Wechselbad der Gefühle am zweiten Abend des Internationalen Sommerfestivals auf Kampnagel: Erst die abgedrehte Musical-Satire „König der Möwen“, danach das fesselnde, hochkonzentrierte Theaterprojekt „The Mysterious Lai Teck“ des Multimediakünstlers Ho Tzu Nyen aus Singapur.
Erstaunlich, wie manche Uraufführungen im Vorfeld gehypt werden: „König der Möwen“ schaffte es im Hamburger Blätterwald sogar Doppelseiten zu belegen. Nach der „Weltpremiere“ auf Kampnagel lässt sich feststellen: Da ist noch viel Luft nach oben. Freunde von Studio Braun werden bei dem aberwitzigen Mix aus Trash, Kapitalismuskritik und 70er-Jahre Nostalgie jedoch zweifellos auf ihre Kosten kommen.
„König der Möwen“
Was sollen die schönen Ideale, wir sind doch eh alle korrupt. Und in unserer schönen Stadt Hamburg, die dank der Elbphilharmonie nun endlich auch international zum Tourismusmagneten geworden ist, kommt Subkultur unter Denkmalschutz. Um wenigstens noch etwas authentisches Undergroundfeeling zu erhalten, wo Szeneviertel wie die Schanze und das Karoviertel längst gentrifiziert wurden.
Bitter und sarkastisch ist die Aussage des Autoren-Duos Andreas Dorau und Gereon Klug, die sich gemeinsam mit Regisseur Patrick Wengenroth das Stück ausgedacht haben. Im „König der Möwen“ feuern sie gegen Stadtentwicklung und die Verlogenheit der Hamburger (Sub)-Kulturszene. So total überspitzt und gespickt mit Gags am laufenden Band, dass man den ernsten Kern glatt aus den Augen verlieren kann. Doch der „Rillenreiter“ ist unschwer als Hanseplatte im Karoviertel zu identifizieren und dass der traurige Held der Geschichte, der Besitzer des Plattenladens Rillenreiter ausgerechnet Hans heißt (Klug verfasst unter dem Pseudonym Hans E. Platte die Newsletter der Hanseplatte) lässt tief blicken.
Um diesen Hans (Andreas Schröder) also geht die Geschichte. Der ehemalige Aktivist und Alt-Linke ist einer der wenigen Aufrechten unter all den smarten, skrupellosen Typen mit Heuschreckenmentalität, die mittlerweile die Szeneviertel fluten. Sein schmuddeliger Plattenladen in der Schanze ist das gallische Dorf, in dem sich die letzten Gleichgesinnten versammeln und alten Zeiten nachhängen, während die neuen schicken Gentrifizierungs-Läden wie Pilze aus dem Boden schießen.
Hans ist pleite. Weder Mitternachtsverkäufe noch Konzerte mit einer schwer in der Identitätskrise befindlichen Nachwuchsband, die alle fünf Minuten Stil, Namen und Kostüme ändert (Marthe Lola Deutschmann, Julius Forster, Sebastian Doppelbauer und Valentin Richter) können das ändern.
Obwohl er nicht mal mehr seine Angestellte Sanni (Kerstin König) zahlen kann, ist Hans immer noch spendabel: Für seine Freunde, den exzentrischen Ex-Underground-Star Andre Winter (Daniel Hoevels), Bhagwan-Jünger Zippel (Sebastian Suba) und den Musikjournalisten Thomas (Regisseur Patrick Wengenroth hier in einer Nebenrolle), hat er immer noch Freibier und Kaffee auf Lager. „Süß, aber grenzenlos naiv“, stellt seine Ex Katja (Eva Löbau) trocken fest.
Ausgerechnet diese Katja, die große Liebe aus roten Aktivistentagen, arbeitet jetzt bei Hamburg Marketing und unterbreitet ihm einen Vorschlag, der seine Sorgen mit einem Mal beseitigen würde: Für zwei Tage soll er seinen Laden in der HafenCity aufbauen, weil sich ausgerechnet der amerikanische Präsident als Fan der Hamburger Musikszene geoutet hat und den „Rillenreiter“ unbedingt besuchen will . Also, so haben es sich die Marketingprofis ausgedacht, muss der Laden für zwei Tage aus dem „Gefahrengebiet“ raus und in die kontrollierbare HafenCity verlegt werden. Und Hans, der liebe, naive, linke Hans, verrät all seine Ideale und lässt sich auf diesen teuflischen Pakt ein.
Brecht hatte Recht, sagt Klug in seiner Nebenrolle als Sicherheitsbeamte dann trocken beim Abgang. Ja klar: „Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral“.
