Film & Kino aktuell
- Geschrieben von Anna Grillet -
Ein Künstlerporträt von verstörender Eindringlichkeit. Brillant, klug, subtil und erschreckend aktuell. Dieser Film trifft mitten ins Herz.
Rio de Janeiro, August 1936. Noch sind die Türen zum Festsaal des exklusiven Jockey Clubs verschlossen. Drinnen rücken Serviermädchen die Weingläser zurecht, zupfen ein letztes Mal an der Tischdekoration. Das atemberaubende tropische Blumenmeer in den verschiedensten Rottönen lässt kaum noch Platz für Tafelsilber und Porzellan. Mit militärischer Präzision marschieren die Kellner auf. So beginnt Maria Schraders Episoden-Epos über das Exil von Stefan Zweig (Josef Hader), und vom ersten Moment an birgt jede Form opulenter Pracht etwas schmerzhaft Tragisches in sich. Zwei Jahre zuvor hatte der jüdische Schriftsteller seine Heimat Österreich verlassen müssen.
- Geschrieben von Anna Grillet -
O-Ei führt ein Schattendasein, die 23jährige hat das Talent des Vaters geerbt, aber ihre Bilder tragen seinen Namen: Katsushika Hokusai (1760-1849). Er zählt zu den bekanntesten Künstlern Japans. Des Meisters Werke inspirierten Claude Monet und Vincent van Gogh. Hier, auf der Kinoleinwand wird nun die Tochter zur Protagonistin. Regisseur Keiichi Hara inszeniert „Miss Hokusai” als anrührende poetische Coming-off-Age Story zwischen Tradition und Rebellion. Der ästhetisch virtuose japanische Zeichentrickfilm ist ein höchst ungewöhnlicher Mix aus Familiendrama, Slapstick, Geistergeschichte, Biopic, historischem Epos, Realität und Fiktion.
- Geschrieben von Anna Grillet -
Behutsam und mit großem Einfühlungsvermögen inszeniert Regisseur Matthew Brown sein Historiendrama über den faszinierenden indischen Mathematiker Srinivasa Ramanujan. Dessen Theorien gelten als bahnbrechend und er als Genie, aber das Ungewöhnlichste: Der Visionär war Autodidakt, gespielt wird er von Dev Patel. Grandios: Jeremy Irons in der Rolle seines Mentors und Freundes, durch ihn entwickelt „Die Poesie des Unendlichen” ihren unvergleichlichen melancholisch spröden Charme.
- Geschrieben von Anna Grillet -
Ohad Naharin: Seine ungewöhnlichen Visionen haben die Welt des „Modern Dance“ revolutioniert. Er kam erst nach dem Militärdienst zum Ballett, war schon 22 Jahre alt. Heute gehört der israelische Künstler zu den führenden zeitgenössischen Choreographen.
Die Performances sind leidenschaftlich, radikal, von unglaublicher Kraft, explosiv, animalisch, fast martialisch, andere wieder sanft, sublim, zurückhaltend, sinnlich, fragil. Wie einen Drogenrausch empfand Regisseur Tomer Heymann („Paperdolls”) als junger Soldat Anfang der Neunziger die Begegnung mit den Kreationen Naharins. Auch auf der Leinwand bleibt jene Magie der Bilder körperlich spürbar. Die atemberaubenden Bewegungsabläufe verbinden Grauen und Grazie, Schrecken und Schönheit auf eine frappierend reale, unverwechselbare Weise. „Mr. Gaga” ist ein fesselnder, vielschichtiger, suggestiver und visuell virtuoser Dokumentarfilm.
- Geschrieben von Anna Grillet -
Als schillernden vielschichtigen Mix aus Polit- und Psychothriller inszeniert US-Regisseur Edward Zwick sein Porträt des legendären Schachspielers Bobby Fischer (Tobey Maguire).
