvolle Interpretation.
Und es ist das Phänomen des Kampfes, der Herausforderung an den Körper, das den 1971 in Warschau geborenen polnischen Fotografen und Filmemacher bis heute interessiert.
Tomasz Gudzowatys neues Buch „Sumo“ beschäftigt sich wieder mit dem menschlichen Körper, mit Kraft, mit Arbeit, mit Härte, mit Männlichkeit. Doch sehen wir hier keine Arbeiter mit Hammer und Meißel schuften. Wir sehen Sumo-Ringer – beim Training, in ihrer Freizeit oder beim Kampf. Die neuen Bilder des japanischen Nationalsports sind in kargem, grobkörnigem Schwarzweiß fotografiert.
Die traditionelle Welt des japanischen Ringkampfes zeigt Tomasz Gudzowaty in seinem neuen Buch „Sumo“. Dabei erinnert er in seinem fotografischen Stil an die Provoke-Ära – an die rebellische japanische Fotografie der 1960er Jahre…
„Are, Bure, Boke“
Die Unschärfe, der markante Schwarzweißkontrast, das sind die hervorstechenden Mittel der neuen Serie: das „Are, Bure, Boke“ (die drei mit lateinischen Buchstaben versehenen japanischen Begriffe kann man als „rau-verschwommen-unscharf“ übersetzen), das in den 1960er Jahren eine neue Bildwelt in Japan prägte. Maßgeblich durch die japanische Avantgarde-Zeitschrift „Provoke“ vermittelt, entwickelte sich im Tokio der späten 60er Jahre eine rebellische, radikale und subjektive Bildsprache, an die Tomasz Gudzowaty nun erneut anknüpft. „Sumo ist eine Hommage an die Gründer von Provoke“, so der Künstler. Wir sehen eine körnige Materialität, unscharfe Konturen, krasse Kontraste – Bildmotive, die aus dem Fokus geraten sind und an Provoke-Künstler wie Takuma Nakahira, Yutaka Takanashi oder Daidō Moriyama erinnern.
Gudzowaty will eine visuelle Sprache jenseits der reinen Dokumentation schaffen – mit Bildern, die auch ein ästhetischer Genuss sind. Die Kontraste, die Schatten, das Dunkel, das Hell, die Unschärfe: Es ist die Metaphysik des Sumo, die ihn interessiert. Denn der traditionelle Ringkampf, der in das 7. Jahrhundert zurückreicht (andere Forscher sprechen davon, er wäre beinahe 2000 Jahre alt), hat einen zeremoniell-religiösen Hintergrund: Er ist ohne den Einfluss der Shintō-Religion nicht denkbar.
Göttliches Gleichgewicht
Eine Begegnung ist dann entschieden, wenn ein Kämpfer innerhalb des erhöhten Rings den Boden anders berührt als mit seinen Fußsohlen oder außerhalb dessen tritt oder ihn berührt. So wird gekämpft. Aber Gudzowaty zeigt nicht nur die Szenen des Kampfes, sondern auch Bilder aus den Sumo-Schulen, in denen die Sumotori (Ringer) ausgebildet werden, trainieren und leben. Es ist ein Leben, das im Alter von etwa 15 Jahren beginnt und zwischen dem 30. und 40. Lebensjahr endet, wenn der Ringer sich zur Ruhe setzt: ein Leben, bei dem es auch fast immer darum geht, ein hohes Körpergewicht zu erreichen, das sich mit Schnellkraft und Gewandtheit paaren soll.
Das Wissen darüber wird von Generation zu Generation weitergegeben – die Meister-Schüler-Beziehung ist von entscheidender Bedeutung. Die Kämpfe dauern oft nur wenige Sekunden – dann verliert einer der Kolosse das „göttliche“ Gleichgewicht. Eine Legende besagt, dass Japan dem Sumo seine Existenz verdankt. Das alles steckt hinter diesen Bildern. „Im Sumo ist der Weg klar: Training, klare Hierarchie, totale Hingabe. Es ist hart, aber gleichzeitig sprechen die Kämpfer alle von einem Gefühl der Zugehörigkeit. Ich glaube, das ist es, was die Menschen vermissen. Ich glaube, dass Tradition ein Heilmittel für viele der Krankheiten ist, die uns heute heimsuchen“, so Tomasz Gudzowaty.
„Gefühl, ein flüchtiger Eindruck, der sich in Kontemplation verwandelt. So sehe und fühle ich die Geschichte des Sumo“, schreibt Gudzowaty im Buch. „Die Sumokrieger akzeptieren meine Anwesenheit, sie sind stolz auf ihr Leben, sie zeigen sich mir und laden mich in ihre hermetische Welt ein. Sie sind nicht anonym. Sie erzählen mir ihre Geschichten. Sie haben Wurzeln, Traditionen, Orte, Werte und Identitäten.“
„Für mich ist Sumo kein Sport, sondern ein Kampf: voll von Gewalt und Dynamik, aber gleichzeitig von Regeln bestimmt … ein Kampf gegen die Schwächen des Körpers, ein Kampf gegen die Schwächen der Seele und letztlich ein Kampf für die Bewahrung der Tradition, ein Kampf zu Ehren unserer Vorfahren … In Sumo rasen die Fotos, aber sie verblassen auch, als würden sie verschwinden … Es ist ein Versuch, den Betrachter zu zwingen, die Fotos nicht einzeln zu analysieren, sondern dem Geist freien Lauf zu lassen. Dann treten die Details zurück, aber ein starker, unleugbarer Eindruck, eine Art Unruhe bleibt.“
Tomasz Gudzowaty: Sumo
Hatje Cantz, Berlin 2023.
431 Seiten, 300 Abb. (Englisch)
ISBN 978-3-7757-5195-7
Weitere Informationen (Verlag)
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