Film
„Die Karte meiner Träume” Wenn der Tod die Kindheit zerstört

Eine betörende melancholische Fabel, manche Kritiker aber empfinden ihre Poesie als puren Kitsch.
2001 verzaubert Jean-Pierre Jeunet das Publikum mit „Die fabelhafte Welt der Amélie”. Jetzt hat der französische Kult-Regisseur den gleichnamigen Bestseller von Reif Larsen als skurriles wie hintergründiges Roadmovie inszeniert. Atemberaubende Bilder, magische 3D Technik und ein kurioser Protagonist, den der 60jährige Filmemacher zu seinem Alter Ego auserkoren hat: T.S. Spivet (Kyle Catlett) ist ein genialer Erfinder, Kartograph und zehn Jahre alt.

 
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The Unknown Known

Erschreckend wie faszinierend: Errol Morris’ biographischer Dokumentarfilm über den früheren amerikanischen Verteidigungsminister Donald Rumsfeld.
Hat der Irak Massenvernichtungswaffen? Das war 2002 die alles entscheidende Frage. Noch heute ist der 81jährige ehemalige Politiker der Bush-Ära ein Meister der Verneblungstaktik. Seine Philosophie entlarvt sich auf der Leinwand schon bald als schier unerträgliche pseudointellektuelle Wortakrobatik. Doch jene rhetorischen Ablenkungsmanöver machten Geschichte und sind Kernpunkt des Interviews.

 
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“Violette” – Hungrig nach Liebe

Ihre Poesie war wie ein Aufschrei.
Albert Camus, Jean-Paul Sartre, Simone de Beauvoir, Jean Genet, sie alle bewunderten den Mut, die Kompromisslosigkeit, das schriftstellerische Talent von Violette Leduc. Regisseur Martin Provost inszeniert das Porträt der radikalen Außenseiterin als eine Chronik von Hingabe und Verzweiflung. „Ist eine Frau hässlich, kommt das einer Todsünde gleich. Ist man schön, dreht man sich nach Dir um, weil Du schön bist. Ist man hässlich, dreht man sich nach Dir um, weil du so hässlich bist.” Worte voller Bitterkeit. Verkannt, gedemütigt, ungeliebt, so fühlt sich Violette (Emmanuelle Devos) seit frühster Kindheit. 1907 in Arras, Nordfrankreich geboren als uneheliches Kind eines Dienstmädchens, der Vater aus wohlhabender Familie erkennt seine Tochter nicht an.

 
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Die unerschütterliche Liebe der Suzanne

Ein ergreifendes Drama: kompromisslos, fesselnd, von seltsam fragiler Schönheit genau wie seine Protagonistin.
25 Jahre Familienleben inszeniert Katell Quillévéré als ungewöhnlichen Mix aus realistischer Chronik und romantischer Fiktion. Ein verstörender Film extremer Gegensätze, lakonisch, doch wenig später schon erbarmungslos emotional, abgründig ohne jeden Pathos, vor allem virtuos erzählt. Ein Puzzle voller Lücken: Unerwartet in fremde Schicksale verstrickt, sieht sich der Zuschauer immer wieder gezwungen, die Handlung weiterzuspinnen, Jahre zu überbrücken, Zusammenhänge zwischen den einzelnen Episoden selber herzustellen.

 
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Boyhood

Chronik einer Kindheit oder der Zauber des Alltäglichen.
2002 begann der texanische Regisseur Richard Linklater mit seinem waghalsig genialen Filmprojekt. Bis 2013 drehte er jedes Jahr an drei oder vier Tagen das fiktive Porträt eines Jungen namens Mason (Ellar Coltrane) vom ersten Schuljahr bis zum Eintritt ins College. Die Rolle des Vaters, Mason Senior, übernahm Ethan Hawke, Patricia Arquette spielt Olivia, eine ambitionierte Mutter, Lorelei Linklater die anfangs noch etwas intrigante Tochter Samantha. Eine Familiengeschichte eigentlich wie viele andere: Streitigkeiten, zerbrechende Ehen, Umzüge, fremde Umgebung, neue Jobs, neue Freunde, neue Väter (ziemliche scheußliche), enttäuschte Hoffnungen, der erste Joint, die erste große Liebe, Angst, Staunen und viele, viele Gespräche.

 
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Die zwei Gesichter des Januars

Gewalt als Leidenschaft im Griechenland der Sechziger Jahre. Ein elegant elegischer Psychothriller von verstörender Schönheit. Grandios: Viggo Mortensen und Oscar Isaac.
„Ein Buch kann einen oder vielleicht sogar zwei Neurotiker verkraften, aber nicht drei, noch dazu wenn es die Hauptpersonen sind,” mit diesem schnippischen Kommentar begründete 1962 der Verlag Harper & Row seine Entscheidung “Die zwei Gesichter des Januars” von Patricia Highsmith nicht zu veröffentlichen. Es wurde das meist abgelehnte Manuskript in der Karriere der amerikanischen Bestsellerautorin doch am Ende trotzdem ein großer Erfolg. Die Schriftstellerin gab später selbst zu, die erste Version sei „völlig verkorkst” gewesen. Nun hat Hossein Amini den Roman ästhetisch virtuos als poetisch doppelbödigen Noir inszeniert.

 
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„Enemy” – Im Zeichen der Spinne

Ein rätselhafter surrealer Erotikthriller nach dem Roman “Der Doppelgänger” des portugiesischen Schriftstellers und Nobelpreisträgers José Saramago.
Regisseur Denis Villeneuve inszeniert das klaustrophobisch absurde Verwirrspiel als Spurensuche nach dem eigenen Ich und finstre Parabel auf die heutige Gesellschaft. Eine Herausforderung für Zuschauer wie auch Hauptdarsteller Jake Gyllenhaal.

