Film
Die Poetin - Über die Kunst des Verlierens

Eine verstörende Liebesgeschichte, leidenschaftlich, aber voller Widersprüche wie die Protagonistin selbst.
Große Gefühle vor exotischer Kulisse oft fast spröde inszeniert. Regisseur Bruno Barreto verzichtet bewusst auf herzzerreißende Melodramatik, es geht ihm um die Lyrik der amerikanischen Dichterin und Pulitzer Preisträgerin Elizabeth Bishop, sie soll den Stil des Films bestimmen.

New York 1951, die vierzigjährige Elizabeth (Miranda Otto) steckt mitten in einer kreativen Krise. Auf Anraten ihres Mentors Robert Lowell (Treat Williams) entschließt sie sich zu einer Reise durch Brasilien. Erster Zwischenstopp: das prächtige Anwesen von Lota de Macedo Soares (Glória Pires), die mit Mary (Tracy Middendorf) einer alten Studienfreundin von Elizabeth zusammenlebt. Die Künstlerin zeigt sich anfangs, vielleicht aus Unsicherheit, von ihrer abscheulichsten Seite: unnahbar, spießig, engstirnig, überheblich.

Lota hält sie für unausstehlich, verliebt sich aber schon wenig später unsterblich in die Dichterin, macht ihr den Hof, umwirbt sie nach allen Regeln der Kunst. Die zwei Frauen könnten nicht gegensätzlicher sein: Lota, die berühmte Architektin, kommt aus einer reichen adligen Politikerfamilie. Dominant, faszinierend, selbstbewusst, scheinbar übersprudelnd vor Lebensfreude, Energie und Ideen, sie macht aus ihren Gefühlen nie ein Geheimnis. Elizabeth, die fragile, von Selbstzweifeln gequälte Poetin, diskret, verschlossen, selbst in ihren Gedichten offenbart sie, wenn irgend möglich nur wenig von sich selbst. Sie ist keine, die sich leicht verzaubern oder beeindrucken lässt. Doch die Liebe der beiden wird 15 Jahren dauern und die kreativste Zeit ihres Lebens.

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Mary fühlt sich betrogen, verraten, will zurück nach Amerika. Aber Lota lässt sie nicht gehen, die ambitionierte Städteplanerin ist nicht gewohnt auf irgendwas oder irgendwen zu verzichten. Sie arrangiert, erkauft die Adoption eines Babys für die ehemalige Geliebte, die sich sehnlichst ein Kind wünscht. Und damit ist ihrer Ansicht nach das Problem gelöst, Mary getröstet. Für Elizabeth baut sie ein riesiges atemberaubendes lichtdurchflutetes Studio. Verblüfft konstatiert die Dichterin: “Du sprengst einen Berg in die Luft, nur damit ich eine bessere Aussicht habe.” Lota: “Das ist das Mindeste, was ich tun konnte”. Elizabeth geht in ihrer Arbeit auf und auch aus sich heraus, wird selbstbewusster, freier.  Sie liebt Brasilien, die Menschen, die Natur, empfindet das Land als zweite Heimat. 1956 gewinnt sie den Pulitzerpreis. Doch es ist nie eine Zeit wirklich ungetrübten Glücks, für keine der drei Frauen. Lotas Ehrgeiz kennte keine Grenzen, sie erwartet von allen, dass sie sich ihrem und nur ihrem Willen unterordnen. Als Carlos Lacerda (Marcello Airoldi) Gouverneur von Rio wird, überträgt er Lota die Planung und Gestaltung des legendären Flamengo Parks, das Projekt beansprucht sie ganz. Elizabeth klagt, hadert, tobt, fühlt sich vernachlässigt, allein gelassen. Sie trinkt jeden Tag mehr, zerstört zusehends sich und die Beziehung.

Verlust prägt das Leben von Elizabeth Bishop von klein auf an. Ihr Vater stirbt noch vor ihrem ersten Geburtstag, die Mutter wird nach mehreren Nervenzusammenbrüchen in ein Sanatorium eingeliefert, bleibt dort bis zu ihrem Tod. Von ihrem dritten bis sechsten Lebensjahr lebt das Mädchen bei den kanadischen Großeltern mütterlicherseits in Great Village, Neuschottland, die sie liebevoll umsorgen. Gegen ihren Willen muss sie die Zeit danach bei der Familie ihres Vaters in Worcester und Boston verbringen. Im Film avanciert ihr Gedicht „The Art of Losing” zum Leitmotiv und Thema des Film. Das Glück etwas zu erreichen, zu besitzen, zu fühlen, birgt gleichermaßen den Schmerz des Verlustes schon in sich. Hier verliert jeder: Mary ihre langjährige Partnerin, die leibliche Mutter des gekauften Babys eins ihrer Kinder, Carlos seine politische Macht, Elizabeth die Zuwendung ihrer Geliebten. Im Gedicht heißt es: „Die Kunst des Verlierens studiert man täglich. So vieles scheint bloß geschaffen, um verloren zu gehen und so ist sein Verlust nicht unerträglich.” Film wie Realität widersprechen oft genug der letzten Zeile, und die Dichtern war sich dessen auch schmerzhaft bewusst, als sie sie schrieb. Doch wo beginnt der Zustand, der sich als unerträglich definiert? Die Poetin flieht in den Alkohol, Lota versucht mit allen Mitteln sie vom Trinken abzuhalten. Vergeblich. Elizabeth gesteht später, sie ertränke nicht ihre Depressionen im Alkohol, sondern würde am liebsten ständig trinken. Die Tragik des Schicksals sei dafür nur ein Vorwand. Sie kehrt nach Amerika zurück und nimmt eine Lehrtätigkeit an der Universität an. Der Militärputsch in Brasilien hat das Leben der Akteure für immer verändert. „Lerne zu verlieren, Tag für Tag,” lautet die Maxime des Poems. Elizabeth findet die Kraft für neue Beziehungen, neue Aufgaben im Gegensatz zu der einst so starken stolzen, fordernden Lota. Die gefeierte Architektin, vom Schicksal verwöhnt, zerbricht nun daran. Am Ende ist sie es, die verlassen wird, Opfer von politischen Intrigen, Betrug , Rache und Verrat. Man unterschlägt ihr die Briefe der Geliebten, die Psychiatrie der Sechziger Jahre erinnert an Isolationshaft. Lota trifft noch einmal Elizabeth in den USA, muss erkennen, sie unwiderruflich verloren zu haben und begeht Selbstmord.

