Eine Kreidezeichnung von Adolph von Menzel war dem Breslauer Unternehmer und Kunstsammler Leo Lewin NS-verfolgungsbedingt entzogen worden. 1942 erwarb sie Adolf Hitlers „Sonderauftrag Linz“.
Die Kunstverwaltung des Bundes hat die Zeichnung „Hans Karl von Winterfeldt, preußischer Generallieutnant [Studie zu einem friederizianischen Offizier]“ von Adolph von Menzel an die Erbinnen und Erben nach Leo Lewin (1881–1965) zurückgegeben. Sie war dem Unternehmer und Kunstsammler Leo Lewin zwischen 1935 und 1941 NS-verfolgungsbedingt entzogen worden.
Kulturstaatsministerin Claudia Roth: „Wir konnten eine Zeichnung von Adolph von Menzel an die Erben von Leo Lewin zurückgeben. Diese Zeichnung hatte das nationalsozialistische Deutschland dem Breslauer Unternehmer und Sammler geraubt. Über Umwege kam sie dann in den Besitz des Bundes. Wir wollen alle Kunstwerke zurückgeben, die auf ähnlichen Wegen in den Besitz des Bundes kamen. Wir schaffen volle Transparenz über die Bestände des Bundes, betreiben Provenienzforschung und kontaktieren die Erben. Wir wollen gerechte und faire Lösungen im Sinne der Opfer des nationalsozialistischen Deutschlands.
Dahinter steht auch unser nachdrückliches Bekenntnis zur Umsetzung der Washingtoner Prinzipien. Um diese noch besser und wirkungsvoller umzusetzen, haben wir Anfang des Jahres auch im Bundeskabinett beschlossen, gemeinsam mit den Ländern und den Kommunalen Spitzenverbänden die Schiedsgerichtsbarkeit NS-Raubgut einzurichten, die einseitig angerufen werden kann und die Opfer, ihre Familien und Nachfahren in ihren Rechten und Möglichkeiten stärkt.
Im Fall Leo Lewins hat wie in so vielen anderen Fällen die Provenienzforschung den entscheidenden Beitrag geleistet, dass diese Zeichnung nun restituiert werden kann. Die Provenienzforschung sollte allerdings insgesamt noch gestärkt werden. “
Dr. Christoph Faden, Direktor der Kunstverwaltung des Bundes:
„Leo Lewin war ein erfolgreicher Geschäftsmann und als Kunstsammler sowie als Mitglied verschiedener Kunstvereine Teil des Breslauer Kulturlebens. Sein Schicksal zeigt deutlich, wie umfangreich antisemitische Hetze und Verfolgung jüdischem Leben bereits vor und zu Beginn der NS-Herrschaft zugesetzt haben. Auch weiterhin werden wir mit aller Kraft daran arbeiten, das geschehene Unrecht aufzuarbeiten und damit als Kunstverwaltung des Bundes voranzugehen.“
Die Erbinnen und Erben nach Leo Lewin: „Die Familie Leo Lewin erkennt die fortdauernden Bemühungen Deutschlands zur Aufarbeitung der aus früherem Deutschen Reichsbesitz übernommenen Kunstwerke an und begrüßt die Rückgabe der Menzel-Zeichnung aus der früheren Sammlung ihres Großvaters.“
Leo Lewin war der Sohn des Breslauer Textilfabrikanten und Kunstsammlers Carl Lewin (1855–1924). Kurz nach dem Ersten Weltkrieg begann er mit dem Aufbau einer eigenen Kunstsammlung, in der vorwiegend deutsche und französische Positionen vertreten waren. Die in Rede stehende Zeichnung erwarb er 1928 zusammen mit 51 weiteren Werken Adolph von Menzels (1815–1905) von der Königlichen Nationalgalerie in Berlin im Tausch gegen Arbeiten von Max Slevogt aus seiner Sammlung. Menzel war ein deutscher Maler, Zeichner und Grafiker, der diese Kreidezeichnung 1851 als Studie zur 12-teiligen Holzschnitt-Serie „Aus König Friedrichs Zeit“ geschaffen hatte. Bereits vor dem Beginn der NS-Herrschaft waren Leo Lewin und sein Textilunternehmen zum Ziel antisemitischer Anfeindungen in der völkischen Presse geworden. Nach 1933 war er etlichen nationalsozialistischen Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt, die seiner Gesundheit erheblich zusetzten und zum schrittweisen Verlust seines Vermögens führten. Unter dem Druck der Verhältnisse veräußerte Lewin Teile seiner Kunstsammlung freihändig sowie in mehreren Auktionen in Berlin. Nach der Enteignung seines Unternehmens im April 1938 musste er 1939 nach Großbritannien fliehen und sein in Deutschland verbliebenes Vermögen galt mit der Aberkennung der deutschen Staatsangehörigkeit 1941 als beschlagnahmt. Die in Rede stehende Zeichnung wurde Lewin zwischen 1935 und 1941 NS-verfolgungsbedingt entzogen. Dies ergaben Provenienzrecherchen der Historikerin Dr. Monika Tatzkow und der Kunstverwaltung des Bundes.