Der Geschichte ist also nicht schlecht, sogar ziemlich gut. Dass dieser Abend vor allem in der ersten Hälfte ziemlich handgestrickt und amateurhaft wirkte, ist der unausgegorenen, anfangs viel zu langatmigen Inszenierung geschuldet. Dass Katja als personifizierte Hammonia, eingehüllt in die Hamburg-Flagge, auf die Bühne geschoben wird, hatte schon etwas von Schülertheater. Ein großes Kompliment hingegen an die Spielfreude der Schauspieler, vor allem an die vier jungen Bandmitglieder. Ihr Enthusiasmus hat echt Spaß gebracht.
Ach ja, und der Titel? In der Badewanne ausgedacht, war zu lesen. Ein netter Gag, der dann mit aller Macht in das Stück integriert werden musste. Also liebt Hans Möwen, er füttert sie treu vor seinem Laden und als er am Ende aus lauter Verzweiflung den „zweiten Hamburger Band“ anzetteln will, erschient ihm der Möwenkönig persönlich und führt ihn in den Hamburger Keller, wo es dann noch philosophisch wird. Während als Collage auf der Leinwand Promis der Hansestadt vorbeitanzen, von Heidi Kabel über Horst Janssen bis Udo Lindenberg, erkennt Hans die großen Zusammenhänge von Oben und Unten. Mainstream und Subkultur. Danach muss er wieder die Möwen füttern.
An dem Schluss könnte man noch etwas feilen.
„The Mysterious Lai Teck“
Kontrastprogramm dann nach zwei Stunden mit „The Mysterious Lai Teck“ von Ho Tzu Nyen aus Singapur. Ein Künstler, dessen Name man sich unbedingt merken muss. Für das Sommerfestival hat Ho keinen Theaterabend im üblichen Sinne geschaffen, eher eine performative Multimedia-Installation, in der er die hochkomplexe Kolonialgeschichte Vietnams und Malaysias berührend sinnlich verarbeitet.
Der graue Bühnenvorhang bleibt geschlossen, während sich eine Stimme aus dem Off als Mann namens „Lai Teck“ vorstellt und seine spannende Lebensgeschichte erzählt. Von seiner Karriere als kommunistischer Revolutionsführer und Generalsekretär der malaiischen Kommunistischen Partei von 1939 bis 1947, der als „Schatten von Ho Chi Minh“ bezeichnet wurde und später als größter Verräter seines Volkes galt. Wie sich herausstellte arbeitete Lai Teck als dreifacher Agent für Frankreich, Großbritannien und Japan und führte seiner Spionagetätigkeit für die ausländischen Geheimdienste rund 50 Decknamen.
Die Bühne öffnet sich immer noch nicht, nur die Vorhänge werden von sanftem Wind bewegt, gehen auch auf, aber nur um die nächsten Vorhänge offen zu legen. Lediglich das Licht ändert sich beständig, wechselt von einem tiefen Grau zu lichtem Gelb und warmen Rot. Als man schon glaubt, so bleibt es nun, wird ein Schatten hinter dem Vorhang sichtbar, der sich dann irgendwann als sitzende Person entpuppt. Ist diese Person ein Mensch oder eine Puppe? Man weiß es nicht, denn durch ständige Projektionen und Überblendungen verändern sich das Gesicht und der Oberkörper der Figur permanent. Mal ist man geneigt zu glauben, tatsächlich einen Schauspieler vor sich zu haben, dann wieder eine Geistererscheinung, furchterregend und verstörend – auch weil der Körper sich ständig verändert und zwischendurch von innen zu glühen scheint. Bis zum Schluss scheint es nicht sicher, was man da nun tatsächlich vor sich hat. Erst als die Lichter angehen stellt man erstaunt fest, dass Ho Tzu Nyen hier eine überdimensional große naturalistische Skulptur auf die Bühne gesetzt hat, eine mechanische Puppe, der durch die Videoprojektionen Leben eingehaucht wurde.
Die Agenten-Story ist Teil eines „kritischen Lexikons“, mit dem der Künstler die kollektive Identität Südostasiens erfassen will. Keine offizielle Geschichtsschreibung, sondern private Erzählungen und Biographien füllen dieses Lexikon, das immer mehr an Umfang gewinnt. Eine Wahnsinnsarbeit, die als Onlineversion bereits seit 2016 unter www.cdosea.org im Netz steht. Drei weitere Arbeiten der Reihe CDOSEA sind noch bis zum 7. Oktober 2018 im Kunstverein in Hamburg zu sehen.
Internationales Sommerfestival 2018
Kampnagel Hamburg, Jarrestraße 20, 22303 Hamburg
Alle Infos über das Internationale Sommerfestival 2018 (bis 26.8.2018)
Programmheft als PDF zum Download
Abbildungsnachweis:
Galerie:
01.-03. Szenenfotos aus "König der Möwen". Fotos: Brigitta Jahn
04. Ho Tzu Nyen – The Mysterious Lai Teck. Foto: Ho Tzu Nyen
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