Die getanzte Liebe: "Romeo und Julia" des Ballets de Monte-Carlo
- Geschrieben von Isabelle Hofmann -
Was ist nur mit der Hamburger Ballettgemeinde los?
Da gibt es schon mal eines der raren Gastspiele, wie jetzt bei den 39. Hamburger Ballett-Tagen in der Hamburg Oper – und dann sind die Ränge halb leer. Liebe Leser, seien Sie versichert: Sie verpassen etwas! Die "Romeo und Julia“-Version des Ballets de Monte-Carlo ist großartig. Gestern Abend gab es stehende Ovationen für eine technisch brillante Compagnie, ein durch und durch bezauberndes, dramatisch ausgereiftes junges Liebespaar – und für einen Pater Lorenzo, wie man ihn bislang noch nicht zu Gesicht bekam. Für heute Abend gibt es noch Karten – nix wie hin.
Zugegeben: Man muss Shakespeares Romeo und Julia“ schon aus dem ff kennen, um der Choreografie von Jean-Christophe Maillot in jeder Phase folgen zu können. Der Direktor des Ballets de Monte-Carlo und sein Bühnenbilder Ernest Pignon-Ernest verzichten auf illustrativen Tanz und naturalistische Kulisse. Raffinierte Lichtregie, eine weiße Rampe und einige weiße Wände reichen, um den Marktplatz von Verona oder den Palast der Capulets vor Augen entstehen zu lassen, wo die Anhänger der zwei verfeindeten Familien von Romeo Montague (Stephan Bourgond) und Julia Capulet (Anja Behrend) immer wieder unversöhnlich aufeinanderprallen. Kein Degen-Gerassel, wie ihn John Neumeier und viele andere Choreografen und Regisseure vor ihm mit Vorliebe zelebrierten, statt dessen meisterhaftes Aktions-Ballett und eine Körpersprache, die unmissverständlich Hass und Verachtung beider Parteien deutlich machen. Überhaupt versteht es diese Compagnie, Shakespeares Tragödie unerhört leichtfüßig und dennoch fesselnd vorzutragen. Nicht zu vergessen die starken komischen Akzente, die Maude Sabourin als Amme und der von Asier Uriagereka verkörperte Tybalt setzen. Zwei stupende Tänzer, deren Rollen hier in den Vordergrund rücken.
Jean-Christophe Maillot, den viele Ballettfans sicher noch aus seiner Hamburger Zeit als Solotänzer erinnern (1978-1983), verzichtet weitgehend auf opulente Massenszenen, konzentriert sich stattdessen ganz auf die Charaktere der fünf prägenden Figuren Romeo, Julia, Amme, Tybalt und Pater Lorenzo – und liefert psychologische Feinarbeit ab.
Stephan Bourgond ist als Romeo einfach wunderbar. Selten sah man einen jungen Tänzer überzeugender Leid und Leidenschaft zum Ausdruck bringen. Anja Behrend als Julia an seiner Seite ist nicht das süß-verspielte Kind, das John Neumeier auf die Bühne bringt, sondern vielmehr eine selbstbewusste junge Frau, die sich für ihre Liebe mutig gegen ihre Familie stellt und alle Register zieht, bis zum Freitod.
Erstaunlicherweise ist nicht etwa das Liebes-Pas-de-deux von Romeo und Julia (wie bislang gewohnt) der Höhepunkt. Nein, bei diesem Gastspiel ist es das Pas de deux der verzweifelten Julia mit Pater Lorenzo, von dem sie Hilfe erfleht. In der Wucht, Intimität und Dramatik dieses Aufeinandertreffens fragt man sich erneut, welche Rolle der Pater, überragend interpretiert von Alexsis Oliveira, hier eigentlich spielt. Von Anfang an ist er in dem Stück präsent, bereits in der ersten Szene taucht er auf – mehr Geist als Mensch in schwarz und weiß, die Verkörperung von Gut und Böse. Er sieht die Tragödie des Liebespaares kommen und schaut dennoch hilflos zu. In dem Tanz mit Julia jedoch ist er ganz Mann, der den erotischen Reizen des Mädchens zu erliegen scheint. Was treibt dieser Pater für ein Spiel? Auch zum Schluss, beim berühmten Showdown in der Gruft, ist er merkwürdiger Weise anwesend. Doch er greift nicht ein, klärt das Missverständnis um Julias Schlaftrunk nicht auf. Stattdessen windet er sich wie eine geschundene Kreatur, Nosferatu nicht unähnlich. Die Qual eines (höheren?) Wesens, das alles weiß, das Schicksal jedoch nicht abwenden kann? In jedem Fall eine Darstellung, die neue, spannende Interpretationsmöglichkeiten eröffnet.
Romeo und Julia“ Gastspiel Les Ballets de Monte-Carlo, Hamburgische Staatsoper, 19. Juni, 19.30 Uhr. Große Theaterstraße 25, Tickets ab 4 Euro. Tel.: (040) 3568 68
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