Alvin Ailey: artistisch, atemberaubend, akrobatisch
- Geschrieben von Isabelle Hofmann -
Es war ein Gejohle und Gepfeife wie bei einem Rock-Konzert. Selten hat man das Publikum der Hamburger Staatsoper derart aus dem Häuschen erlebt, wie bei dem Gastspiel-Auftakt des Alvin Ailey American Dance Theaters (AAADT).
Wann sieht man auch schon mal derart mitreißenden Tanz?! Die New Yorker Compagnie ist einfach großartig. Technische Perfektion paart sich hier mit purer Lebensfreude. Für Alvin Ailey (1931-1989) war Tanz das reine (Über)Lebens-Elixier und genau das bringen seine stupenden Tänzer noch in der kleinsten Bewegung zum Ausdruck. Vielleicht haben die Zuschauer auch deswegen so enthusiastisch reagiert: Hamburgs Ballett ist geprägt von John Neumeiers elegischen Choreographien und seinen elfengleichen Ballerinen. Das AAADT ist der glatte Gegenentwurf. Die fröhliche Power der afroamerikanischen Tänzer erfrischt ungemein. Sie dringt ungebremst über die Bühnenrampe und öffnet auch noch im obersten Rang die Herzen der Zuschauer. Wie schade, dass die offiziellen Kulturbotschafter der USA so selten nach Europa kommen.
Am Anfang des denkwürdigen Abends fasziniert Judith Jamisons Stück „Love Stories“, ein temporeicher, frecher Mix aus Modern Dance, Streetdance und Hip-Hop -Elementen, den die langjährige Leiterin des Dance Theaters 2004 zusammen mit Robert Battle und Lorenzo Harris kreierte. Zur Musik von Stevie Wonder bewegen sich die Tänzer unerhört lässig über die Bühne. Wie nebenbei und scheinbar mühelos vollziehen sie die tollsten Sprünge und Drehungen.
Mit den anschließenden beiden Stücken stellt sich Robert Battle als würdiger Nachfolger von Jamison unter Beweis. Sein Solo „Takademe“ (getanzt von Kanji Segawa) erscheint als furiose Breakdance-Paraphrase des indischen Kathak-Tanzes, angetrieben von den schnellen Beats jazziger Scat-Vocals. In seinem zweiten Stück „The Hunt“ beschwört Battle die Wurzeln der Afroamerikaner: Zu den einpeitschenden Trommelklängen von Les Tambours du Bronx vereinen sich Jagd-Rituale, Kampfsport-Elemente und afrikanische Stammes-Tänze zu einer beeindruckend energiegeladen und archaisch anmutenden Choreographie. Am Ende scheinen sich die sechs Krieger regelrecht in Trance zu tanzen.
Auch „Relevations“, Alvin Aileys legendäre Choreographie von 1960, ein Muss bei jeder Tournee, taucht tief in die Geschichte der Schwarzen ein. Inspiriert wurden diese „Offenbarungen“ von Aileys Kindheitserfahrungen in den Südstaaten. Der Ausnahme-Tänzer und Gründer des American Dance Theaters wurde in Texas geboren und erlebte Rassismus, Ausgrenzung und Unterdrückung am eigenen Leib. Sein Meisterwerk, eine Folge von insgesamt elf Episoden, spiegelt seine Erfahrungen und Erlebnisse. Im Grunde ist „Relevations“ ein einziger Gottesdienst – getragen von den Spirituals und Gospelsongs, die noch heute sonntags in den kleinen Kirchen schwarzer Südstaatengemeinden erklingen.
Angefangen bei „I Wanna Be Ready“, dem von Antonio Douthit atemberaubend ausdrucksstark getanztem Solo über Werden und Vergehen des Menschen, über das von Linda und Glenn Sims hinreißend interpretierte Pas de Deux zu „Fix Me, Jesus“, mündet dieser bewegende Bilderbogen in einem ausgelassenen, etwas folkloristischem Tanzfest, das mit einem Augenzwinkern die Grenzen der Karikatur streift. „Rocka My Soul“ – diese Truppe schafft es tatsächlich.
Bis Sonntag, den 28.8., gastiert das AAADT noch in der Hamburgischen Staatsoper (Karten ab 24 Euro unter (01805) 6636 61 oder www.funke-ticket.de).
Abb.: Yannick Lebrun, "Takademe", Choreographie: Robert Battle; Foto: Andrew Eccles
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