„Die Poetin” ist weniger Künstlerporträt als Chronik einer Beziehung, Reflektion über die Grenzen der Liebe. Wer sie akzeptiert, wird überleben, wer nicht, den wird der Schmerz zerstören. „Gefangen in der verkehrten Welt”, heißt es bei Elizabeth Bishop: „wo links als rechts erscheint. Wo die Schatten Körper sind, und diese des Nachts schlaflos bleiben. Wo die Himmel flach sind, und die Ozeane so seicht... Wo Du mich liebst”. Kameramann Mauro Pinheiro verschreibt sich ganz der melancholischen Ästhetik von Edward Hopper, Einsamkeit und Distanz trotz räumlicher Nähe. „A Arte de Perder”, („Über die Kunst des Verlierens”) ist der Originaltitel des brasilianischen Films nach der Bestsellerbiographie „Floras Raras e Banalissimas”(1995) von Carmen L.Oliviera. Elizabeth Bishop sah sich nie als lesbische Künstlerin noch als „female poet”, für sie zählt der Text, nicht das Geschlecht des Autors. Miranda Otto („Krieg der Welten” ) gibt der Dichterin jenen ihr typischen schüchtern aggressiven Charme, den Widerspruch zwischen Zerbrechlichkeit und Durchsetzungskraft, Unnahbarkeit und Leidenschaft. Unwiderstehlich: Glória Pires als Lota, eine Naturgewalt, die jeden verzaubert, sie hat in den Bergen unweit von Rio ihre eigene Welt geschaffen, ein Paradies, doch die Unschuld ist längst verloren, die Ménàge-a-trois plus Kind kann nicht funktionieren. Aber Architektin und Dichterin verbindet die Magie der Sprache, der Symbole. „Die Sternschnuppen in Deinem schwarzen Haar, in glitzernden Formen sammeln sich da,” mit Hingabe wäscht Elizabeth das schwere dunkle Haar Lotas und jene ungewöhnlichen Scheinwerfer im Flamengo Park werden immer an den Mond erinnern als Hommage der Architektin an ihre Geliebte. Lota de Macedo Soares und Elizabeth Bishop sind in Brasilien das Liebespaar par excellence, Idol, Ikone, Teil der Kultur.

Bruno Barreto („Vier Tage im September”) inszeniert den Ausbruch der Leidenschaften als eine Reihe von Momentaufnahmen, eine Archäologie des Scheiterns. Er erzählt von brasilianischer Geschichte und einer amerikanischen Künstlerin, die schon wütend wurde, wenn sie in einem Kunstband ein Foto von sich entdeckte und es herausriss: „Ich ertrage meinen Anblick nicht”. Dieser Film müsste für sie ein Alptraum sein, für ihr Werk grade in Deutschland aber die Möglichkeit endlich ein breiteres Publikum zu erreichen. Ein Oeuvre, das kaum mehr als 120 Gedichte umfasst. „Ich bewundere Verdichtung, Leichtigkeit und Geschick, die alle selten sind in dieser losen Welt,” schreibt sie, eigentlich genau die Qualitäten ihrer Lyrik. 1976 bekam sie für ihren letzten Gedichtband „Geography III” als erste und bislang einzige Amerikanerin den Neustadt International Prize of Literature. Die Mehrzahl ihrer Erzählungen und Gedichte veröffentlichte Bishop im ‘New Yorker’ und ‘Partisan Review’. Das eigene persönliche Unglück, seelische Konflikte in der Kunst zu thematisieren wie die Vertreter der „confessional poetry” widerstrebte ihr zutiefst.

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Originaltitel: Flores Raras
Regie: Bruno Barreto
Darsteller: Miranda Otto, Glória Pires, Tracy Middendorf
Produktionsland: Brasilien, 2012. Länge: 120 Min.
Verleih: Pandastorm Pictures
Kinostart: 10. April 2014

Fotos & Video: Copyright Pandastorm Pictures GmbH

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