Heitere Passagen und Tränendrüse: Wenn Rosenblätter fallen
- Geschrieben von Isabelle Hofmann -
Der aus Hamburg stammende Regisseur Dirk Schattner schien einen ganzen Fan-Club zur Uraufführung seines Musicals im Stage Kehrwieder Theater geladen zu haben.
Doch weder Jubel noch stehende Ovationen des vorwiegend jungen Publikums konnten über die Schwächen des Abends hinwegtäuschen.
„Wenn Rosenblätter fallen“ ist ein Kammerspiel, keine Frage. Es wäre unfair, die Inszenierung mit einem der großen Spektakel zu vergleichen, die auf der Reeperbahn oder in der Neuen Flora laufen. Aber gerade in der Musical-Stadt Hamburg hängen die Maßstäbe hoch und die Essener Produktion wirkte stellenweise, als sei sie frisch aus der benachbarten Joop van den Ende Academy.
„Ich schau in den Spiegel und seh‘ meine Mutter“ hieß Ende der 70er-Jahre eine Pflichtlektüre der Frauenbewegung. Der 19-jährige Kunststudent Till braucht nicht in den Spiegel zu schauen, um seine verstorbene Mutter Rose zu sehen. „Sein Mädchen“, wie er sie nennt, ist immer gegenwärtig - in seinen Gedanken, in seinen Erinnerungen, in seinen Tagträumen. Sie steigt aus dem Bild und füllt seine hässliche Studentenbude mit ihrer erdrückenden Liebe. Sie schiebt sich zwischen ihn und seine Zimmernachbarin Iris (Jana Stelley), die sich Hals über Kopf in ihn verliebt hat (und ihn natürlich auch bekommt). Till hört Rose sprechen, wenn er ihre Briefe liest, die sie ihm in ihren letzten Stunden zu seinen kommenden 80 Geburtstagen geschrieben hat. Und er hört sogar ihre Stimme, wenn Iris den Mund aufmacht.
Ein schwerer Stoff also. Und zweifellos auch ein Fall für den Psychologen: Zu dem Krebstod der Mutter, dem schmerzhaften Ablösungsprozess aus einer symbiotischen Beziehung und den bohrenden Fragen nach dem unbekannten Vater kommen auch noch die Schuldgefühle des Sohnes. Till hat seiner Mutter mit einer Überdosis an Medikamenten Sterbehilfe geleistet, stellt sich zum Schluss heraus. Nicht zu vergessen das Geheimnis, das die todgeweihte Mutter lüftet: Der Vater war mit einer anderen verheiratet, wollte jedoch zur schwangeren Geliebten und verbrannte auf dem Weg im Auto. Auch das noch! Alles etwas viel für ein Musical von zweieinhalb Stunden. Allzuleicht besteht die Gefahr bei solchen Themen, Klischees zu bedienen und/oder in sentimentalen Kitsch abzugleiten. Das Libretto, das Rory Six und Kai Hüsgen frei nach Brigitte Minnes Jugendroman „Als Rozenblaadjes vallen“ verfassten, ist denn auch nicht davor gefeit. Obwohl es einige heitere Passagen gibt, drücken die beiden Texter und Musiker gewaltig auf die Tränendrüse. Man weiß allerdings teilweise nicht, was mehr schmerzt: Die Banalität der Texte oder die Trauer des Jungen um den Verlust der Mutter.
Dennoch ist diese Produktion sehenswert. Das dichte Gewebe aus Gegenwarts- und Vergangenheitsszenen hat filmische Qualitäten und Regisseur Dirk Schattner versteht es klug, das Kino im Kopf, das bei Till abläuft, sobald er Iris gegenübersteht, von den Rückblenden zu unterscheiden. Dabei gelingen ihm auch unerhört intensive Momente: Die Szene, in der Till seiner Mutter ihre kindische Vergnügungssucht an den Kopf wirft und sie wütend damit herausplatzt, dass sie in der Tat schrecklichen Hunger auf Leben hat – weil ihr nur noch sechs Monate zu leben bleiben, vermag sogar zu Tränen zu rühren. Leider bleiben solche Momente rar. Gerade zu Beginn der Aufführung hatte man das Gefühl, als müssten sich die drei Darsteller erst noch in ihren Rollen zurechtfinden. Insbesondere Jana Stelleys Iris trug im ersten Akt viel zu dick auf und wirkte dadurch karikaturenhaft überdreht. Offenbar hatte die bereits vielfach erprobte und durchaus stimmgewaltige Darstellerin vor lauter Lampenfieber vergessen, hier nicht über den Orchestergraben hinweg in einen riesigen Theaterraum hinein spielen zu müssen, sondern das Publikum unmittelbar vor der Nase zu haben. Carin Filipcic als Rose gelang es da sehr viel souveräner, mit der Intimität des Raumes umzugehen. Als überfürsorgliche Mutter, die ihrem Sohn am liebsten jeden Schmerz ersparen würde, bot sie die konstanteste Leistung an diesem Abend. Dirk Johnstons Till schließlich ist ein unerhört charmanter Junge, dessen Trauer und hilflose Zerrissenheit absolut natürlich und glaubwürdig wirkte. Gesanglich allerdings ließ der junge Schotte zu wünschen übrig. Zwar war vor allem die Technik Schuld, dass der Sound immer wieder wegbrach, doch auch mit funktionierendem Mikro klang seine Stimme in den Höhen arg dünn und gepresst – abgesehen davon, dass der eine oder andere Ton einfach daneben ging.
Fazit: „Wenn Rosenblätter fallen“ hat – mit ein paar Nachbesserungen – durchaus das Zeug zum Rührstück der Saison. In jedem Fall: Taschentücher nicht vergessen.
Zu sehen und hören vom 5.10. bis 10.10.2011
im Stage Kehrwieder Theater
Kehrwieder 6, 20457 Hamburg
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Fotonachweis: Beata Kornatowska
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