1972, es ist der Höhepunkt des Kalten Krieges. „Bauernopfer – Spiel der Könige” erzählt, wie ein seltsamer kleiner Junge aus Brooklyn zur großen Hoffnung der Vereinigten Staaten aufsteigt. Vietnam, Rassenunruhen, Bürgerrechtsbewegung, Watergate-Affäre erschüttern das Land, aber in diesem Moment dreht sich alles um die Schachweltmeisterschaft in Reykjavik, Island, das Match des Jahrhunderts: Ost gegen West.
- Geschrieben von Anna Grillet -
Grandios wie grotesk: Tom Hanks als desperater Don Quijote auf der Suche nach Erlösung fern der Heimat.
Saudi-Arabien ist der Schauplatz von Tom Tykwers neuem Film „Ein Hologramm für den König”. Der Regisseur nimmt David Eggers gleichnamigem Roman seine verbissene Skepsis und gibt jener ironisch tragischen Parabel über die Folgen des Neoliberalismus am Ende einen Hoffnungsschimmer Utopie. Die Gegenwart heißt Krise und der Amerikaner Alan Clay (Tom Hanks) gehört zu den Verlierern der neuen globalen Weltordnung. Karriere wie auch Ehe des 54jährigen Mittelständlers sind längst zu Bruch gegangen. Nun spekuliert er verzweifelt auf eine letzte Chance, nicht in dem Land der angeblich unbegrenzten Möglichkeiten sondern in der Wüste am Roten Meer. Dort plant König Abdullah eine gigantische Wirtschaftsmetropole. Der Consultant soll seine Majestät von der innovativen Kommunikationstechnologie des US-Unternehmens Reliant überzeugen. Aber der Monarch lässt sich nicht blicken.
- Geschrieben von Anna Grillet -
Frappierend: ein düsterer expressionistischer Thriller in geheimnisvollem Schwarz-Weiß, als hätte ihn der legendäre Fritz Lang 1931 selbst gedreht.
Doch der Schöpfer von „Metropolis” und „Das Testament des Dr. Mabuse” ist nicht Regisseur sondern Protagonist dieser ungewöhnlichen Film-Collage aus Fiktion und Realität. Gordian Maugg präsentiert ihn als Getriebenen, verstrickt in eine unheile Vergangenheit, immer auf der Suche nach dem Ursprung des Verbrechens, von Schuld und Sühne. Ein ästhetisch-virtuoses Experiment, trotzdem, manche Kritiker schätzen es gar nicht, wie hier mit ihrer Leinwand-Ikone umgegangen wird und seinem Meisterwerk: „M- Eine Stadt sucht einen Mörder”.
- Geschrieben von Anna Grillet -
Erschütternd und trotzdem unaufdringlich, ein fesselnder, auf seine Art unberechenbarer Film über den zweifelhaften Sinn der Wahrheit. Nüchtern, fast dokumentarisch schildert der dänische Regisseur Tobias Lindholm in „A War” das Entstehen einer tödlichen Entscheidung.
Seine Redlichkeit wird dem Protagonisten zum Verhängnis und aus dem Kriegsdrama ein Gerichtsthriller. Trotz Urteil, die zentrale Frage nach Schuld oder Sühne bleibt offen.
- Geschrieben von Hans-Juergen Fink -
Ein grausamer Ehrenmord an seiner schönen Ehefrau und ihrem Liebhaber – hat er dafür gesorgt, dass Musik und Leben des neapolitanischen Renaissance-Fürsten Don Carlo Gesualdo, Principe di Venosa, nicht vergessen wurden? Werner Herzog, der exzentrische Geschichten wie „Fitzcarraldo“ oder „Aguirre oder Der Zorn Gottes“ mit hochexpressiver Sensibilität auf die Leinwand brachte, hat das Lebensdrama des adligen Radikal-Komponisten zu einer ungewöhnlichen TV-Dokumentation verarbeitet, die jetzt auf BluRay vorliegt und auch nach gut 20 Jahren noch Maßstäbe setzt. Ein behutsamer, ein grandioser Balanceakt zwischen Tatort-Besichtigung und Musik-Historie.