Über den Künstler und Kunsthistoriker Guido Joseph Kern und die Kunsthändlerin Maria Dietrich gelangte die Menzel-Zeichnung 1942 an Adolf Hitlers „Sonderauftrag Linz“. Nach dem Krieg stellten die amerikanischen Streitkräfte das Werk im Salzbergwerk Altaussee in der Steiermark sicher. Sie überführten es am 08.07.1945 in den Münchner Central Collecting Point (CCP), wo es unter der Nummer 2902/23 inventarisiert wurde. Auf Grundlage von Artikel 134 Grundgesetz ist die Zeichnung 1960 als ehemaliges Reichsvermögen in den Kunstbestand des Bundes gelangt. Zuletzt befand sie sich als Leihgabe im Kupferstichkabinett der Stiftung Preußischer Kulturbesitz in Berlin.
Mit der Menzel-Zeichnung hat die Kunstverwaltung des Bundes seit Verabschiedung der Washingtoner Prinzipien von 1998 nunmehr 70 Kulturgüter und eine umfassende Bibliothek aus diesem ehemaligen Reichsvermögen an die rechtmäßigen Eigentümerinnen und Eigentümer restituiert. Seit dem Jahr 2000 meldet sie zudem die Kulturgüter aus ihrem Bestand, bei denen ein NS-verfolgungsbedingter Entzug nicht ausgeschlossen werden kann, an die Lost Art-Datenbank des Deutschen Zentrums Kulturgutverluste. Darüber hinaus macht die Provenienzdatenbank des Bundes seit 2007 weitergehende Angaben zu vor 1945 entstandenen Kulturgütern in Bundesbesitz öffentlich zugänglich.
Zur Umsetzung der Washingtoner Prinzipien und der Gemeinsamen Erklärung hat der Bund die Provenienzforschung in den letzten Jahren erheblich gestärkt. So sind allein in der Kunstverwaltung des Bundes fünf Provenienzforschende in Festanstellung mit dieser wichtigen Aufgabe betraut. Dazu stehen sie in engem Kontakt und Austausch mit einschlägigen Forschungsprojekten, Einrichtungen und Fachkolleginnen und Fachkollegen aus dem In- und Ausland.
Die ausführlichen Ergebnisse der Provenienzforschung zu der Menzel-Zeichnung sind in der Provenienzdatenbank des Bundes unter www.provenienzdatenbank.bund.de veröffentlicht.
Über die Kunstverwaltung des Bundes
Die Kunstverwaltung des Bundes ist eine Bundesbehörde im Geschäftsbereich der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien. Sie nimmt Aufgaben des Bundes auf den Gebieten der Kunstverwaltung und Provenienzforschung, der Kulturförderung sowie des Kulturgutschutzes wahr.
Sie erforscht proaktiv die Herkunft der Kulturgüter des Bundes insbesondere im Hinblick auf im Nationalsozialismus erfolgte unrechtmäßige Entziehungstatbestände. Ihre Forschungsergebnisse veröffentlicht sie in der Provenienzdatenbank des Bundes und restituiert ermittelte Raubkunst an die legitimierten Rechtsnachfolgerinnen und Rechtsnachfolger der früheren Eigentümerinnen und Eigentürmer.
Hintergrund
In der Zeit der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft wurden insbesondere Personen jüdischer Herkunft systematisch entrechtet und verfolgt. Viele der im Nationalsozialismus Verfolgten waren gezwungen, ihr Eigentum, darunter eine Vielzahl von Kulturgütern, aufzugeben oder zu verkaufen, um etwa durch den NS-Staat eingeführte diskriminierende Sonderabgaben zu begleichen oder ihre oftmals lebensrettende Emigration ins Ausland finanzieren zu können. Zudem erließ das NS-Regime Gesetze und Verordnungen, um das Vermögen vor allem jüdischer Eigentümerinnen und Eigentümer direkt enteignen zu können.
Die Kunstverwaltung des Bundes gibt Kulturgüter, bei denen ein NS-verfolgungsbedingter Entzug in der Zeit zwischen 1933 und 1945 identifiziert werden kann, an die verfolgte Person bzw. ihre Rechtsnachfolgerinnen und Rechtsnachfolger zurück. Grundlage für die Rückgabe bilden die „Grundsätze der Washingtoner Konferenz in Bezug auf Kunstwerke, die von den Nationalsozialisten beschlagnahmt wurden“ (Washingtoner Prinzipien) vom 3.12.1998 und die darauf aufbauende „Erklärung der Bundesregierung, der Länder und der kommunalen Spitzenverbände zur Auffindung und zur Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgutes, insbesondere aus jüdischem Besitz“ (Gemeinsame Erklärung) vom 9.12.1999.
Mehr Informationen: www.kunstverwaltung.bund.de
Quelle: Presse- und Informationsamt der Bundesregierung (BPA)
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