Theater - Tanz

Ganz neue Töne beim letzten Gastspiel der letzten, 49. Hamburger Balletttage unter ihrem scheidenden Chef John Neumeier – und das im doppelten Sinn: „Black Sabbath – The Ballet“ vom fantastischen Birmingham Royal Ballet war ein echter Kracher.

 

Das ohrenbetäubende Gejohle und Gepfeife, das im Anschluss die Hamburg Oper erfüllte, passten dann auch mehr zu einem Rockkonzert als zu einer Ballettaufführung.

 

Klassisches Ballett zu Heavy Metal; Arabesquen, Fouettés und Grand Jetés zu düsteren, mystischen, aggressiven Hard Rock-Rhythmen wie „War Pigs“, „Solidude“. „Paranoid“ oder „Iron Man“. Alles Songs, die Black Sabbath 2017 letztmalig inmitten eines (auf die Leinwand projizierten) Feuerinfernos in Birmingham spielten – dort, wo 1968 die Band um Frontmann Ozzy Osbourne zusammenfand. Das klingt erstmal revolutionär, dabei vergisst man leicht, dass Roland Petit bereits 1972 Pink Floyd vertanzte (damals live von Pink Floyd selbst begleitet) und dass Maurice Béjart 1997 ein nicht minder grandioses Ballett zu Musik von Queen auf die Bühne brachte. (selbstredend wurden auch die Beatles und die Rollings Stones schon vertanzt).

 

So unerhört mutig und progressiv, wie einige Gazetten schwärmten, ist „Black Sabbath – The Ballet“ also nicht. Aber das beeinträchtigte nicht die Begeisterung des Publikums Es war schon erstaunlich, was man an hier in den beiden Pausen zu sehen bekam: Ergraute Heavy-Metal-Fans in schwerem Leder, Best-Ager-Damen in Lack und gefährlich hohen High-Heel-Stiefeln. In Birmingham hatte das Ballett ja eine ganz neue Besucherschicht ins Ballett gelockt, in Hamburg schien das auch zu klappen.

 

Für den gebürtigen Kubaner Carlos Acosta, in den 1990er Jahren als einer der besten Balletttänzer der Welt gefeiert und seit 2020 Chef des Birmingham Royal Ballet, war es eine Herzensangelegenheit, dieses Projekt 2023 zur Uraufführung zu bringen. Er holte sich dazu Sharon Osbourne und die Gründungsmitglieder der Band zur Seite, denen im Programmheft Dank für ihr Engagement ausgesprochen wird. Es wird ihnen auf ihre alten Tage Spaß gemacht haben, nun auch als Ballett ewigen Ruhm zu genießen, ist Acosta doch eine wunderbare Hommage an die Band und die Stadt Birmingham gelungen, die so eng miteinander verbunden sind. Alle vier Gründungsmitglieder von „Black Sabbath“, der „Godfather of Metal“ Ossy Osborne, Geezer Butler, Tony Iommi und Bill Ward wuchsen in ärmlichen Verhältnissen in Aston, einem Vorort von Birmingham auf. In ihren Songs thematisieren sie soziale Probleme der Arbeiterschicht, aber auch persönliche Konflikte, wie existenzielle Ängste, Drogenabhängigkeit und den Vietnam-Krieg, der damals die internationale Jugend aus Protest auf die Straßen trieb. „War Pigs“ ist auch der erste Song, zu dem sich die schwarz gekleideten Tänzerinnen und Tänzer auf der ebenso schwarzen Bühne in das bedrohliche Suchlicht der Scheinwerferkegel begeben. Eine Schlachtformation, die mitunter einem Maschinenwerk, dann wieder bedrohlichen Vogelwesen gleicht, wenn die Compagnie ihre Arme zu Flügeln aufspannt und geschlossen in Richtung der Zuschauer tanzt.

 

Die künstlerische Gesamtleitung des aus drei sehr unterschiedlichen Akten bestehenden Abends – jede Akt wurde von einem unterschiedlichen Choreographen und Komponisten kreiert – oblag dem schwedischen Choreographen Pontus Lidberg, der auch den dritten Akt choreographierte. Acht original Black-Sabbath-Songs standen auf dem Programm, dazu neue Kompositionen von Christopher Austin, Marko Nyberg und Sun Keting, die sich perfekt in den Stil der Band einfügten. Auf der Bühne standen der Gitarrist Marc Hayward und der Sänger Lachlan Monaghan, im Graben brillierte die hauseigene Royal Ballet Sinfonia unter der Leitung von Paul Murphy. Es war mitunter schwer zu sagen, wen oder was man nun gerade hörte – so gut mischten sich die Kompositionen von Band und Sinfonie Orchester.