- Geschrieben von Anna Grillet -
Ihre Chronik einer Amour Fou inszeniert die französische Regisseurin Maïwenn als mitreißenden rauschhaften Taumel der Gegensätze und Leidenschaften. „Mein Ein, mein Alles”, das sind große Gefühle in Nahaufnahme: spontan, verstörend, schonungslos, doch für Momente immer wieder voll irrwitzigem Zauber.
- Geschrieben von Anna Grillet -
Der irische Regisseur Lenny Abrahamson kreiert mit „Raum” einen bezaubernden wie beklemmenden, manchmal auch unendlich traurigen Film über Kindheit, Gefangenschaft und grenzenlose Liebe.
Jack (Jacob Tremblay) ist ein aufgeweckter, temperamentvoller Junge. An diesem Tag feiert er seinen fünften Geburtstag. Noch nie hat das Kind Regen oder den Wind gespürt. Draußen, hinter den schalldichten fensterlosen Wänden und der Stahltür beginnt das Weltall, so hat es ihm Ma (Brie Larson) erklärt. Seit ihrer Entführung vor sieben Jahren wird sie in einem Gartenschuppen gefangen gehalten. Trotzdem soll der Sohn unbeschwert aufwachsen, allein dafür lebt die Mutter. Und tatsächlich, jene klaustrophobische Hölle empfindet Jack als einen aufregenden Teil des Universums voller Märchen, Abenteuer aber auch Geborgenheit.
- Geschrieben von Anna Grillet -
„Son of Saul”, der Film des ungarischen Regisseurs László Nemes, ist niederschmetternd wie kaum ein anderer Film je zuvor. Er packt uns mit aller Wucht, zerrt uns hinein ins Geschehen, zerstört radikal die sonst übliche komfortable Beobachterposition und eröffnet völlig neue Perspektiven auf die Vergangenheit. Ein überwältigendes kompromissloses Meisterwerk von ungeheuer Weisheit, Ästhetik, Demut und Einsicht, dem Wissen um die Bedeutung des Judentums und das Leiden der Menschen und unserer Schwächen.
- Geschrieben von Anna Grillet -
Raffinierter, beklemmender Thriller über das gefährliche Erbe der argentinischen Militärjunta.
Regisseur Pablo Trapero war dreizehn Jahre alt, als die Verhaftung Arquímedes Puccios Schlagzeilen machte. Es ging um Entführung, Erpressung, Mord. Der Fall fasziniert den Filmemacher heute noch genau wie damals. „El Clan” ist weniger Crime-Drama als die Chronik einer bizarren Vater-Sohn-Beziehung. Der sympathischen Familie in dem gutbürgerlichen Vorort von Buenos Aires traute angeblich niemand solch unfassbare Verbrechen zu. Obwohl, genau damit hatte es der ehemalige Angehörige des Geheimdienstes während der Diktatur zu hohem Ansehen gebracht. Entscheidender Unterschied gegenüber früher: Nun arbeitet er als selbstständiger Unternehmer auf eigene Rechnung. Seine Opfer sind nicht mehr Regimekritiker sondern wohlhabende Nachbarn.
- Geschrieben von Anna Grillet -
Hinreißende Widerstands-Saga von verstörender Eindringlichkeit.
„Ein Monster mit fünf Köpfen” nennt Regisseurin Deniz Gamze Ergüven die wunderschönen Heldinnen ihres Debütfilms. Sie sagt es mit Bewunderung. „Mustang” sprengt auf ästhetisch virtuose Weise und mit frappierender Leichtigkeit die Genres: tragische Familienchronik, bizarres Ausbrecher-Epos, feministisches Märchen. Es geht um Unterdrückung, die Willkür des Patriarchats, um Tod, Liebe, eine verlorene Jugend, viele Niederlagen und den unerschütterlichen Willen, nie aufzugeben. Schauplatz: ein abgelegenes Dorf an der türkischen Schwarzmeerküste.