Werner Herzog: „Gesualdo – Death for Five Voices“
- Geschrieben von Hans-Juergen Fink -
Ein grausamer Ehrenmord an seiner schönen Ehefrau und ihrem Liebhaber – hat er dafür gesorgt, dass Musik und Leben des neapolitanischen Renaissance-Fürsten Don Carlo Gesualdo, Principe di Venosa, nicht vergessen wurden? Werner Herzog, der exzentrische Geschichten wie „Fitzcarraldo“ oder „Aguirre oder Der Zorn Gottes“ mit hochexpressiver Sensibilität auf die Leinwand brachte, hat das Lebensdrama des adligen Radikal-Komponisten zu einer ungewöhnlichen TV-Dokumentation verarbeitet, die jetzt auf BluRay vorliegt und auch nach gut 20 Jahren noch Maßstäbe setzt. Ein behutsamer, ein grandioser Balanceakt zwischen Tatort-Besichtigung und Musik-Historie.
Die ganze Geschichte liegt gut die vierhundert Jahre zurück, aber die Köchin der Trattoria im kampanischen Örtchen Gesualdo, weiß genau, was sie davon zu halten hat: „Era un diavolo“, ruft sie immer wieder, „er war ein Teufel“, als Herzog mit dem Koch über das 125-gängige Hochezeitsmenü des Fürsten spricht, das der anlässlich seiner Hochzeit 1586 auftischen ließ. Gekochte Geschichte: zwei Gerichte liegen probierfertig auf dem Teller, und der Küchenchef bewundert die Opulenz des Gelages, das die Verehelichung des 24 Jahre alten jungen Fürsten mit der wegen ihrer Schönheit bewunderten und gefürchteten Maria d’Avalos begleitete. Und immer wieder hört man: „Era un diavolo.“
Da hilft es auch nichts, dass der 1613 gestorbene Fürst spektakuläre Musik geschrieben hat, ungewöhnliche Klänge, altertümlich und weit voraus weisend zugleich. Vor allem Madrigale, in denen er an der alten Kunst von fünf – und mehr gleichberechtigt ineinander verwobenen Stimmen treu, ging nicht den breiten Weg der neuen „seconda prattica“ zu einer führenden Oberstimme mit Generalbass und Begleitstimmen mit, den etwa Monteverdi einschlug.
Betörende, empörende, verstörende Klänge
Dafür reizte Carlo Gesualdo die alte Art bis weit über ihre Grenzen aus: überraschende, kühne und lange nicht aufgelöste Dissonanzen, abrupte Rhythmuswechsel, das Verschränken weit entfernter Harmonien, extensive Chromatik, plötzliche Pausen, fein schattierte Tonmalerei – für die damalige Zeit und auch heute wieder sind es betörende, empörende, verstörende Klänge, in denen heutige Ohren direkte Wege zum Ausdrucksrepertoire der Spätromantik, zu Harmonik und dem emotionalen Overkill etwa von Wagners „Tristan“ erkennen können.
Werner Herzog verschränkt die Musik, gesungen von Il Complesso Barocco unter Alan Curtis und dem Gesualdo Consort London und Gerald Place, immer wieder mit biographischen Notizen und einer Tatort-Besichtigung. Natürlich ist die Horrorgeschichte noch lebendig bei denen, die in den Gemäuern von damals leben und arbeiten. Der Palast, in dem Gesualdo seine Gattin mit dem Herzog von Andria in flagranti ertappt und mit Hilfe seiner Diener an Ort und Stelle meuchelte und meucheln ließ. Die Treppe, auf der beider nackte Leichen noch einen Tag ausgestellt blieben – zur Warnung.
Herzog spricht mit dem Pförtner dort, klettert durch die in Teilen verkommene Burg in Gesualdo, findet immer wieder Gesprächspartner, die mehr über Gesualdo erzählen und sein exzentrisches Büßerleben nach der Tat: von den Dienern, die ihn auspeitschen mussten und nachts im Bett wärmen. Vom zweiten Kind mit Maria d’Avalos, das er angeblich – die Leute in Gesualdo wissen es, als sei’s gestern erst gewesen – in einem Käfig, der im Burghof von Balkon baumelte, dahinsterben ließ, während er dazu schmerzlich-süße Madrigale singen ließ. Legenden mischen sich mit der Wirklichkeit, die schon grausam genug war. Wen stört es, dass ein solches zweites Kind nie urkundlich erwähnt wird?
Rendezvous mit dem Geist des Mordopfers
Werner Herzog trifft in dem alten Gemäuer den flüchtigen Geist der Gemordeten (gespielt von Milva), der ihm Rede und Antwort steht, und ihren Nachfahren, den Principe d’Avalos, Komponist einer Oper über seine berühmte Ahnfrau, der ihn in seinem Stadtpalast bis zu dem Bett führt, das Schauplatz der Bluttat war. Herzog berichtet auch von Insassen der örtlichen Psychiatrie, von denen sich gleich zwei für Gesualdo halten. Er besucht das Kapuzinerkloster, das Gesualdo –dem nie der Prozess gemacht wurde – stiftete und das Gemälde, das ihn als Stifter zeigt und gleichzeitig von der Rettung eines Mannes und einer Frau aus dem Feuer der Verdammnis gerettet werden. Dem Fürsten, so spürt man, hat der wohlgeplante Ehrenmord seelische Qualen bereitet.
Herzog Dokumentationsstil ist angenehm anzusehen: weder ist Gesualdos herausfordernde Musik bloße Untermalung von schönen Fernsehbildern, sondern bekommt ihren ganz eigenen Wirkraum – und immer wieder die Ruhe, aus der sie sich entfalten kann. Herzogs Begegnungen, und seien sie noch so skurril, wirken nicht arrangiert, aber immer überraschend, man folgt den Hirnwindungen des Menschen, der sich da mit Gesualdo beschäftigt. Mal sind es Gesichter, auf denen sie verweilen, mal übernimmt die Sprache den Part, den Zuschauer zu fesseln. Er findet immer wieder neue, verblüffende Anknüpfungspunkte, Historisches, Legenden, Traditionen. Und man bekommt einen vielschichtigen Einblick in die Gemütslage, aus der heraus Don Carlo Gesualdo seine einzigartige Musik geschrieben hat. Ein kleiner, großer Musikfilm.
„Gesualdo – Death for Five Voices“
Ein Film von Werner Herzog (1995). BluRay, ArtHaus Musik, Cat.No. NTSC 109 209
Filmausschnitte:
In der Küche
Der Geist von Maria d’ Avalos
Gesualdo, Madrigal „Moro, lasso, al mio duolo“
Gesualdo, Madrigal-Buch VI, Nr. 9
Abbildungsnachweis:
Burg von Gesualdo mit Konterfei von Carlo Gesualdo
DVD-Cover
Archiv
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