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A War Film Trailer

Erschütternd und trotzdem unaufdringlich, ein fesselnder, auf seine Art unberechenbarer Film über den zweifelhaften Sinn der Wahrheit. Nüchtern, fast dokumentarisch schildert der dänische Regisseur Tobias Lindholm in „A War” das Entstehen einer tödlichen Entscheidung.
Seine Redlichkeit wird dem Protagonisten zum Verhängnis und aus dem Kriegsdrama ein Gerichtsthriller. Trotz Urteil, die zentrale Frage nach Schuld oder Sühne bleibt offen.
Eine zerklüftete karge Landschaft im Süden Afghanistans, dänische Soldaten auf Patrouille. Ihre Anspannung, Müdigkeit und Konzentration sind spürbar, die Angst unterschwellig immer präsent. Der Dialog in den ersten Szenen zwischen den Männern vor Ort und dem Hauptquartier beschränkt sich auf Funksprüche, Zahlen, Positionen, kurze Befehle. 6-0, 2-5, jeder Schritt ist gefährlich. Ein Sprengsatz explodiert, zerfetzt den Körper eines jungen Infanteristen. Den nächsten Tag begleitet Kommandant Claus Michael Pedersen (Pilou Asbæk) seine Leute auf der Patrouille, seine Aufgaben sind andere, aber er will die Moral der Truppe stärken. Die Männer murren, sie fühlen sich wie „wie lebendige Zielscheiben”, stellen die Notwendigkeit der Mission in Frage. Pedersen ist ruhig, ausgeglichen, ein furchtloser Idealist, sehr geduldig, so einer vermittelt den Menschen das Gefühl von Sicherheit, auch dort wo es keine gibt.

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„A War” will keine leinwandwirksame spektakuläre Materialschlacht sein, sondern authentisch, direkt ohne jede Melodramatik. Der Film sucht die Nähe seiner Akteure. Purismus, Beschränkung verstärken die Intensität jeder Begegnung. Pedersen weiß um die Verwundbarkeit seiner Männer, körperlich wie seelisch. Einer der Soldaten, Lasse (Dulfi Al-Jabouri), bricht zusammen, er heult Rotz und Tränen, wird die Bilder von der explodierenden Landmine und dem sterbenden Kameraden nicht mehr los. Verzweifelt bettelt er darum, ihn zurückzuschicken in die Heimat. Das ist gegen das Reglement. Der Kommandant nimmt sich Zeit für den riesigen bärtigen Kerl, spricht behutsam auf ihn ein, es ist eine Mischung aus brüderlichem Verständnis und sanfter Strenge, denn Grenzen setzen muss er. Er gibt ihm sein mobiles Telefon, Lasse soll bei sich daheim anrufen. „A War” wechselt ständig zwischen den Parallelwelten Front und Familie. Das Handy muss plötzlich alles ersetzen, Liebe, Fürsorge, Wärme, aber es kann die Entfernung nicht überbrücken. Eigentlich fühlt man sich danach noch einsamer, die Sehnsucht wird unerträglich und muss doch gleich wieder verdrängt werden.

Die Protagonisten sind von fast erschreckender Tapferkeit, es ist nicht jene imponierende Courage wie in alten patriotischen Kriegsfilmen, sondern mehr eine extreme Form subtiler Rücksicht auf den Partner, die Freunde oder Kameraden. Dahinter verbergen sich Hilflosigkeit, Ohnmacht und die Furcht, dass einen die widersprüchlichen Gefühle überwältigen könnten. Maria Pedersen (Tuva Novotny) will ihren Mann nicht zusätzlich belasten, sie beißt die Zähne zusammen. Die drei Kinder verkraften die Abwesenheit des Vaters schlecht, grade der mittlere Sohn Julius (Adam Chessa) reagiert zunehmend aggressiv, lässt sich kaum noch bändigen. Die Atmosphäre daheim wirkt irgendwie frostiger, unwirtlicher als bei den Soldaten im Krisengebiet. Maria versucht die Konflikte zu überspielen, mit Verständnis, unendlicher Geduld, aber irgendwie ist sie weniger erfolgreich damit als ihr Mann. Das Lächeln verzerrt, forciert, auch wenn man in jedem Moment die Liebe zu den Kleinen spürt, im Grunde ihres Herzens ist sie genauso frustriert wie der Sohn. In einem unbeobachteten Moment schluckt der Jüngste Schmerztabletten. Wenig später wird ihm in der Klinik der Magen ausgepumpt. Ein schmerzhaft langer Blickkontakt zwischen Mutter und Sohn erzählt von großer Traurigkeit und einer siegreichen Schlacht. Das Bild von Maria, wie sie nachts vor dem Krankenhaus mit ihren drei Kindern auf ein Taxi wartet, wird zum Synonym für Verlorenheit: Vier winzige Gestalten in der Dunkelheit.

