Endlich mal keine neurotische Frau, dafür eine mit viel Herz und Humor: Victoria Trauttmansdorff brilliert in „Stiller Sommer“ als selbstbewusste Aussteigerin Barbara in Südfrankreich.
Der Film von Nana Neul, der nun in die KInos kommt, birgt viele Themen, die aus dem Leben gegriffen sind. Über ihre Rolle in dem Film, über das noch Begehrt-Sein mit über 50, über die wahren Lebenserfahrungen und die gewonnenen Freiheiten im Spiel sprach Victoria Trautmannsdorff mit Isabelle Hofmann.
Isabelle Hofmann (IH): „Stiller Sommer“ ist ein hinreißender Frauenfilm, insbesondere für die Generation „50 plus“: Kunsthistorikerin Kristine verliert nach einem Ehekrach die Stimme, reist ins Haus an die Ardèche und beginnt eine Affäre mit dem Freund ihrer Tochter. Wie finden Sie das?
Victoria Trauttmansdorff (VT): Ich finde toll, was für einen Spaß Kristine am Leben entwickelt. Das Gefühl, begehrt zu werden, ist doch einfach eines der schönsten. Obwohl ich es ihrer Tochter Anna gegenüber wirklich irre gemein finde! Extrem unverschämt! Sie geht ja über jede Grenze hinweg.
IH: Erstaunlich, dass die Tochter so gelassen reagiert.
VT: Das finde ich auch. Meine Töchter würden ausflippen!
IH: Als reife Mittfünfzigerin plötzlich von einem jungen schönen Mann begehrt zu werden, ist doch eigentlich der Traum jeder Frau. Beneidenswert, oder?
VT: Herrlich! Wahnsinn! Ich glaube, dass setzt unfassbar viel Energie und Lebensfreude frei. Deshalb verurteile ich Kristine auch nicht. Ich kann sie so gut verstehen! Ich finde es auch mutig, sich mit so einem jungen Mann einzulassen. Toll, dass sie es schafft, nicht darüber nachzudenken, ob sie zu alt ist für ihn. Ich glaube, ich hätte da Hemmungen. In dem Moment, wo ich berührt werden würde von einem Mann, der so viel jünger und so viel knackiger ist, würde ich wahrscheinlich denken….,oh Gott…..
IH: Was findet der bloß an meinem welken Fleisch?
VT: Ja, genau, das würde ich denken! Aber das Tolle an Sexualität ist ja, dass alles im Endeffekt keine Rolle spielt. Erotik hat ja nichts mit durchtrainierten Oberarmen zu tun. Zumindest nicht nur. Das findet ja alles hier oben, im Kopf statt.
IH: Sie spielen Kristines Aussteiger-Freundin Barbara, die gleich zu Anfang lakonisch feststellt, „die Wahrscheinlichkeit nochmal Sex zu haben, sinkt von Tag zu Tag“.
VT: Das stimmt. Ab Mitte 50 ist es für eine alleinstehende Frau sehr, sehr schwer, einen Mann zu finden. Wo lernt man jemanden kennen? Internet und Swinger-Partys will man ja nicht unbedingt. Deshalb fahren die Frauen ja auch nach Kenia und andere Länder und kaufen sich dort Sex. Das ist ja das Thema im Moment! Da haben die Frauen ihre Sexualität mal entdecken dürfen und hatten Spaß und plötzlich ist einfach keiner mehr da, der es mit ihnen macht. Das ist schon brutal.
IH: Wäre bezahlte Liebe für Sie eine Option, wenn Sie allein wären?
VT: Nein, nie. Dazu bin ich viel zu prüde. Käufliche Sexualität ist für mich, zumindest bis jetzt, komplett undenkbar. Ich weiß nicht, ob das an meiner Erziehung liegt oder einfach Veranlagung ist.
IH: Barbara ist eine fröhliche, sympathische, unabhängige Frau, ohne irgendwelche Macken. Das ist mal eine ganz neue Rolle für Sie, oder?
VT: Ja, das hat mir so richtig Spaß gemacht. Barbara entspricht vielmehr meinem Charakter, denn ich bin überhaupt nicht so hysterisch und neurotisch, wie die Frauen, die ich so oft spiele.
IH: Stimmt. Aber seit Sie als prügelnde Polizisten-Gattin in dem Ehedrama „Gegenüber“ 2007 Furore machten, erscheinen Sie in Film und Fernsehen immer wieder als aggressive, frustrierte, leidende oder verzweifelt um Liebe buhlende Ehefrau.
VT: Ja, ich wurde sogar schon mal gefragt, ob ich mir die Rollen danach aussuche, wie unsympathisch sie sind. Schrecklich, wie schnell man in so ein Klischee reinrutschen kann.
IH: Wie war eigentlich die Erfahrung, auf ihren Kollegen Matthias Brandt einzuschlagen?