 

Für den ersten Akt zeichnete der Kubaner Raul Reinoso verantwortlich und schuf in diesem Teil auch die bezwingendsten und berührendsten Momente. Einen Mix aus hochdynamischen, pulsierenden Gruppenszenen und einem wunderschönen intimem Pas de deux zu einer orchestralen Coverversion von „Solitude“, bei dem ein sich küssendes Paar scheinbar an den Lippen zusammengewachsen ist.

 

Fraglos zählt diese Compagnie zu den renommiertesten weltweit. Alle Gruppentänzerinnen und -tänzer sind technisch exzellent, die Solistinnen und Solisten atemberaubend gut. Das gilt insbesondere für den „black spirit“, dessen Gesicht leider ganz und gar verhüllt war, sodass man ihn oder sie nicht identifizieren konnte.

 

Der zweite Akt, „The Band“, choreographiert von Cassi Abranches, verhandelte dann vor allem Biographisches. Während die Compagnie nun weitgehend auf Turnschuhen performte, erklangen aus dem Off die Stimmen von Ozzy Osbourne und seiner Ehefrau Sharon, die sich an die Anfänge der Band und die (Drogen)Probleme erinnerten, die mit Ruhm und Erfolg kamen. Auch Gitarrist Tony Iommi, der dem Projekt als musikalischer Experte zur Seite stand, kam zu Wort und sprach über seinen Arbeitsunfall als 17jähriger in einer Blechfabrik, der ihm zwei Fingerkuppen kostete. Verstehen konnten das aber vermutlich nur die englischen Zuschauer, der Akzent war doch heftig.

 

Im dritten Akt, überschrieben als „Everybody is a Fan“, bringen Pontus Lidberg und Christopher Austin Motive aus den beiden ersten Akten zusammen. Die Bühne beherrscht nun ein silbriger geflügelter Teufel auf einem Autowrack, mit dem die Tänzer auch interagieren.

 

Black Sabbath III F Johan Persson

Dritter Akt. Foto: © Johan Persson

 

Seit ihren Anfängen beschwört Black Sabbath (wie schon der Name sagt) die schwarze Magie. Der Teufel steht bei ihnen für Rebellion und Tabubruch, Gesellschaftskritik und die inneren Dämonen, das Teufels-Logo ist in der Band allgegenwärtig. Pontus Lindberg gelingt es jedoch nur teilweise, der unheilvollen Symbolik und der Wucht der orchestrierten Songs von Iron Man oder Bloody Black Sabbath eine entsprechend starke Choreografie entgegenzusetzen. Der Tanz entgleitet hier mitunter ins Beliebige. Die Compagnie tollt über die Bühne, spielt mit überdimensionale Vinylplatten herum, schlüpft selbst in die Rollen von Fans, wenn einzelne Tänzer Luftgitarre spielen oder sich im Halbkreis zum Headbanging formieren, während jeweils einer von Ihnen sich nach Street-Dance-Art in der Mitte produziert. Das Ereignis fand in diesen Passagen eindeutig im Orchestergraben statt.

 

Die Wucht dieser Musik fordert eine ebenbürtige tänzerische Kraft, vorwärtstreibende, pulsierende Formationen und keine Tändeleien. Heavy Metal funktioniert am besten mit rasanten Pirouetten und Sprüngen – genau das macht die unvergleichliche Faszination dieser Mischung aus. Und zum Schluss war sie auch nochmal da, diese Spannung. Die Compagnie ließ Funken sprühen und man wollte am liebsten aufspringen und mittanzen.


Birmingham Royal Ballet: Black Sabbath – The Ballet

Anlässlich der 49. Hamburger Ballett-Tagen vom 30. Juni bis 14. Juli 2024

Hamburgische Staatsoper, Großes Haus, Dammtorstraße 28, 20354 Hamburg

Direktor: Carlos Acosta
Originalmusik: Black Sabbath
Musikalische Expertise: Tony Iommi
Haupt-Komposition und Musikalische Expertise: Christopher Austin
Hauptchoreograf und Künstlerischer Leiter: Pontus Lidberg
Musik – 1. Akt: Marko Nyberg, Christopher Austin
Choreografie – 1. Akt: Raúl Reinoso
Musik – 2. Akt: Sun Keting
Choreografie – 2. Akt: Cassi Abranches
Musik und Arrangement – 3. Akt: Christopher Austin
Choreografie – 3. Akt: Pontus Lidberg
Dramaturgie: Richard Thomas
Design: Alexandre Arrechea
Lichtdesign: K.J
Tonproduktion und -design: Joshua Blair
Metal Curator: Lisa Meyer

2 Stunden 15 Minuten | 2 Pausen

Uraufführung: Birmingham Royal Ballet, Birmingham Hippodrome, Birmingham, 23. September 2023

Weitere Informationen (Hamburg Ballett)

 

YouTube-Video:

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Gastcompagnie: Birmingham Royal Ballet – "Black Sabbath – The Ballet" (0:54 Min.) 

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