Worte funktionieren manchmal nicht, hier in „A War” wird wenig gesprochen. Für eine Entscheidung bleiben oft nur Sekunden, es muss schnell und intuitiv gehandelt werden. Und genau in so einem Moment versagt unser Held. Obwohl, man könnte ebenso gut behaupten, er bewährt sich. Tobias Lindholm („Borgen”) bezieht bewusst nicht Position, sagt er zumindest, weder gegen diesen Krieg noch einen anderen. Er akzeptiert ihn als archaischen Teil unseres Lebens, beansprucht für sich den Status des neutralen Beobachters, aber zwingt uns, Stellung zu beziehen. Magnus Nordenhof Jønck dreht mit verschiedenen Handkameras, zieht den Zuschauer hinein in das Geschehen, so dass wir notgedrungen die Perspektive der Soldaten übernehmen. Wer sich dem Hauptquartier nähert, könnte ein bewaffneter Taliban sein oder ein Einheimischer, der Hilfe braucht, Freund oder Feind. Es ist der erste Militäreinsatz der Dänen, der Film zeigt wie der Terrorismus das Dasein der Menschen verändert, er fragt nicht nach Recht oder Unrecht. Die Soldaten werden von Afghanistan-Veteranen gespielt, die Einheimischen von Flüchtlingen. Es geht um das Entschärfen von Bomben, aber auch das Vertrauen der Bevölkerung zu gewinnen, sie vor Angriffen zu schützen.

In einem Dorf stoßen Pedersen und seine Truppe auf eine Familie, deren Tochter eine schwer entzündete Verbrennung am Arm hat, sie wird notdürftig versorgt. Wenig später taucht die Familie verängstigt vor dem Militärlager auf und bittet um Unterschlupf. Den Taliban ist der Besuch der Einheit nicht entgangen und sie drohen nun, alle zu töten, wenn sich der Mann nicht den Taliban-Kämpfern anschließt. Aber ist ihnen zu trauen? Die Sicherheit und strikten Regeln des Stützpunkts gehen vor. Die Familie wird mit dem Versprechen, ab morgen für ihren Schutz zu sorgen, wieder zurückgeschickt. Als Pedersen und einige seiner Männer am nächsten Tag im Dorf auftauchen, herrscht gespenstische Stille. Sie finden den Mann, seine Frau und Kinder in ihrem Haus- bestialisch ermordet. Der Ort entpuppt sich als Hinterhalt, die Taliban eröffnen das Kreuzfeuer. Einer der dänischen Soldaten, Lasse, wird schwer am Hals verletzt, droht zu verbluten. Um das Leben seines Kameraden zu retten, fordert der Kommandant Luftunterstützung an und übermittelt ein PID (Positive Identification). Er bestätigt damit, dass er die Position, aus der die feindlichen Schüsse kommen, eindeutig lokalisieren kann. Die Soldaten überleben, selbst Lasse. Aber in dem bombardierten Haus hatten sich die Taliban nicht verschanzt. Elf Zivilisten wurden getötet, darunter acht Kinder.