VT: Ich empfand es als extrem unangenehm. Das Schlagen ist für mich viel schwieriger, als geschlagen zu werden. Man muss sein ganzes Aggressionspotential hervorholen. Ich fühlte mich richtig nackt.
IH: Sie haben einmal selbst gesagt, es muss an Ihrer Ausstrahlung liegen, dass Sie immer die Frauen mit Knacks spielen.
VT: Ja, ich wirke auf die Leute abgründig versponnen, ein bisschen verrückt. Dabei bin ich persönlich gar kein angespannter Mensch. Ich bin nicht pingelig und überhaupt nicht ordentlich. Ich empfinde mich vielmehr als lustig und bodenständig. Deshalb bin ich auch richtig froh, dass man mich endlich mal entsprechend besetzt hat. Früher wollte ich immer Heldinnen wie die Luise aus Schillers „Kabale und Liebe“ spielen, aber das hat nie geklappt. Mir fehlt wohl die klare Ausstrahlung.
IH: Woher kommt das? Sie stammen doch aus einer Familie, in der man eine heile Welt erwartet. Die Trauttmansdorffs zählen zum österreichischen Hochadel.
VT: Aber meine Familie gehört zum „Etagen-Adel“. Das heißt, wir hatten kein Schloss, sondern nur eine Wohnung. Meine Kindheit war nicht unkompliziert. Die Eltern geschieden, nie Geld im Haus…
IH: Und Ihre Mutter versuchte eisern, die Fassade zu wahren?
VT: Ja. Das habe ich extrem vor Augen und mit jeder Faser meines Körpers verinnerlicht. Deshalb kann ich mich in solche Frauen auch so gut hineinversetzten. Außerdem interessieren mich Menschen mit Ecken und Kanten. Das macht sie doch gerade so interessant.
IH: Abgründe hinter der heilen Welt taten sich auch bei Ihrem jüngsten „Tatort“ „Frühstück für immer“ auf. Sie spielten die nach außen perfekt funktionierende Frau eines Schönheitschirurgen, der seine sadomasochistischen Vorlieben mit ständig wechselnden Geliebten auslebte. Könnten Sie so eine Ehe ertragen?
VT: Ich bewundere Frauen, die denken: „Soll er doch“. Ich könnte das nie, selbst wenn ich es mir vornehmen würde. Ich bin in dieser Beziehung stockkonservativ und wäre auf jeden Fall eifersüchtig. Und Eifersucht ist so ein unangenehmes Gefühl! Das habe ich einmal kennengelernt. Das macht so klein und so blöd!
IH: Ihre Barbara ist das genaue Gegenteil von klein und blöd. Eine Frau, die lachend die ausgeleierten Unterhosen ihres Ex verbrennt und sogar Trauzeugin bei seiner Hochzeit ist. Sie selbst bleibt lieber allein, als ein eintöniges Nebeneinanderher zu ertragen. Sehen Sie das auch so?
VT: Nicht ganz. Was ich überhaupt nicht ertragen könnte, wäre ein angespanntes, aggressives Zusammenleben. Das wäre für mich die Hölle. Oder jemand, der meine Freiheit beschneidet. Nebeneinander her zu leben wäre für mich nicht so das Problem, ich bin da nicht so perfektionistisch. Ich hätte eher Angst davor, allein zu sein. So viele Frauen sind allein, haben nur ihre alten und kranken Eltern, die sie pflegen. Vor so einem Schicksal hätte ich Horror.
IH: Sie sind seit 25 Jahren glücklich mit dem Regisseur und Schauspieler Wolf-Dietrich Sprenger verheiratet und haben zwei erwachsene Töchter. Er ist 18 Jahre älter als Sie. Fürchten Sie manchmal die Zukunft?
VT: Natürlich denken wir darüber nach, vor allem mein Mann. Wir haben bislang 25 gute Jahre gehabt und dafür bin ich dankbar. Man kann eh nichts planen. Man muss das Leben so akzeptieren, wie es ist. Und so ist mein Leben. Das ist mir gerade so in den letzten Jahren bewusst geworden, nachdem die Kinder ausgezogen sind.
IH: In „Stiller Sommer“ fragt Kristines Ehemann Herbert, der ja auch ein Geheimnis mit sich herumträgt, seine Frau: „Bist Du eigentlich glücklich oder stellst Du Dir ein anderes Leben vor?“ Ist mit 50 die Zeit für eine erste Bilanz gekommen?
VT: Ich glaube schon. Ab 50 denkt man plötzlich: Das ist es jetzt wohl, dein Leben - in dieser Wohnung, mit diesem Mann. Du hast eigentlich eine gute Beziehung. Die Kinder sind auf einem guten Weg. Du hast einen Beruf, der Dir Spaß macht. Keine Luftschlösser mehr. Das ist jetzt Dein Leben und es ist ein gutes Leben.
IH: Wären Sie nicht gern noch einmal jung?
VT: Doch. Klar. Jungsein und nochmal alles erleben zu dürfen, wäre phantastisch. Ich bin wahnsinnig gern mit jungen Menschen zusammen. Das ist ein Geschenk.