 
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Watermark

Zivilisation contra Natur. Es dreht sich alles um das Element Wasser, wie der Mensch damit umgeht.
Entstanden ist eine der faszinierendsten Dokumentationen unserer Zeit. Jennifer Baichwal und Edward Burtynsky nehmen den Zuschauer mit auf eine Reise rund um den Globus in zehn verschiedene Länder: 199 Stunden Rohmaterial, 29 verschiedenen Medienformate, 20 Orte und deren Schicksale sind ästhetisch virtuos miteinander verflochten. Von Hubschraubern aus gefilmt werden gigantische Staudämme, ausgetrocknete Flussadern, künstlich bewässerte Farmen zu abstrakten atemberaubenden Gemälden.

 
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Nächster Halt: Fruitvale Station

Oscar Grant war 22 Jahre alt, Afroamerikaner, unbewaffnet. Er lag mit dem Gesicht nach unten auf dem Bahnsteig.
Zwei weiße Polizisten über ihm, einer zog seinen Revolver und erschoss ihn. Fahrgäste filmten den Tathergang mit ihren Handys. Regisseur Ryan Coogler schildert in seiner Dokufiktion die letzten 24 Stunden aus dem Leben des Opfers. Ein erschütterndes Zeugnis von Rassismus und Gewalt.

 
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20 Feet From Stardom

Millionen kennen ihre Stimmen, kaum jemand ihre Namen: Die Background-Sängerinnen von Stars wie Bruce Springsteen, den Rolling Stones, Sting und Stevie Wonder haben den Stil der Popmusik aber maßgeblich geprägt.
Dokumentarfilmer Morgan Neville holt sie aus dem Schatten ins Rampenlicht, lässt seine Protagonistinnen erzählen über ihre Sehnsüchte, Abenteuer, Erfolge, Enttäuschungen. Vor allem über ihre Hingabe zur Musik. Dafür gab es zu Recht einen Oscar.

Von Background-Sängerinnen, heißt es, werden drei Dinge erwartet: Dass sie für einen guten Sound sorgen, keine großen Ansprüche stellen und nach der Show schnell verschwinden. Ob „Gimme Shelter” oder „Sweet Home Alabama”, die afroamerikanischen Mädchen gaben ab den Sechziger Jahren Songs jenen unverwechselbaren Klang, Power und Sinnlichkeit, nach dem britische Musiker wie David Bowie gierten. Was für Talente, umwerfend, jede dieser Frauen.

 
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Yves Saint Laurent

Seine visionären Kreationen verzauberten Generationen, er selbst wurde zur Legende, das Label YSL ein Welterfolg. Regisseur Jalil Lespert erzählt von der ungewöhnlichen Liebe zwischen dem genialen, fragilen Modeschöpfer und dem französischen Unternehmer Pierre Bergé.
Ein einfühlsamer, kompromissloser, vor allem wunderschöner Film, aber genau deshalb fielen einige der Kritiken recht harsch aus. Es mangle an Substanz, hieß es, doch das stimmt so nicht.

 
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Victoria Trauttmansdorff

Endlich mal keine neurotische Frau, dafür eine mit viel Herz und Humor: Victoria Trauttmansdorff brilliert in „Stiller Sommer“ als selbstbewusste Aussteigerin Barbara in Südfrankreich.
 
Der Film von Nana Neul, der nun in die KInos kommt, birgt viele Themen, die aus dem Leben gegriffen sind. Über ihre Rolle in dem Film, über das noch Begehrt-Sein mit über 50, über die wahren Lebenserfahrungen und die gewonnenen Freiheiten im Spiel sprach Victoria Trautmannsdorff mit Isabelle Hofmann.

 
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Die Poetin - Über die Kunst des Verlierens

Eine verstörende Liebesgeschichte, leidenschaftlich, aber voller Widersprüche wie die Protagonistin selbst.
Große Gefühle vor exotischer Kulisse oft fast spröde inszeniert. Regisseur Bruno Barreto verzichtet bewusst auf herzzerreißende Melodramatik, es geht ihm um die Lyrik der amerikanischen Dichterin und Pulitzer Preisträgerin Elizabeth Bishop, sie soll den Stil des Films bestimmen.

New York 1951, die vierzigjährige Elizabeth (Miranda Otto) steckt mitten in einer kreativen Krise. Auf Anraten ihres Mentors Robert Lowell (Treat Williams) entschließt sie sich zu einer Reise durch Brasilien. Erster Zwischenstopp: das prächtige Anwesen von Lota de Macedo Soares (Glória Pires), die mit Mary (Tracy Middendorf) einer alten Studienfreundin von Elizabeth zusammenlebt. Die Künstlerin zeigt sich anfangs, vielleicht aus Unsicherheit, von ihrer abscheulichsten Seite: unnahbar, spießig, engstirnig, überheblich.

 
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Snowpiercer

Atemberaubend, erbarmungslos, poetisch, aber nicht ohne Ironie.
Bong Joon-Ho sprengt alle Genres mit seiner düstren bildgewaltigen Allegorie auf die heutige Gesellschaft. Überzeugend: Chris Evans und Song Kang-Ho als Rebellen wider Willen.
 
Durch das unendliche Weiß eines ewigen Winters rollt ein Zug über den vereisten Planeten ohne jemals anzuhalten. Er ist die letzte Zuflucht der Menschheit. Vor siebzehn Jahren hatten die Regierungen von 79 Staaten beschlossen zur Abwendung der globalen Erwärmung eine chemische Substanz in die Erdatmosphäre zu leiten um die Temperaturen zu senken. Das Experiment misslingt, es kommt zu einer neuen Eiszeit, alles Leben wird ausgelöscht.