Pedersen wird verhaftet und zurück nach Dänemark geschickt, wo er sich vor Gericht wegen Kriegsverbrechen verantworten muss. Kathryn Bigelows Film „The Hurt Locker” (2008) beginnt mit einem Zitat aus der New York Times: „Der Rausch des Kampfes wird oft zu einer mächtigen und tödlichen Sucht. Denn Krieg ist eine Droge.“ Nicht für den Helden von Lindholm, er ist kein blutrünstiger Killer mit Machogehabe, kein „American Sniper” wie Clint Eastwoods Protagonist oder todesmutiger Antiheld bei der Demontage eines Mythos, wie ihn Brad Pitt in “Herz aus Stahl” verkörpert. Pedersen hat zwei fatale Entscheidungen getroffen, dabei hielt er sich einmal an die Vorschriften, das andere Mal nicht. Mancher Zuschauer würde beschwören, die Schüsse kämen auch aus dem Haus gegenüber, sie kommen von überall her, es ist ein visueller und akustischer Albtraum, das Chaos par excellence. Der immer wieder angeforderte Sanitätshubschrauber kann nicht landen, es ist eine ausweglose Situation.

Ob „R” (2010) oder “Hijacking” (2012), Lindholms Filme haben immer etwas Klaustrophobisches, behandeln Extremsituationen. „Wenn das eigene Leben tagtäglich bedroht ist und man Kameraden sterben sieht, verändert man seine moralischen Grundsätze,“ erklärt der Regisseur und fragt: „Wie können wir diese Situation verstehen, wie humanisieren wir das Unmenschliche?” Der einzige Weg des Verständnis’ ist für ihn vor allem intensive Recherche. Seine Ansprüche an Realitätstreue entsprechen in vielem den Vorgaben der Dogma 95-Bewegung. Er sagt über seinen Film: „Ich war nie Soldat. Ich war nie im Krieg. Ich habe Kriege nur beobachtet, in den Nachrichten und als Unterhaltungsstoff. Als ich beschloss „A War” zu drehen, musste ich Leute finden, die selbst unmittelbar Zeugen von Kriegen waren, dänische Soldaten und Taliban-Kämpfer, Angehörige und Flüchtlinge. Ich musste die Komplexität und die Logik dahinter verstehen, aber nicht um die Wahrheit über Kriegsführung zu erzählen, denn ich glaube nicht daran, dass eine solche Wahrheit existiert, sondern um die Geschichten von Menschen im Krieg zu erzählen. Denn sie existieren sehr wohl. Und für mich handelt „A War” von ihnen.”

Beeindruckend Pilou Asbæk („Hijacking”, „Game of Thrones”, „Ben Hur”) in der Rolle des zärtlich stoischen Kommandanten, gefangen zwischen Integrität und der Forderung seiner Frau, die Wahrheit abzustreiten. Maria appelliert an seine Verantwortung als Familienvater: die Rechnung, die sie aufstellt, klingt brutal und ist doch grausam einleuchtend: acht Kinder sind in Afghanistan gestorben, aber hier sind drei, die leben und ihn brauchen. Es geht immer wieder um Verantwortung, moralische, menschliche, eine die sich an Paragraphen messen lässt und nicht durch Emotionen beeinflusst wird. Jede Entscheidung kann nur falsch sein genau wie damals an der Front. Pedersens Konflikt ist symptomatisch für die Widersprüchlichkeit des 21. Jahrhunderts, wo vordergründig gute Absichten verheerende Konsequenzen haben. Vor Gericht entfaltet der Fall nach und nach seine ganze Komplexität. So steril die Umgebung ist, der Film hat unverändert eine physische explosive Kraft. Plötzlich zählen nur noch die Worte oder das, was verschwiegen werden soll. Der Anwalt rühmt sich, Freisprüche zu verkaufen, aber der Protagonist verurteilt sein eigenes Handeln, und trotzdem ahnen wir, er würde jedes Mal wieder so entscheiden. Vielleicht hofft er im Geheimen, eine Strafe würde die Schuld erträglicher machen. Wann immer er seine Kinder umarmt, die Erinnerung an Afghanistan verfolgt ihn. Damit die Schauspieler spontan blieben, bekamen sie nie die letzten fünf Seiten des Skripts.

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Originaltitel: Krigen
Regie / Drehbuch: Tobias Lindholm
Darsteller: Pilou Asbæk, Tuva Novotny, Dar Salim
Produktionsland: Dänemark, 2015
Länge: 115 Minuten
Verleih: StudioCanal Deutschland
Kinostart: 14. April 2016

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