Aber ich finde auch die Lebensphase zwischen 50 und 60 total spannend! Früher habe ich immer alles für die anderen gemacht. Für meine Kinder, für meinen Mann, die Schwiegermutter und noch für den und für den. Jetzt bin ich viel mehr mit mir selbst konfrontiert.
IH: Im Gegensatz zu den meisten Frauen über 50 starten Sie ja nun auch erst so richtig durch. Sie waren in den vergangenen drei Monaten gleich in zwei „Tatorten“ zu sehen. Jetzt werden Sie auch auf der Straße erkannt, oder?
VT: Ja, beim Fernsehen verliert man seine Anonymität. All die Jahre am Thalia in Hamburg haben mich vielleicht 20 Leute auf meine Theaterrollen angesprochen. Aber nach einem „Tatort“ wird man plötzlich dauernd angesprochen. Nach ein paar Tagen geht es ja auch wieder vorbei. Ich möchte gar nicht so berühmt sein, dass mich dauern jemand anspricht.
IH: Warum nicht?
VT: Erfolg ist wie eine Sucht, wie ein Rausch, ein Adrenalinschub. Eine ganz gefährliche Droge, die total abhängig machen kann. Deshalb gibt es ja so viele tragische Fälle. Schauspieler, die es nicht ertragen können, wenn der Erfolg ausbleibt und abstürzen. Ich kann Gott sei Dank sehr gut loslassen. Ich gehe am nächsten Morgen völlig schlunzig einkaufen und denke schon nicht mehr darüber nach.
IH: Sie haben Ende der 90er-Jahre eine sehr schwere Krankheit überstanden. Da haben Sie sich sicher auch mit dem Loslassen beschäftigt?
VT: Ja, das stimmt. Ich habe in der Zeit das Loslassen gelernt. Durch die Krankheit habe ich auch eine ganz neue Freiheit und Lockerheit gewonnen. Ich glaube auch im Spiel.
IH: Das merkt man. Ihre Barbara wirkt so unglaublich entspannt und geerdet. Und ist dazu noch so attraktiv. Herbert will ja auch unbedingt mit ihr schlafen.
VT: Lustig, was? Ich habe nie begehrenswerte Frauen gespielt. Immer die Outsider. Immer die schrägen, gemeinen, unterdrückten und hinterlistigen Typen. Aber seit in 50 bin, spiele ich auf einmal begehrenswerte Frauen. Ganz komisch.
IH: Aber doch toll, oder?
VT: Ja. Herrlich!
IH: Herzlichen Dank für das Gespräch.
„Stiller Sommer“ von Nana Neul
mit Dagmar Manzel (Kristine), Ernst Stötzner (Herbert) und Victoria Trauttmansdorff (Barbara) startet am 10.4. in den Kinos.
Verleih Zorro Film.
Deutschland 2013.
90 Minuten.
Victoria Trauttmansdorff, 1960 in Wien geboren, besuchte nach dem Abitur die Schauspielschule in Salzburg und erhielt ihr erstes Theaterengagement am Düsseldorfer Schauspielhaus. Sie wechselte dann an das Nationaltheater Mannheim und später an das Stuttgarter Schauspielhaus. Regisseur Jürgen Flimm holte die junge Schauspielerin aus dem österreichischen Adelsgeschlecht 1993 als festes Ensemblemitglied an das Hamburger Thalia Theater, wo sie seither u.a. mit Regisseuren wie Robert Wilson, Jürgen Bosse, Andreas Kriegenburg und Michael Thalheimer arbeitete. 1997 erkrankte Victoria Trauttmansdorff an einem Schilddrüsentumor, den sie erfolgreich bekämpfte. 2003 wählte Theater heute sie für die Rolle der Christine Linde in Ibsens „Nora“ (Regie: Stephan Kimmig) auf Platz zwei als „Schauspielerin des Jahres“. In Film und Fernsehen ist Trauttmansdorff erst seit 2010 häufiger präsent, spielte in mehreren „Tatort“-Krimis und in einer „Bloch“-Folge. Davor drehte sie nur sporadisch, u.a. war sie in der ZDF-Serie „Einsatz in Hamburg“ als Pathologin Dr. Dunkel (ab 2004) zu sehen, sowie in Kinofilmen „Gespenster“ und „Falscher Bekenner“ (beide 2005). Ihr Durchbruch als Filmschauspielerin gelang in Jan Bonnys Familiendrama „Gegenüber“ (2007) an der Seite von Matthias Brandt. In der Rolle der prügelnden Ehefrau Anne erhielt sie eine Nominierung als beste Hauptdarstellerin für den Deutschen Filmpreis.
Victoria Trauttmansdorff lebt mit ihrem Mann, dem Regisseur Wolf-Dietrich Sprenger, in Hamburg. Das Paar hat zwei erwachsene Töchter.
Foto-Header: Isabelle Hofmann
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